Ausstellung in Hamburg Karl Schmidt-Rottluff und die Liebe zum Exotischen

HAMBURG · Die Hamburger Schau über Karl Schmidt-Rottluffs Liebe zum Exotischen macht mit einem sonst eher beiläufig behandelten Thema bekannt.

 Stummer Protest: Karl Schmidt-Rottluffs „Masken“, 1938.

Stummer Protest: Karl Schmidt-Rottluffs „Masken“, 1938.

Foto: Bucerius

Dem aufmerksamen Betrachter waren sie natürlich niemals entgangen: die vielen afrikanischen Masken und exotischen Figuren im Werk des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976), dem Mitbegründer der Dresdener Künstlergruppe „Brücke“ und einem der großen Wegbereiter der Moderne in Deutschland. Doch viel Bedeutung hat man diesen Kuriosa, die das Werk des Malers durchziehen, nicht beigemessen.

Kultgegenstände aus den Kolonien in Afrika und der Südsee machen um 1900 in ganz Europa Furore und liegen mächtig im Trend. So hinterlassen afrikanische Masken in Picassos Schlüsselwerk „Demoiselles d’Avignon“ von 1907 unübersehbare Spuren. In Deutschland ist Emil Nolde einer der ersten passionierten Sammler. Der junge Schmidt-Rottluff ebenfalls. Und der trägt mit über 100 Objekten, die sich bis heute in seinem Nachlass befinden, sogar die größte Kollektion zusammen. Die Länder selbst hat er nie bereist. Die Objekte seiner Begierde fand er in Hamburg, damals Hauptumschlagplatz für Waren aus den deutschen Kolonien.

Schon mit 26 Jahren beginnt der gebürtige Chemnitzer, der sein Architekturstudium in Dresden zu Gunsten der Malerei an den Nagel gehängt hatte, seine erworbenen Stammes-Fetische, deren Magie ihn tief berührt, in seinen Gemälden darzustellen. Kein anderer Künstler hat diese Objekte so häufig und beharrlich ins Bild gerückt. Sie durchziehen sein Werk wie ein roter Faden, spielen so manchen Solopart und spiegeln ganz oft seine Gemütslage. Ihre kultische Bedeutung interessiert ihn nicht. Er verleibt sie sich ein, verwandelt sie, taucht sie in Blau, Rot, Lila, Grün und Gelb, umrahmt sie mit dunkler Kontur.

Farbglühende Landschaften und Stillleben

Und manchmal haucht er ihnen sogar Leben ein mit einer bestürzend menschlichen Mimik. Oft steigert er die Wirkung seiner Motive, indem er sie unvermittelt nebeneinander stellt – anders als Kollegen der Vorkriegs-Avantgarde wie Ernst-Ludwig Kirchner, August Macke oder Max Beckmann, die ihre bildnerischen Formen vielfach facettiert miteinander verschränken.

Das Hamburger Bucerius Kunst Forum stellt nun das scheinbar nur beiläufige Thema der außereuropäischen Inspiration erstmals ins Zentrum einer großen Ausstellung und präsentiert „Karl Schmidt-Rottluff: expressiv, magisch, fremd.“ In der chronologisch erzählten Schau führen 80 Arbeiten des Künstlers aus über 50 Schaffensjahren – Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen, Grafik – einen innigen Dialog mit Objekten aus seiner Ethnografica-Sammlung. Farbglühende Landschaften und Stillleben drängen sich ins Auge des Besuchers, sind aber nicht der einzige Hingucker. Den Parcours eröffnet eine 1909 an Erich Heckel adressierte Postkarte, auf die Schmidt-Rottluff seine erste Errungenschaft, ein weibliches Holzfigürchen aus Kamerun, gekritzelt hat. Sehr witzig: das kleine Fundstück probt den Kopfstand. Ob der gerade 80 Jahre alt gewordene Baselitz hier die Vorlage für seine Kopfsteh-Menschen fand? Immerhin zählt er den Expressionisten zu seinen Vorbildern.

Im Ersten Weltkrieg ist der Künstler in Russland und Litauen stationiert. Weil er dort nicht malen kann, verlegt er sich auf Holzschnitte und vollplastische Figuren, die aber in ihrer ornamentalen Gestaltung ebenfalls afrikanische Einflüsse verraten: mit großen Köpfen, hervorgehobenen Brüsten und kurzen Gliedmaßen. In ihren starken Schwarzweiß-Kontrasten sind diese Werke ein markanter Kontrapunkt in der sonst so farbstrotzenden Schau.

Schmidt-Rottluf inszeniert seine sakralen Sammlerstücke wie auf einer Theaterbühne, immer in nächster Nähe zu profanem Alltagsgerät. Seine weithin leuchtenden Arrangements sind zum Niederknien schön, auch wenn sie manchmal eher Trauer, Einsamkeit und Empörung ausdrücken wie etwa „Masken“: Die in diesem Ölbild von 1938 auf den Plan tretenden Ahnen-Skulpturen aus Papua-Neuguinea sind ein stumm aufwallender Protest gegen das Nazi-Regime. 1937 wird Schmidt-Rottluff als „entartet!“ gebrandmarkt. Wenig später erhält er Berufsverbot. In Worten hat er sich nie zur Politik geäußert, in seinen Arbeiten sehr wohl.

Den Zweiten Weltkrieg verbringt der Maler zurückgezogen in seinem Elternhaus in Chemnitz. 1947 kehrt er nach Berlin zurück und erhält eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste, die er mit Leidenschaft ausfüllt. Und auch seine künstlerische Kraft ist ungebrochen. Licht und Farben kehren in nie gekannter Intensität in sein Werk zurück. Und das inzwischen tüchtig angewachsene Masken- und Figurenarsenal beginnt ein neues, erregendes Spiel. So endet die Ausstellung mit knallbunten Stillleben wie „Afrikanisches“ (1954) oder „Geweihfarn in der Mitte“ (1957), jeweils flankiert von den dunkeltonigen Masken, die sie inspirierten und die jetzt wie kleine Schutzgötter in Farbe erscheinen. „Die Farben waren es ja schließlich“, sagt Schmidt-Rottluff, „die der Wucht eines ungeheuren Völkerwahnsinns getrotzt und standgehalten haben.“

Bis 21. Mai. Tgl. 11 - 19, Do bis 21 Uhr. Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2. Katalog 29 Euro. Im Buchhandel (Hirmer Verlag) 39.90 Euro.

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