CD-Tipps Valium für die Ohren, Tango fürs Gemüt

CD-Tipps: Neue Alben von Dominic Miller und Wolfgang Dauner bis Michel Portal mit Quatuor Ébène, das interessante Debüt von Gemma & The Travellers.

 Cover von triosence

Cover von triosence

Foto: Triosence

„80 Jahre Wolfgang Dauner. Das Jubiläumskonzert“ (Timba)

Der Jazzpianist Wolfgang Dauner ist breit gefeiert worden. Er wurde 80, 2016 folgte der Echo fürs Lebenswerk, dann der Jazzpreis Baden-Württemberg ebenfalls fürs Lebenswerk. Für die Ehrung bedankte er sich mit einem außergewöhnlichen Konzert im Theaterhaus Stuttgart an zwei Abenden, das jetzt als CD veröffentlicht wurde. Ein wahres Klassentreffen der Szene – mit dem 1975 gegründeten United Jazz & Rockensemble (Second Generation), mit Musikern wie den Saxofonisten Klaus Doldinger und Christof Lauer, dem Trompeter Manfred Schoof und – nicht zu vergessen – Dauners Sohn Flo (Schlagzeug).

Der Vater glänzt solo mit „Drachenburg“ und einer Gershwin-Nummer und als Komponist von „De Bop Scat“ und „Capriccio Funky“, feurig umgesetzt vom zweiten United Jazz & Rock Ensemble. Eine kleine Reise durch ein reiches Musikerleben, das Dauner in einem Interview einmal so beschrieb: „In meiner Sturm-und-Drang-Zeit hab ich gedacht: Scheißegal, wir ziehen das jetzt durch, die anderen haben sowieso keine Ahnung. Heute bin ich der Meinung, dass die Musik vom Podium herunter ihr Publikum emotional erreichen muss, alles andere ist Quatsch. Das gilt übrigens auch für die Avantgarde: Man kann sich Musik nicht auf den Knien anhören.“

Triosence: „Hidden Beauty“ (Sony)

2006 hätte man schön aufhorchen sollen – hätte müssen. Da schloss der Jazzpianist Bernhard Schüler sein Studium an der Kölner Musikhochschule ab und komponierte „As If It Was Yesterday“, eine gleichermaßen eingängige wie vertrackte Ballade, die geradezu volksliedhaft beginnt und dann mit Tempo- und Rhythmuswechseln immer spannender wird, toll Fahrt aufnimmt. Für das aktuelle Album von Schülers Gruppe triosence aus Kassel hat er das 2006er Stück als Opener ausgesucht.

Ihm lässt er das nicht minder fesselnde Titelstück des Albums folgen: „Hidden Beauty“. Triosence präsentiert sich als geschmeidig spielende und swingende, stilistisch äußerst versierte Formation, die Schülers Kompositionen mit Verve umsetzt. Besonders stark sind die Latin-Nummern des Trios, etwa der Bossa Nova „Thasinha“ oder „Juquei“ mit verspielten Improvisationen. Reflex vieler Brasilien-Trips. Dem Idol, Jazzpianist Bill Evans, ist die ausgeruhte, strahlende Ballade „Leave Me Here“ gewidmet.

Quatuor Ébène feat. Michel Portal: „Eternal Stories“ (Erato)

Sein erstes Bandoneon bekam der Klarinettist Michel Portal von Astor Piazzolla persönlich geschenkt. Das ist Verpflichtung. Mit der Hommage „L'Abandonite“ erinnert er an das große Vorbild. Und dann interpretiert er drei der fünf „Tango Sensations“, die der Komponist „Abschied an das Leben“ nannte: „Asleep“, „Loving“ und „Anxiety“ spielt Portal mit melancholisch schwelgendem Bandoneon. Wunderbar sekundiert wird er von dem Streichquartett Quatuor Ébène, dem es geling, Piazzollas sehnsüchtige Spannung bis ins Äußerste zu treiben.

2013 spielten der mittlerweile 81 Jahre alte Portal und das Streichquartett erstmals gemeinsam bei einem Jazzfestival in Paris. Auf der aktuellen CD „Eternal Stories“ sind diese Klasse-Musiker mit einem spannenden Programm zu hören. Herausragend dabei die Piazzolla-Stücke. Aber auch „Judy Garland“ mit Portals heiserer Bassklarinette und dem gezupften Cello, ein Tanz, der sich atemberaubend beschleunigt, ist ein wahrer Genuss. „Solitudes“, ebenfalls von Portal komponiert, ist eine Verneigung vor dem großen Duke Ellington. Mit dem feinen „City Birds“ von Pierre Colombet, erster Geiger des Quartetts, eröffnet „Eternal Stories“, eine mondäne, schwelgende, sehr schön swingende Sinfonie der Großstadt, dargebracht von einem Traumquartett und einem exzellenten Klarinettisten.

Dominic Miller: „Silent Light“ (ECM)

Gitarre solo, kaum erahnbare, sehr zurückhaltende Percussion: Der Musiker Dominic Miller braucht nicht mehr, um seine traumverlorenen, wunderbaren Lieder effektvoll zu zelebrieren. „Silent Light“ hat er seine aktuelle CD genannt, sein beeindruckendes Debüt beim Münchner Jazzlabel ECM. Man kennt ihn in opulenterer Umgebung, als Bandmitglied von Sting, als Begleiter von Paul Simon, aber auch in eigenen Projekten mit kleiner Besetzung. Nun aber sehr pur. Er hat sich von dem mexikanischen Filmregisseur Carlos Reygadas und dessen Film „Silent Light“ inspirieren lassen. „Seine Verwendung von Stille, Licht und Raum hat mich fasziniert“, erläutert der Gitarrist. „Manchmal verstreichen Minuten ohne Bewegung oder Dialog, was ich sehr mutig und inspirierend fand.“ Miller lässt seine Helden Revue passieren, widmet Baden Powell eine hinreißende Latin-Nummer, spürt in „Angel“ und „Tisane“ den Klangexperimenten Pat Methenys nach, lässt die Welt von Egberto Gismonti aufblitzen. „Fields of God“, eine Ballade von Sting, bringt Miller in einer herrlichen Instrumentalfassung.

Ein Stück durchbricht die Intimität und live eingespielte Zwei-Mann-Askese: „Chaos Theorie“ mischt durch Overdubs das Duo zum Quartett auf – Miles Bould lässt das Schlagzeug wirbeln, Miller spielt zwei Gitarren und den E-Bass. Ein schöner Ausreißer in einem traumhaft entspannten, kontemplativen Album. Valium für die Ohren.

Gemma & The Travellers: „Too Many Rules & Games“ (Légère)

Über die Italienerin Gemma M. ist kaum etwas zu erfahren. Nach ihrem Debüt-Album „Too Many Rules & Games“, das sie mit ihrem Sextett „Travellers“ aufgenommen hat, wird sich das wohl ändern. Mit dem Gitarristen Robert P. unternimmt Gemma M. eine Zeitreise zu den Anfängen des Soul in die 1960er, garniert mit einer fetten, pumpenden Wurlitzer-Orgel und einem aggressiven Saxofon. Das hört sich alles sehr gut an, sehr retro. Gemma M.s Stimme ist ein Vulkan, die Arrangements und Eigenkompositionen lassen aufhorchen.

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