„Wir gegen die da oben“ Deutschrock wird immer attraktiver - auch für Rechtspopulisten

Der Deutschrock von Bands wie Frei.Wild, Böhse Onkelz oder Goitzsche Front ist sehr erfolgreich. In ihren Liedern geht es oft ums „Wir gegen die da oben“. Hier können Rechtspopulisten andocken, sagen Experten.

 Der Sänger der Band Böhse Onkelz, Kevin Russell, steht auf der Bühne.

Der Sänger der Band Böhse Onkelz, Kevin Russell, steht auf der Bühne.

Foto: dpa/Daniel Naupold

Große, kräftige Männer mit meist sehr kurzen Haaren grölen, rempeln sich an, sind in bester Stimmung. Der Schweiß läuft. Auf der Bühne in Magdeburg steht die Deutschrock-Band Goitzsche Front. Es ist ihr Tourauftakt - ein Heimspiel für die vier Musiker aus Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Ihr neues Album „Ostgold“ hat im Januar auf Anhieb Platz zwei der deutschen Charts erobert.

Erfolgreiche deutsche Rockmusik sei natürlich kein neues Phänomen, sagt Thorsten Hindrichs, Musikwissenschaftler der Universität Mainz, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Halle/Saale. Neu sei allerdings, dass ihr Anteil seit der Jahrtausendwende größer geworden sei. Woran das liegt, sei schwer einzuschätzen. Der Experte sieht einen Grund darin, dass Musikverbände offensiv für deutschsprachige Künstler geworben hätten. Auch Bands wie Frei.Wild aus Südtirol (Italien) oder Böhse Onkelz könnten davon profitieren.

Benannt hat sich Goitzsche Front eigenen Angaben zufolge nach dem Bitterfelder Braunkohletagebau Goitzsche - die Front stehe für den Zusammenhalt, „den die Band Tag um Tag nach außen lebt“. Innerhalb der Deutschrock-Szene finden sich jedoch auch immer wieder Bands, die bewusst eine Schreibweise mit „Oi“ wählen. Dabei kann „Oi“ sowohl für ein Lebensgefühl als auch für die Musikrichtung stehen.

Der in der englischen Skinhead-Szene entstandene Begriff wird auch immer wieder fälschlicherweise mit Neonazismus gleichgesetzt. Es gibt viele „Oi“-Bands, die sich explizit gegen Nazis aussprechen. So hat die in Sachsen gegründete Band Loikaemie der Thematik mit dem Lied „Good Night White Pride“ einen eigenen Song gewidmet, in dem explizit von „rechtem Abschaum“ gesungen wird. Dennoch haben sich auch rechtsextreme Skinheads an „Oi“-Musik orientiert, wie die Wissenschaftlerin Erika Funke-Hennings bereits 1995 festhielt.

Häufig bewege sich der „neue Deutschrock“ - wie Musikwissenschaftler Hindrichs den Punkrock von Goitzsche Front und Frei.Wild nennt - in der Grauzone zum Rechtspopulismus. Beide Bands hätten gemeinsam, dass sie im musikalischen Gefolge der Böhsen Onkelz aufgewachsen seien.

Die Onkelz hatten 25 Jahre lang in ausverkauften Hallen gespielt und sich 2005 vorerst getrennt. Bis heute ist die Band um Sänger Kevin Russell umstritten. In den ersten Jahren hatte sie zur Skinhead-Szene gehört und mit Liedern wie „Türken raus“ oder „Bomberpilot“ für Aufregung gesorgt. Das Album „Der nette Mann“ kam 1986 auf den Index, unter anderem wegen gewaltverherrlichender Tendenzen.

Leichte Identifikation

Zwar distanzierten sich die Onkelz-Musiker von rechtsextremem Gedankengut, doch bis heute blieb der Band ein gewisses Image erhalten. Ihrem Erfolg tut das auch nach ihrem Comeback im Jahr 2014 keinen Abbruch. Ein Jahr später besuchten rund 200.000 Menschen Konzerte der Musiker am Hockenheimring. Im Februar soll ein neues Album erscheinen.

Ein weiterer Punkt, der solchen Bands Erfolge beschert: Sie machen es Deutschrock-Fans leicht, sich mit ihnen zu identifizieren. „Diese Bands inszenieren sich als ganz normale Jungs von nebenan“, sagt Hindrichs. Von Frei.Wild heißt es dazu: „Kunst und Musik leben und lebten seit jeher von Inszenierung.“ Wobei die Bandmitglieder „wirklich ganz normale Jungs von nebenan“ seien und sich nicht verstellten.

