Udo Lindenberg wird 70 Udo, die coole Socke

Trommler, Sänger, Maler: Heute wird Udo Lindenberg 70 Jahre alt. Das hätte nicht jeder gedacht. Der Panikrocker, ein Meister der deutschen Sprache, macht sein Ding, unbeeinflusst von den Verrenkungen des Zeitgeists.

 Die Nachtigall aus Panikhausen im Konzert: Udo Lindenberg auf „Ich mach mein Ding“-Tour, März 2012 in der Lanxess-Arena Köln.

Die Nachtigall aus Panikhausen im Konzert: Udo Lindenberg auf „Ich mach mein Ding“-Tour, März 2012 in der Lanxess-Arena Köln.

Foto: dpa

Er ist der Mann der vielen Namen. Udo Lindenberg nennt sich selbst die Nachtigall aus Panikhausen. Bekannt ist er laut dem von Matthias Naef herausgegebenen „Udo Lindenberg Fanbuch“ auch als Astronaut, Commander, Superfinger, Detektiv Coolman – oder Riki Masorati. Lindenberg liebt schnelle Autos, seine bevorzugte Marke ist Porsche.

Einer der Songs auf seiner neuen Platte „Stärker als die Zeit“ heißt „Coole Socke“. Diese zwei Worte beschreiben den Mann, der am 17. Mai 70 wird, auf vollkommene Weise. Lässig hat er sich auch seinem Ehrentag genähert. „70 Jahre alt werden – das kann ja jedem mal passieren“, vertraute der Musiker Anfang April der Öffentlichkeit an. Und: „Ich freue mich, 70 zu werden, denn die Alternative wäre ja: nicht 70 zu werden.“

Seinen eigenen Geburtstag werde er „eigentlich nicht so“ feiern. Er habe ja schon 364 Tage im Jahr Party, am eigenen Geburtstag könne er dann kurz mal aussetzen – „da bin ich ganz Trommler und kenne die Kraft des Breaks, ne? Synkopen des Lebens, yeah. Und dann am nächsten Tag wieder voll auf die eins, godong, tschak."

Udo Lindenberg - eine Karriere in Bildern
12 Bilder

Udo Lindenberg - eine Karriere in Bildern

12 Bilder

Anlässlich des neuen Albums und seiner sieben Jahrzehnte auf Erden ist Lindenberg mit Lob überschüttet worden. Seit 2008, als er sich mit „Stark wie Zwei“ zurückmeldete, ist er wieder Kult. Das kam überraschend, denn Ende der 80er Jahre führte ihn ein Teil der Musikkritik als Witzfigur auf der Liste. Sie schmähten ihn als „rüstigsten Greis der westdeutschen Rockmusik“. Peter Saalbach stellte fest: „Seine nölige Stimme hat sich überlebt, der schlampige Auftritt mit dem taumelnden Gang und den Gummiknien passt nicht mehr in die Moden der Zeit.“

Hatten sich zum Comeback 2008 die Moden der Zeit geändert, oder hat Lindenberg sich gewandelt, angepasst? Natürlich nicht. Der im westfälischen Gronau geborene Musiker macht bis heute sein Ding, unbeeinflusst von den Verrenkungen des Zeitgeists.

Im programmatischen Lied „Mein Ding“ aus dem Jahr 2008 drückt er seinen Lebens- und Künstlerplan in einem selbstbewussten Refrain aus: „Und ich mach' mein Ding / egal, was die ander'n sagen / ich geh meinen Weg, / ob grade, ob schräg / das ist egal / Ich mach' mein Ding / egal, was die ander'n labern / Was die Schwachmaten einem so raten / das ist egal / Ich mach' mein Ding.“ Damit fing Klein-Udo schon in Gronau an. Das Haus von Gustav (Installateur) und Hermine Lindenberg sowie Udos älterem Bruder Erich und den jüngeren Zwillingsschwestern Inge und Erika steht in der Gartenstraße 3.

Über den Vater hat Lindenberg in seiner Autobiografie „Panikpräsident“ bemerkt: „Sein Lebenssinn war der Suff.“ Seine Mutter verehrte er: „Das war die bedingungslose Liebe von uns beiden. Das war die große Liebe.“ Der hibbelige Udo fing früh an, auf Gurkenfässern und Töpfen herumzutrommeln. Er hat Gronau als Jugendlicher verlassen, in Düsseldorf im Breidenbacher Hof gekellnert. Danach tingelte er durch die große weite Welt, schon als 16-jähriger Schlagzeuger ein Jahr lang jede Nacht durch die amerikanischen Jazzclubs von Tripolis, der Hauptstadt Libyens.

Im Jahr 1969 gründete Lindenberg zusammen mit Peter Herbolzheimer die Band Free Orbit. 1971 erschien „Lindenberg“, ein Jahr darauf „Daumen im Wind“. Der Durchbrach kam 1973 mit „Alles klar auf der Andrea Doria“. Lindenbergs deutsche Texte vermieden die Nähe zum „Schlagermist“ der Zeit, wie er rückblickend feststellte. Er führte die „Straßensprache“ in den deutschen Pop ein: „direkt von der Baumschule des Lebens, da hab ich meinen Abschluss gemacht, alles, was ich kann, habe ich auf der Straße gelernt, beim Rumstromern, das ist noch heute so, ich mach Straßenkunst.“

Die drückte sich in klassischen Lindenberg-Stücken aus: „Sommerliebe“ (1972), „Hoch im Norden“ (1972), „Alles klar auf der Andrea Doria“ (1973), „Cello“ (1973), „Sonderzug nach Pankow“ (1983), „Hinterm Horizont“ (1986), „Bis ans Ende der Welt“ (1988), „Ich schwöre“ (1996), „Durch die schweren Zeiten“ und „Stärker als die Zeit“ (beide 2016). Musikalisch betrachtet waren Lindenberg und sein Panikorchester keine Revolutionäre. Warum auch? Der Mix aus suggestiven Balladen und flotten Panikrock-Nummern funktioniert bis heute.

Der berufliche Erfolg ging einher mit dem aufregenden, aufzehrenden Leben eines Hamburger Pop-Promis, der seine ewige Heimstatt im Hotel Atlantic an der Außenalster finden sollte. Eine Boulevardzeitung hat die Biografie im Schnelldurchlauf gespiegelt: Rockstar mit 29. Herzkasper mit 43. Alkoholiker mit 50. Intensivstation auf 4,7 Promille mit 55. Rock-Rückkehr mit 62. Jetzt Erfolgsrausch.

„Unterm Säufermond“ von 1991 erzählt die private Geschichte ganz intensiv. Es ist eine Art Harald-Juhnke-Ballade, in der Lindenberg von vergangenen Exzessen berichtet und den strapazierten Körper dafür lobt, dass sein Besitzer den Löffel noch nicht hat abgeben müssen. Er singt: „Und der Whisky – der zieht runter / und sein Blut wird schnell und warm / und jetzt nimmt ihn Lady Whisky / ganz zärtlich in den Arm.“ Bei Konzerten entfaltete „Unterm Säufermond“ eine berührende Wirkung.

Lindenberg, der sich seine jugendliche Figur, seine charmante Schnoddrigkeit und seine nasal-scheppernde Stimme erhalten hat, ist ein großer Kümmerer. Kriege und Neonazis („Neonazis, verpisst euch. Niemand vermisst euch“), Aufrüstung und Nachrüstung, Atomenergie und Gastarbeiter, Bisexualität, Klavier und Cello, zuletzt auch Syriens Assad: All das liegt dem Sänger am Herzen. Die Menschen lieben ihn für seine Empathie. Und für seine sprachlichen Idiosynkrasien.

Die Alliterationswut zum Beispiel. Lindenberg hat Rudi Ratlos erfunden, Votan Wahnwitz und Bodo Ballermann. Der auch als Maler hervorgetretene Panikrocker ist ein Meister der Sprache. Wir verdanken ihm ein feines deutsch-deutsches Politpoem: „Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow / ich muss mal eben dahin, nach Ost-Berlin / ich muss da was klären mit eurem Oberindianer / ich bin ein Jodeltalent, und will da spielen mit 'ner Band / Ich hab'n Fläschchen Cognac mit / und das schmeckt sehr lecker / das schlürf' ich dann ganz locker / mit dem Erich Honecker.“

Mit 64 erhielt Lindenberg den Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache. Begründung: „Seine Lieder haben gezeigt, dass Rockmusik in deutscher Sprache erfolgreich sein kann.“ Die Grimm-Preis-geadelten Lieder hört man seither mit noch mehr Ehrfurcht: „Hallo, Erich, kannst' mich hören / Hallolöchen – Hallo / Hallo, Honey, kannst' mich hören / Hallo Halli, Halli Hallo / Joddelido.“

Die Ausstellung „Keine Panik. Udo Lindenbergs bunte Republik“ 2005 im Bonner Haus der Geschichte dokumentierte Stationen einer einzigartigen Karriere. Die Lederjacke war da, die Lindenberg 1987 dem SED-Führer Erich Honecker verehrte; natürlich auch die Schalmei, die der Staatsratsvorsitzende dem Sänger schenkte: „Viel Spaß beim Üben.“

Honecker, der sich für die Jacke artig bedankte („Sie passt“), war für Lindenberg ein „ziemliches Steiftier“. Stasi-Agenten waren dem unberechenbaren Künstler aus der BRD allzeit auf den Fersen. In seiner Akte hieß es in einer „Einschätzung der persönlichen und politischen Entwicklung“ Lindenbergs: „Die Musik und Texte seiner Lieder werden ab 1977 aggressiver und tendenziös sozialkritischer im Sinne seiner anarchistischen Denkweise.“ Kein Wunder, dass er, abgesehen von einem Auftritt 1983 im Palast der Republik, keine Gelegenheit erhielt, die Jugend der DDR im Livekonzert zu verunsichern.

Seine Fans auf der anderen Seite der Mauer liebten und verehrten ihn; Lindenberg nahm die Menschen drüben ernst. Heute ist die Mauer Geschichte, und Lindenberg gehört der ganzen, vereinten Nation.

Zum Lesen: Matthias Naef (Hg.): „Panik aus Prinzip. Das Udo Lindenberg Fanbuch“. Atlantik, 207 S., 10 Euro. Zum Hören: Udo Lindenberg: „Panikpräsident“. Gelesen von Udo Lindenberg und Ben Becker. Hörbuch, Random House Audio 2012, drei CDs.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort