Glosse Hannah Arendts Vermächtnis

Das Sonderheft des Philosophie Magazins fragt nach der Aktualität der streitbaren Denkerin und Zeitzeugin

 Hannah Arendt, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Soziologin deutscher Herkunft

Hannah Arendt, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Soziologin deutscher Herkunft

Foto: picture alliance / dpa

Es sei „einfach ganz gefährlich, so zu tun, als sei eine Politik alternativlos. Das ist nicht nur als Slogan dumm, das unterminiert die Grundvorstellung der Demokratie und der Republik.“ Das meint die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, die 2004 und 2009 für die SPD ins Rennen um das Bundespräsidentenamt ging. In einem hochinteressanten Gespräch mit dem Philosophen Volker Gerhardt lotet sie die Relevanz aus, die die streitbare Denkerin Hannah Arendt (1906-1975) für unsere Gegenwart hat. Die Debatte ist Teil des brillanten Sonderhefts des „Philosophie Magazins“. „Es verbietet sich, sich als nur privater Mensch zu verstehen, denn damit fördert man genau die Gefahr eines Absturzes in die Barbarei, wie wir ihn historisch erlebt haben“, interpretiert Schwan die eminent politische Philosophin, die im Gespräch mit Günter Gaus einmal sagte: „Ich will Politik sehen mit, gewissermaßen, von der Politik ungetrübten Augen.“

Durch diese, Arendts, Augen blickt auch Gerhardt auf die heutige Politik: „Für Hannah Arendt ist Macht auf Kommunikation gegründet. Man schließt das Argumentieren nicht aus, sondern ein“, sagt er und diagnostiziert Machtmissbrauch und grobe Kommunikationsfehler auf nationaler und europäischer Ebene etwa bei der Flüchtlingskrise.

Der Dialog von Schwan und Gerhardt über Politikverständnis und das Kommunizieren im politischen Raum – ganz konkret über Angela Merkels Regierungsstil – ist Teil einer großartigen Textcollage über Hannah Arendt, die im Sonderheft als „eine der großen Außenseiterinnen des 20. Jahrhunderts und eine der schärfsten Beobachterinnen ihrer Epoche“ bezeichnet wird. Außenseiterin?

Wohl kaum: Wer ihre schillernde Biografie liest, verfolgt, wie sie über das Böse, über Verfolgung und politische Gewalt forschte und schrieb, ahnt, dass sie mitten in diesem tragischen Jahrhundert steckte. Geboren wird sie 1906 bei Hannover, fliegt mit 15 von der Schule, weil sie gegen einen Lehrer rebelliert hatte, studiert bei Martin Heidegger, dessen Geliebte sie wird; sie will sich mit einem Thema über die Jüdin Rahel Varnhagen habilitieren, wird 1933 verhaftet, flieht nach Paris. Als Staatenlose veröffentlicht sie Bücher und Texte, 1961 ist sie als Reporterin des „New Yorker“ beim Eichmann-Prozess in Jerusalem.

Sonderheft des „Philosophie Magazins“ „Hannah Arendt“, 9,90 Euro.

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