„Die Texte zeugen von einem einfachen Weltbild. Es geht um Gut gegen Böse, Schwarz und Weiß, unten gegen oben“, sagt Hindrichs. Frei.Wild erwidert, die Welt sei manchmal eben weit weniger kompliziert als gedacht. Es gebe eine „inszenierte Verkomplizierung des Weltgeschehens zwischen Parlamenten, Medienstuben und Stammtisch“.

Hindrichs sagt, dass in diesen Deutschrock-Liedern zudem häufig gegen möglichst unbestimmte Feinde angesungen werde. Dies könnten Akademiker, Politiker oder Medien sein. „Das macht manche Bands auch für rechtspopulistische Einstellungen anschlussfähig“, sagt der Mainzer Experte. Weder Politiker noch Medien oder Akademiker seien Feinde, betont indes Frei.Wild.

Innerhalb der Forschung wird Anti-Elitarismus, also die Positionierung gegen eine als Elite wahrgenommene Bevölkerungsschicht, auch von anderen Wissenschaftlern als Merkmal des Populismus herausgestellt. In einer Schriftenreihe der Universität Frankfurt heißt es: „Populismusforscher sind sich weitgehend einig, dass der Populismus zwei homogene, gegnerische Gruppen konstruiert - das Volk und die Elite.“

Heimatverbundenheit und Volksbegriff

Der Bonner Politikprofessor Frank Decker stellt fest, dass sich Populismus in Opposition zum angeblichen Establishment befinde. Er schreibt: „Gerade dieser Außenseiterstatus verschafft ihm Glaubwürdigkeit unter seinen Anhängern.“ Dies sei auch ein Merkmal linker Populisten.

Laut Hindrichs gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Bands. Zwar sei allgemein oft von Freundschaft, Treue und Familie die Rede, die Heimatverbundenheit unterscheide sich jedoch. So betreibe Goitzsche Front eher Ostalgie. Auch der Name ihres neuen Albums spricht dafür: „Ostgold“.

Frei.Wild mache dies anders: „Fragen zur Zugehörigkeit beantwortet die Band mit Vätern, Söhnen und Ahnen. Der Volksbegriff bei Frei.Wild ist sehr Blut-und-Boden-behaftet“, sagt Hindrichs. Die Band weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der Region Tirol Menschen aus mehr als 100 Ländern zuhause seien. „Auch das ist für uns Heimat.“

Seit Statement in der Nazi-Szene unten durch

Den Bands ist die Problematik, als rechts zu gelten, natürlich bekannt. So tritt der Schlagzeuger von Goitzsche Front häufig in „FCK NZS“-Shirt auf - ein Kürzel für „Fuck Nazis“. Fans reagieren darauf in sozialen Netzwerken unterschiedlich. „Ich fand euch ja sympathisch, aber das muss ich echt nicht haben“, kommentiert ein Nutzer einen entsprechenden Facebook-Kommentar der Band. „Find ich gut. Die Ansage gegen rechts ist sinnvoll“, meint ein anderer.

Die Band Frei.Wild hatte vor rund fünf Jahren mit einem Statement für Aufmerksamkeit gesorgt. Auf ihrer Homepage sprachen sich die Rocker aus Brixen in Südtirol gegen Menschen aus, die Rassismus und Fremdenhass befeuern. „Es ist Wurscht, wie sich solche Idioten und Gruppierungen nennen, ganz egal ob Pegida, AfD, "keine Asylanten in..." usw.“, hieß es dort. Auf Nachfrage betont Frei.Wild: „Politisches, sexuelles, religiöses Unrecht und Kriminalität im Allgemeinen verdienen harte Gegenwehr, egal von wem sie ausgehen.“

Seit dem Statement 2015 sei die Band in der deutschen Naziszene unten durch, erläutert Hindrichs. Diese habe bis dahin gehofft, dass Werte wie Blut und Boden durch die Musiker normalisiert werden, und die Frei.Wild-Aussagen dann als „Einknicken vor dem linken Mainstream“ angesehen. Die Diskussion, ob solche Statements glaubwürdig seien, hält der Mainzer Musikwissenschaftler für müßig: Hinter eine derartig klare Positionierung könne Frei.Wild nicht zurück.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort