Am Seil - Eine Heldengeschichte Erich Hackl schreibt Buch über Reinhold Duschka

BONN · "Am Seil - Eine Heldengeschichte": Autor Erich Hackl hat ein Buch über Reinhold Duschka geschrieben. Eine Geschichte über einen Retter, der keinen Dank wollte.

 Stiller Virtuose des Authentischen: Autor Erich Hackl.

Stiller Virtuose des Authentischen: Autor Erich Hackl.

Foto: Maurice Haas

Eigentlich wollte die achtjährige Lucia ja am 15. März 1938 zum Wiener Heldenplatz rennen, den „Heil“-Rufen nach, die Adolf Hitler galten. Doch sie blieb in der Menge stecken und „spürte, dass sie und ihre kleine Familie von der erwarteten Erlösung ausgeschlossen waren“.

Bald wurde ihre Mutter Regina von der Gemeinde Wien entlassen, auf deren Parkbänken bald „Nur für Arier“ stand, und dann begannen die Transporte „dorthin, von wo niemand zurückkommt“. Erich Hackl beschwört zu Beginn seines Werks „Am Seil – Eine Heldengeschichte“ den rasanten Sturz in die Barbarei. Und dieses Buch gibt es nur, weil die Jüdin Lucia Heilmann Jahrzehnte später die Geschichte ihres Retters öffentlich machte.

Als Mutter und Tochter täglich mit ihrer Deportation rechnen mussten, half Reinhold Duschka, spät berufener Bergsteiger und bester Freund von Lucias geflohenem Vater. Vier Jahre lang versteckte er Regina und ihre Tochter im Gewimmel eines Werkstatthofs. Dort hatte der Kunstschmied eins von 150 Ateliers, in dem er seine Produkte schweißte und feilte.

Die Frauen durften helfen, was die Langeweile linderte und den Lebensunterhalt sicherte. Über Duschkas Privatleben außerhalb der Werkstatt erfuhren sie von dem wortkargen Mann so gut wie nichts. Aber selbst als der Hof nach 19 Volltreffern nur noch eine ausgebombte Ruine war, kümmerte sich Reinhold unter noch größerer Gefahr um eine Ersatzbleibe für seine Schützlinge. Erich Hackl, 1954 in Steyr geboren, ist auf solche Geschichten spezialisiert.

Ein stiller Virtuose des Authentischen, der etwa in „Abschied von Sidonie“ das Schicksal eines in Auschwitz-Birkenau ermordeten Roma-Mädchens schilderte. Ein einfühlsamer, dabei äußerst genauer Autor, der sich auch hier nicht anmaßt, Erinnerungsunschärfen seiner heute 88-jährigen Zeitzeugin zu retuschieren.

Schockmomente blitzen auf

Die Vergangenheit erwacht in einer Sprache von schönster Schlichtheit, die unmittelbar anrührend klingt. Schockmomente blitzen auf (die knapp bewältigte Personenkontrolle auf der Straße), doch auch die Eintönigkeit im engen Versteck und die dauernde Angst vor zufälligem Entdecktwerden macht Hackl spürbar. Dann das Happy End in Gestalt der russischen Soldaten, „die statt Stahlhelmen Pelzmützen trugen“. Ein jiddisch sprechender Offizier verschaffte Mutter und Tochter eine fluchtartig verlassene Naziwohnung, Lucia wurde Ehefrau, zweifache Mutter und Krankenhausärztin.

Reinhold Duschka hat sich selbst vor Bergkameraden oder Lebensgefährtinnen nie seiner Heldentat gerühmt. Schon Mitte der 60er Jahre hatte Lucia versucht, ihn für die Ehrung in der Gedenkstätte Yad Vashem vorzuschlagen, doch erst als 90-Jähriger akzeptierte er diese Auszeichnung. Als er die Medaille bekam, erwarteten viele, dass er nun seine Motive offenbaren würde.

Sein einziger Satz mit Blick auf Lucias Enkeltochter aber war: „Das freut mich am meisten, dass ich die Kinder heute so herumrennen sehe.“ Ob, wie Reinholds Enkel mutmaßt, das Verantwortungsgefühl des Bergsteigers der entscheidende Antrieb war, lässt auch Erich Hackl offen. Aber er setzt diesem Mann mit seinem Loblied auf selbstlose Courage das schönste Denkmal. Und er wünscht sich solche Hilfe auch für die Verfolgten von heute.

Erich Hackl: Am Seil – Eine Heldengeschichte. Diogenes, 117 S., 16,99 Euro.

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