Die Geschichte einer gescheiterten Integration Deshalb lohnt sich Can Mereys Buch "Der ewige Gast"

Berlin · "Der ewige Gast" erzählt die Geschichte des Deutschen Can Merey und seines türkischen Vaters. ARD-Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni verspricht: „Wenn man Mereys Buch gelesen hat, hat man etwas gelernt.“

 Vater und Sohn heute: Tosun Merey (rechts) mit seinem Sohn Can Merey auf der Fähre über den Bosporus.

Vater und Sohn heute: Tosun Merey (rechts) mit seinem Sohn Can Merey auf der Fähre über den Bosporus.

Foto: privat

Can Merey spricht Deutsch. Er schreibt auch auf Deutsch und er muss sich nicht integrieren. Denn Can Merey ist Deutscher. Er hat nur einen türkischen Namen. Von seinem türkischen Vater, der vor 60 Jahren nach Deutschland kam und alles dafür tat, hier eine Heimat zu finden. Aber an seinem Lebensabend steht Tosun Merey vor der bitteren Erkenntnis, gescheitert zu sein. Sein Sohn hat nun ein Buch darüber geschrieben. Es ist so witzig wie traurig und am Ende beklemmend: „Der ewige Gast“.

Der deutsch-italienische ARD-Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni sagt bei der Vorstellung in Berlin: „Es ist das perfekte Buch für die aktuelle Situation im Land. Es ist eine unglaublich wichtige Ergänzung zur Debatte.“ Er meint die Islam-Debatte und die Haltung vor allem der CSU, dass der Islam – der Glaube vieler der mehr als vier Millionen Muslime im Land – nicht zu Deutschland gehöre. Zamperoni verspricht: „Wenn man Mereys Buch gelesen hat, hat man etwas gelernt.“ Unter den Zuhörern in der ausverkauften Buchhandlung ist auch ein strammer Rechter: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Armin Paul Hampel, ein früherer ARD-Korrespondent, den Merey der „geistigen Brandstiftung“ bezichtigt. Trotzdem ist er mit Hampel befreundet. Trotz allem. Das ist ein Teil dieser vielschichtigen Geschichte.

Merey sagt der GA-Redaktion, die Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehöre, sei unselig. „Die meisten Muslime in Deutschland sind Türken und die allermeisten von ihnen leben hier verfassungskonform. Ich verstehe nicht, warum sie, aber nicht ihre Religion zu Deutschland gehören soll.“ Can Merey wurde hier 1972 geboren, seine Mutter heißt Maria und stammt aus Bayern, eine geborene Obergrußberger.

Er arbeitet bei der Deutschen Presse-Agentur, zunächst als Korrespondent in Berlin, dann in Indien, Afghanistan, schließlich in Istanbul. Dass ausgerechnet die Türkei, das Land seines Vaters, für ihn das schwierigste Land werden würde, hatte er nicht geahnt. Er sieht sich unter Rechtfertigungsdruck von allen Seiten: Deutsche unterstellen ihm, er behandele den zunehmend autokratisch agierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu unkritisch. Türken wittern eine zu kritische Einstellung zu Erdogan und Kurden halten ihn eben für einen Türken. Dazu abendliche Streitgespräche mit seinem Vater, der inzwischen in Istanbul lebt, wenn er nicht gerade mit Maria am Chiemsee ist. Tosun Merey hat sich durch die Jahrzehnte deutscher Ablehnung immer mehr zu Erdogan hingezogen gefühlt, der einst als Ministerpräsident zum „Europäer des Jahres“ gekürt worden war.

Erdogan habe den Türken neuen Stolz vermittelt, mit Selbstbewusstsein, wirtschaftlichem Wachstum und der Vermittlung des Gefühls, als Türke wertvoll zu sein. Das habe viele in Erdogans Arme getrieben, die in Deutschland mit Anerkennung und Integration zu kämpfen hatten. „Das Schlimme ist, immer wieder vermittelt zu bekommen, als Mensch weniger wert zu sein“, sagt Tosun Merey. Nach dem Verfassungsreferendum 2017, das die Macht des Präsidenten stärkt und demokratische Kräfte schwächt, ist er wieder auf Distanz zu Erdogan gegangen. Dass die Türkei in seinem Leben nicht mehr EU-Mitglied werden wird, ist noch so eine große Enttäuschung für ihn.

Er war Ende der 1950er Jahre nicht als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, sondern als Sprachschüler. Er stammte aus vergleichsweise betuchtem Hause und suchte sein Glück in dem Land, „in dem alles funktioniert“. Er verliebte sich in Maria, bekam mit ihr zwei Söhne, arbeitete als Kaufmann für eine deutsche Firma im In- und Ausland und machte trotz ausgezeichneter Zeugnisse nie wirklich Karriere. Seine Erfahrung: Weil er Türke ist. Traumatisch erlebt er vier Jahre lange Bemühungen bis zu seiner Einbürgerung und seine Beinahe-Wiederausbürgerung wegen eines bürokratischen Irrtums. Während seiner Tätigkeit für die deutsche Firma im Iran wird sein Sohn Kenan nicht in den deutschen Kindergarten aufgenommen, weil er nicht „reinrassig“ ist. Statt in die Moschee (er ist Atheist) geht er ins Wirtshaus, wo er Schweinsbraten bestellt und dazu ein Weißbier.

Can Merey sagt, das Buch solle keine Anklageschrift gegen Deutschland sein. Und er wisse auch um Türken, die sich nicht integrieren wollten. Zamperoni bilanziert, Tosun Merey habe alles für eine gute Integration mitgebracht und es dennoch nicht geschafft. Das ist die bittere Lebenserfahrung des heute fast 80-Jährigen. Er befürchtet eine zunehmende Türkenfeindlichkeit in Deutschland und wünscht seiner Enkelin nun, dass ihre türkischen Wurzeln irgendwann nur noch eines sein werden: eine „Fußnote“.

Can Merey: Der ewige Gast. Wie mein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden. Blessing, 17 Euro

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