150 Jahre Verkauf von Alaska an die USA 4,74 Dollar pro Quadratkilometer

Bonn · Vor 150 Jahren schlossen der amerikanische Außenminister William Seward und der kaiserlich russische Botschafter Eduard von Stoeckl einen Kaufvertrag – und Alaska wechselte vom Zarenreich zu den USA.

 Eduard von Stoeckl (1803-1892).

Eduard von Stoeckl (1803-1892).

Foto: gemeinfrei

Konsequent geradeaus zu marschieren, führt auf einer runden Welt bisweilen in die Irre. Die Extreme berühren sich, und irgendwann sind der ferne Westen und der ferne Osten dasselbe. Mitte des 17. Jahrhunderts erfuhren das russische Entdecker, die quer durch Sibirien hindurch nach Osten vordrangen: Sie kamen ans Ufer des Pazifik. Jenseits davon, so erfuhren sie von Eingeborenen, liege das geheimnisvolle „Große Land“.

Es dauert ein bisschen, doch irgendwann machen die Russen sich auf die Suche danach. 1741 wird die Expedition des in russischem Auftrag segelnden Dänen Vitus Bering tatsächlich fündig. Was er findet, heißt heute „Alaska“ und war für knapp acht Jahrzehnte Russlands einzige Überseekolonie. Vor 150 Jahren, am 30. März 1867, endete ihre Geschichte mit dem Ereignis, das die US-Geschichtsschreibung „Alaska Purchase“ nennt: dem Kauf Alaskas durch die Vereinigten Staaten. Ein Land, dreimal so groß wie Spanien, wechselt per Federstrich den Besitzer wie ein Stück Vorgarten in der Reihenhaussiedlung.

1783 gründet der Kaufmann Grigori Iwanowitsch Schelichow eine erste feste Siedlung auf der Insel Kodiak. Zunächst ist das Land ein Dorado für Pelzjäger: Zum Beispiel wimmelt es von Robben und Seeottern. Doch die rücksichtslose Jagd lässt die Bestände rasch sinken. Als Heimat für Siedler taugt das kalte, unwirtliche Land selbst in den Augen der Sibirien-erfahrenen Russen kaum; Russisch Amerika wird unprofitabel.

1812 versucht ein gewisser Iwan Kuskow noch, zwecks Erzeugung von Lebensmitteln für die Landsleute im Norden eine zweite Kolonie am Pazifik einzurichten: Er gründet sein Russisches Fort (heute „Fort Ross“) nur 145 Kilometer nördlich von San Francisco, doch das Experiment muss 1841 aufgegeben werden. Dann verliert das Zarenreich 1856 auch noch den Krimkrieg gegen Großbritannien und Frankreich: Alexander II. braucht neues Geld und neue Verbündete. Gerne auch außerhalb Europas. Die Amerikaner zum Beispiel.

Dabei braucht ihm das defizitäre Pelztierland im fernen Osten nicht im Wege zu stehen. Finanzexperten rechnen aus: Gelänge es, Russisch Amerika für fünf Millionen Dollar zu verkaufen, würden die bei cleverer Anlage rund 300.000 Rubel pro Jahr an Zinsen abwerfen – mehr, als die Kolonie je selbst erwirtschaften könnte. „Wir sollten uns nicht selbst belügen“, schreibt Großfürst Konstantin, Bruder des Zaren: Die USA könnten „sich das Territorium einfach nehmen, und wir könnten es nicht zurückholen“. Also wird Eduard von Stoeckl, Botschafter in Washington, 1859 zu Verhandlungen mit der US-Regierung ermächtigt.

Der amerikanische Bürgerkrieg unterbricht die Gespräche zunächst. Doch um 4 Uhr am Morgen des 30. März 1867 unterzeichnen von Stoeckl und US-Außenminister William Seward den fertigen Kaufvertrag: 15 handgeschriebene Seiten auf Russisch, Englisch und Französisch. Die Bankiers des Zaren können sich freuen: Nicht fünf, sondern sogar 7,2 Millionen Dollar wechseln (als Scheck) den Besitzer; nach heutigem Wert entspricht das rund 115 Millionen Euro, behauptet der „Consumer Price Index“ der Amerikanischen Bundesbank.

Es ist ein Spottpreis, der russische Patrioten heute noch ärgert. 4,74 damalige Dollar oder 75,43 heutige Euro pro Quadratkilometer: Zu diesem Tarif würde die Stadt Bonn 10 640 Euro kosten, die gesamte Bundesrepublik käme auf rund 27 Millionen (und wäre also kaum teurer als die Restaurierung der Viktoriabrücke).

Ein halbes Jahr nach Vertragsunterzeichnung marschieren in der Haupt- „Stadt“ Nowo Archangelsk (116 Häuser, 968 Einwohner) Truppen auf. Klingendes Spiel, klingende Reden. Der Doppel-adler sinkt, das Sternenbanner steigt. Aus Russisch Amerika wird „Alaska“: Der Name (ursprünglich „Alaxsxag“) stammt aus der Sprache der Alëuten-Insulaner, bedeutet „Das Land, zu dem das Meer strömt“ und galt ursprünglich nur für die Halbinsel, in deren Verlängerung die Alëuten liegen.

Neuer Name gewonnen, elf Tage verloren: Der julianische Kalender der Russen weicht dem gregorianischen, der 6. Oktober (alt) wird zum 18. Oktober (neu). Die meisten der rund 2500 russischen Einwohner siedeln in die Heimat zurück.

Was sagen die Amerikaner zur unverhofften Vergrößerung ihres Territoriums? Ein paar nörgeln angeblich über „Sewards Verrücktheit“ oder „Sewards Kühlschrank“ (ob das wirklich so war, ist historisch umstritten). Doch wer strategisch denken kann, erkennt den langfristigen Nutzen des Vertrags. Erstens: Die USA bekommen ein Stück Nordpolargebiet (man weiß nie, wozu man sowas mal brauchen kann).

Zweitens: Vielleicht lagern dort oben Bodenschätze (stimmt: 101 Jahre später findet sich tief unter der Prudhoe Bay ein gigantisches Ölfeld). Drittens: Beides schnappen sie den Engländern vor der Nase weg. Der Kauf Alaskas ist logische Folge einer Regel, die Präsident James Monroe schon 1823 verkündet hat: Auf dem amerikanischen Kontinent hat keine europäische Macht etwas zu suchen. Mit den Briten in Kanada muss man sich notgedrungen abfinden – aber durch die „Alaska Purchase“ nimmt man sie von Süden und Norden in die Zange.

Wie weise Seward gehandelt hat, zeigt sich, als 1904 der russisch-japanische Krieg ausbricht und die Flotte des Zaren sich gen Fernost aufmacht: Sie braucht acht Monate für die 18 000 Seemeilen und wird dann vor Tsushima versenkt. Ein Ergebnis des Krieges: Die russische Insel Sachalin wird zur Hälfte japanisch. Hätte es „Russisch Amerika“ noch gegeben – vielleicht hätten die Truppen des Tenno es sich ebenfalls gekrallt. Was hätten wohl die Bedenkenträger des Jahres 1867 zu dieser Vorstellung gesagt?

Zehn Jahre lang verwaltet die Armee das neue Gebiet, zwei Jahre das Finanzministerium, fünf Jahre lang die Kriegsmarine. 1884 bekommt es eine eigene Regierung, 1912 einen Sitz im Kongress, 1959 wird es der 49. Bundesstaat der amerikanischen Union (offizieller Feiertag: 18. Oktober). Auch William Sewards wird gedacht: Der „Seward's Day“ ist der letzte Montag im März und er-innert an die Vertragsunterzeichnung.

Ein kleines bisschen russisches Amerika ist immer noch übrig. Ein Drittel der indianischen Einwohner Alaskas pflegt bis heute das orthodoxe Christentum – mit 87 Kirchen, eigenem Bischof und eigenem Heiligen (dem Missionar Herman von Alaska). So mancher Familienname in Fairbanks oder Anchorage endet auf -ov oder -ev. Und am Hafen des früheren Nowo Archangelsk (heute heißt es Sitka) steht ein Totempfahl. Er zeigt den Doppeladler der Zaren.

Aber das sind nur kleine historische Reminiszenzen. Alaska ist heute amerikanischer als manch anderer Bundesstaat, sichere Bank der Republikaner bei den letzten 13 Präsidentschaftswahlen, berüchtigt für ein sogar nach US-Maßstäben lockeres Waffengesetz und als Heimat Sarah Palins, des Flintenweibs der Ultra-Rechten und wohl der skurrilsten Figur der US-Politik (zumindest vor dem 16. Juni 2015).

Zwar gibt es die AkIP, die „Alaskan Independence Party“ (Motto: „Alaska first“): Sie erklärt, das Land sei rechtswidrig zum Bundesstaat erklärt worden (weil es keine Volksabstimmung gegeben habe) und daher eigentlich unabhängig. Der Zuspruch für diese Theorie hält sich aber in Grenzen: In den zwei Kammern des Parlaments hat die AkIP je null Sitze.

Alaska kann aber auch viel fortschrittlicher. Seit 1976 gibt es dort den „Alaska Permanent Fund“, einen Fonds, in den ein Viertel der Rohstoffeinnahmen des Bundesstaats fließen. Jedes Jahr wird die Hälfte der Gewinne an die Einwohner ausgeschüttet – 2016 waren das pro Kopf stolze 1022 Dollar.

Ein Projekt wie aus dem Denklabor sozialistischer Gesellschaftsreformer, und das in einem der konservativsten Teile eines von vielen Linken wie die Pest gehassten Landes. Doch, das geht. Gerade in einer Gegend, für die sich stures Geradeausdenken verbietet – in jenem Teil des Westens, in den gelangt, wer nach Osten geht.

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