Haftzeit in russischem Gefängnis "Meine Jugend war im Eimer"

Bonn · Schauspieler und Autor Jochen Stern arbeitet in einem neuem Roman seine Haftzeit in einem russischem Polit-Gefängnis auf und verpackt in seinem Buch eine Warnung.

 Jochen Stern knüpft mit "Das Leben ist kein Spiel" an den ersten Teil von "Die ewige Morgenröte" an.

Jochen Stern knüpft mit "Das Leben ist kein Spiel" an den ersten Teil von "Die ewige Morgenröte" an.

Foto: FABIAN STUERTZ

Don't judge a book by it's cover“ lautet ein englisches Sprichwort. Auf Deutsch bedeutet das sinngemäß: „Ziehe keine voreiligen Schlüsse“. Auf das neuste Werk von Schauspieler und Buchautor Jochen Stern träfe aber auch eine wörtliche Übersetzung des anglophonen Originals zu – hinter dem optisch anspruchslos gestalteten Buchdeckel von „Das Leben ist kein Spiel“ verbirgt sich nämlich ein durchaus lesenswertes Stück Literatur, das vom Schicksal einer Gruppe Jugendlicher erzählt, die in der Nachkriegszeit in die Fänge des russischen Geheimdienstes gerät.

Mehr als 300 Seiten stark ist die im oberfränkischen Burg Verlag erschienene Fortsetzung von Sterns Zweiteiler „Die ewige Morgenröte“. Auf dem Titel, der anmutet, als sei er mit einem Computerprogramm aus den 1990er Jahren gestaltet worden, schwebt eine orange-rote Wolkendecke über einem stark verpixelten Schwarz-Weiß- Panorama des vom Kriege zerstörten Frankfurt (Oder).

Doch der wenig wertig anmutende Schein trügt: In dem Roman verarbeitet der Schauspieler („Ein Herz und eine Seele“) auf interessante Weise seine Erlebnisse als Strafgefangener in der DDR und strickt die Geschichte seiner Protagonisten weiter.

Eigene Eindrücke vermischt mit historischer Recherche

Dabei mischt Stern eigene Eindrücke mit den Ergebnissen seiner Auswertung alter russischer Geheimdienstakten und peppt seine Erzählung mit Erfahrungen aus Gesprächen mit anderen Zeitzeugen sowie Fiktion auf. So präsentiert der Autor einen offensichtlich recht nah an der Geschichte illustrierten Roman, mit dem er seinen Lesern einen intimen Einblick in die erbarmungslosen und intriganten Arbeitsweisen des russischen NKWD, des sogenannten „Volkskommissariats für innere Angelegenheiten“, gibt.

So schildert er beispielsweise Szenen aus Verhören, bei denen die verdächtigen Jugendlichen von den Geheimdienstoffizieren mit Nackenschlägen in die Knie gezwungen und mit Tritten ins Gesicht mürbe gemacht werden – ein Verfahren, das Stern am eigenen Leib miterlebt hat.

„Man hat mich nach meiner Verhaftung im Oktober 1947 ein Jahr lang in der Untersuchungshaft behalten, wo ich geschlagen und anschließend in Isolationshaft gesteckt wurde“, erzählt Stern, der die Fachbegriffe und Verordnungen der Gefängnissprache noch immer in fließendem Russisch herunterbeten kann. „Meine Jugend war im Eimer.“

Eingesperrt wegen Spionage

Bis 1954 blieb er in Haft, nach seiner Entlassung zog er zunächst ins Ruhrgebiet und dann nach Bonn, wo er noch heute lebt. Eingesperrt wurde Jochen Stern damals wegen des Vorwurfs der Spionage: Als Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei, einem DDR-Vorläufer der FDP, habe Stern als 18-Jähriger einen Spionagering in Frankfurt und dem Umland aufgebaut.

Über verschlungene Wege und einen West-Berliner Bezirksbürgermeister seien so Informationen an die Amerikaner weitergegeben worden, habe laut Stern die Einschätzung der russischen Besatzer gelautet. „Das war natürlich alles Quatsch“, so Stern. „Ich machte damals eine Ausbildung zum Schauspieler und habe nebenbei als Lehrer gearbeitet. Da wäre keine Zeit für so etwas gewesen.“

Angesichts der Verhörmethoden gestand er trotzdem. „Diese Zeit war nicht einfach zu überstehen“, sagt er. Um seine Geschichte zu erzählen, schuf Stern die Romanfigur Jürgen Stein, die den autobiografischen Part übernimmt. Die Namen seiner damaligen Leidensgenossen hat er ebenfalls abgeändert. „Bis auf die der russischen Offiziere und die derjenigen, die in der Haft ihr Leben ließen“, erklärt Stern. Er wolle auf diese Weise ihr Andenken bewahren.

Roman enthält eine Warnung

In „Die ewige Morgenröte“ gehe es aber nicht nur um Erinnerung, Aufarbeitung und die Darstellung von Geschichte, der Roman enthalte zudem eine Warnung, so Stern. „In Zeiten, in denen rechtsgerichtete Parteien wieder auf dem Vormarsch sind und an den Grenzen Europas diktaturähnliche Staatskonstrukte entstehen, soll mein Roman zeigen, wohin solche Entwicklungen führen können“, sagt der 89-Jährige, der sowohl Zeitzeuge des Regimes der Nationalsozialisten als auch der DDR ist. „Diktatur ist ein Modell, das auch heute noch nicht vom Tisch ist. Deshalb sollten wir sehr wachsam sein und ein Abrutschen frühzeitig erkennen.“

Jochen Stern: Das Leben ist kein Spiel. Burg Verlag, 12,50 Euro.

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