Mythos und Mensch "Imagine" von John Lennon neu aufgelegt

Bonn · Die Neuauflage von John Lennons meisterhaftem Album „Imagine“ verstärkt ein Gefühl: Der Ex-Beatle fehlt.

 Seelenverwandte: Yoko Ono und John Lennon im August 1980 in New York.

Seelenverwandte: Yoko Ono und John Lennon im August 1980 in New York.

Foto: dpa

John Lennon wäre an diesem Dienstag 78 Jahre alt geworden. Seine Ermordung am 8. Dezember 1980 in New York verwandelte den Ex-Beatle für viele Fans in eine Heiligenfigur des Pop, einen Mythos der Musikkultur. Er stand solchen Bewunderungsexzessen zu Lebzeiten skeptisch gegenüber: „I don't believe in dead heroes“, vertraute Lennon einmal dem Journalisten Ray Connolly an.

Seinen eigenen Nachruhm konnte er jedoch nicht inszenieren. Lennon war für viele ein Held, der mit Songs wie „Give Peace A Chance“, „Imagine“ und „Power To The People“ die politisch gerechte Sache vertrat. Apropos Frieden: 1971 stand eine Gruppe von Hare-Krishna-Vertretern vor seinem Haus in Berkshire und skandierte „Peace!“ Der Hausherr jagte sie davon. Sie machten ihn verrückt mit ihrem „Hare Krishna“ und „Peace“, gab er zu: „I couldn't get any peace.“

Connolly erzählt die Anekdote in seiner soeben erschienenen Biografie „Being John Lennon: A Restless Life“. Und was ist mit der berühmten Zeile aus dem Song „Imagine“, die dem Materialismus eine Abfuhr erteilt: „Imagine no possessions / I wonder if you can“? Elton John war einmal bei den Lennons im Dakota Building in New York zu Besuch, in dem das Ehepaar mehrere Wohnungseinheiten erworben hatte. John stellte mit Erstaunen fest, dass Yoko Ono einen extra gekühlten Raum besaß, in dem sie ihre Pelzmäntel aufbewahrte. Elton John reagierte mit den Liedzeilen: „Imagine six apartments / It isn't hard to do. / One is full of fur coats / The other's full of shoes.“

Transportiert wichtige Botschaft

Connollys Biografie transportiert eine wichtige Botschaft: Auch Lennon war nur ein Mensch. Und der war nicht immer nett, wie seine schockierende Abrechnung mit Paul McCartney in dem Lied „How Do You Sleep?“ beweist. Es findet sich auf Lennons Solo-Meisterwerk „Imagine“ aus dem Jahr 1971. Das Album erlebt jetzt seine Wiedergeburt: technisch auf höchstem Niveau reproduziert – für beinharte Fans in einer luxuriösen Box mit vier CDs, zwei Blu-rays und einem 120-seitigen Buch. Wer es eine Nummer kleiner mag, ist mit der Doppel-CD bestens bedient, die neben dem Originalalbum bisher nicht gehörte Fassungen von Songs wie „Crippled Inside“ und „Jealous Guy“ enthält.

Gleichzeitig sind die Filme „Imagine“ und „Gimme Some Truth“ neu aufbereitet worden. „Imagine“ ist eine Collage von Farben, Klängen, Traum und Realität. John und Yoko haben das Werk 1971 produziert, selbst Regie geführt und zusammen mit Gästen wie George Harrison, Fred Astaire, Andy Warhol, Dick Cavett, Jack Palance und Jonas Mekas eine ganz eigene Welt erschaffen. „Gimme Some Truth“ zeichnet den Schaffensprozess hinter dem Album „Imagine“ nach. Die Neueditionen verstärken ein Gefühl und eine Gewissheit: Lennon fehlt. Er war der intensivste und intellektuellste Beatle, der coolste sowieso, ein Sprachkünstler und ein politischer Kopf. Manchmal auch ein Clown. Und zeitlebens ein Schmerzensmann, der sein Seelenleben in seinen Songs ausstellte.

Jugend verbrachte er in Liverpool

Seine Jugend verbrachte er in Liverpool weitgehend ohne die abwesende Mutter, ein traumatisches Erlebnis. Das Trauma habe ihn, behauptete er einmal, zum Künstlertum getrieben: „Der einzige Grund dafür, dass ich ein Star geworden bin, liegt in der Verdrängung. Nichts hätte mich zu all dem getrieben, wenn ich ,normal' gewesen wäre.“

Lennons enormer Beitrag zum Beatles-Oeuvre ist bestens dokumentiert, sein Solowerk jenseits von „Imagine“ genießt nicht dieselbe Wertschätzung. Aber zu vernachlässigen ist es nicht, wie 2010 die fabelhafte Neu-Edition seiner Alben belegte. Ein echtes Geschenk war das „Double Fantasy“-Album, es existiert nun in der bekannten Fassung aus dem Jahr 1980 und als intime „Stripped Down“-Version. Für seine Witwe Yoko Ono war die neue „Double Fantasy“ eine besondere Erfahrung: „Die Arbeit an der neuen Version dieses Albums war für mich die größte emotionale Herausforderung, denn es war Johns letzte Veröffentlichung vor seinem Tod.“

John Lennon: Imagine – The Ultimate Collection. Als Deluxe-Box mit vier CDs und zwei Blu-rays, als Doppel-CD und Doppel-LP. John Lennon: Imagine & Gimme Some Truth, DVD/Blu-ray. Universal. Ray Connolly: Being John Lennon: A Restless Life. Weidenfeld, 448 S., 20 engl. Pfund.

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