Buchtipp Le Carrés Roman zeigt Schattenwelt des Kalten Krieges

Bonn · John le Carrés Roman „Das Vermächtnis der Spione“ spielt zur Zeit des Kalten Krieges. In dem Roman erzählt der ehemalige Geheimagent von den Verwerfungen des Kalten Krieges, die bis ins Innere der Geheimdienste reichen.

 Der Altmeister des Spionageromans: John le Carré bei der Arbeit. FOTO: NADAV KANDER

Der Altmeister des Spionageromans: John le Carré bei der Arbeit. FOTO: NADAV KANDER

Foto: Nadav Kander

Die Nervenkitzeljahre sind für Peter Guillam längst vorbei. Bis den betagten Ex-Agenten auf seinem bretonischen Bauernhof ein Brief aus London in die Secret-Service-Zentrale zitiert. Schon der neue „Spionage-Freizeitpark an der Themse“ schockiert den im wimmeligen Altbau ausgebildeten Veteranen, der sich bald in einer Verhörzange wiederfindet: Der pseudo-konziliante Anwalt Bunny und seine Assistentin Laura wühlen tief in unrühmlicher Vergangenheit – genauer: Aktion „Windfall“, 1961.

Als damals der britische Top-Agent Alec Leamas und seine Freundin Liz Gold an der frisch errichteten Berliner Mauer erschossen wurden, war dies das bittere Finale in John le Carrés Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam.“ Nun knüpft der mittlerweile 86-jährige Autor raffiniert an seinen ersten Welterfolg an.

„Das Vermächtnis der Spione“ erinnert beinahe melancholisch an eine Zeit, da es weder Drohnen noch GPS-Signale gab und der Geheimdienstjob noch Handwerk war. Allerdings blutiges Handwerk, das Liz' Tochter Karen, Alecs Sohn Christoph und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nun gern aufgeklärt sähen. „Wendet Euch an den Großmeister der Täuschung, George Smiley“, will Guillam seinen Quälgeistern empfehlen, doch sein damaliger Chef bleibt bis kurz vor Schluss verschwunden. Wobei er gerade in Abwesenheit einen langen Schatten aufs Geschehen wirft.

Le Carré, einst selbst Geheimagent, erzählt hier nicht nur eine alte Geschichte nach, sondern dreht sie raffiniert in eine noch dämonischere Dimension. Schon das Verhör-Kammerspiel glückt ihm brillant, wobei Peters Strategie – „Sei im Kleinen großzügig, behalte den Rest im Gedächtnis und wirf den Schlüssel weg“ – immer schlechter aufgeht. Zugleich sucht der inquisitorisch Befragte selbst in London nach rettenden Spuren und erinnert sich kristallklar der früheren Operationen. Plastisch und ohne ein Körnchen Archivstaub steht sie vor uns, die Welt der Stasi-Schnüffler und KGB-Knochenbrecher, der Charité-Ärzte, die vom Westen träumen, und der Auftragskiller, die sich für die Gegenseite „umdrehen“ lassen.

Schlicht meisterhaft: das mühsame Aufbauen einer Quelle namens „Tulip“, eine im Osten todunglückliche Schönheit, die dann aufgrund akuter Lebensgefahr in eisklirrender Nacht per Trabi ins rettende Prag gebracht werden muss. In vielen Szenen geht es um Entkommen oder Verderben in letzter Sekunde, doch die wahre Spannung erzeugt der britische Schriftsteller nicht in solchen Actionszenen.

Denn hinter der vordergründig sogar anheimelnden Welt des alten Secret Service (Spitzname: Circus) enthüllt das Buch ein Labyrinth widerstreitender Interessen. Da kämpft die Abteilung „Joint“ (um den Doppelagenten Bill Haydon) gegen „Covert“ (um George Smiley), da begünstigt das allgegenwärtige Misstrauen eine gefährliche Paranoia. Denn jeder desaströse Fehlschlag kann in Wahrheit eine teuflische Inszenierung sein. So frisst sich der Kalte Krieg zwischen den Machtblöcken ins Innere des Geheimdienstes.

Auch dem „verruchten Romeo“ Guillam ist das Lügen zur zweiten Natur geworden, und irgendwann schleudert ihm Leamas' Sohn die Verachtung für alle Spione entgegen: „Ihr seid nicht das Heilmittel, ihr seid die verfluchte Krankheit.“ Und George Smiley, der inzwischen wohl an die 100 Jahre alt sein müsste? Darf ganz am Schluss noch eine Anti-Brexit-Botschaft senden: „Wenn ich herzlos war, dann für Europa.“

John le Carré: Das Vermächtnis der Spione. Roman, aus dem Englischen von Peter Torberg.Ullstein, 316 S, 24 Euro.

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