Musik für die Großstadt So wird das Kölner Festival "Acht Brücken"

Köln · Polyphonie ist sein Leben: Das Kölner Musikfestival „Acht Brücken“ widmet dem Komponisten Georges Aperghis eine Retrospektive.

 Komponieren heißt Menschen beobachten: Georges Aperghis. FOTO: XAVIER LAMBOURS

Komponieren heißt Menschen beobachten: Georges Aperghis. FOTO: XAVIER LAMBOURS

Foto: KölnMusik GmbH

Georges Aperghis sieht im Leben keinen Sinn – macht aber nicht den Eindruck, als ob ihn das sonderlich betrübe. Theorien, die alles erklären können, findet er langweilig. Weil die Wirklichkeit ja ganz anders sei. Eine endlose Folge von Überraschungen. „Mich interessiert, was man am wenigsten erwartet, was am wenigsten logisch ist. Mich interessiert das, was am offensten ist.“ Statt auf Theorie setzt der 1945 in Athen geborene und in Paris lebende Komponist auf das konkrete Einzelne: auf den Menschen, der ihm gegenübersteht – den Sänger, der eine Stimme hat, den Musiker, der ein Instrument spielt, den Schauspieler, der sich bewegt. So hat er angefangen, neu angefangen, in den 1970er Jahren.

Da machte Aperghis Schluss mit dem, was er gelernt hatte, mit dem abstrakten Notenschreiben, ging raus aus dem feinen Zentrum der Stadt an ihre Ränder, wo niemand Kultur erwartet, aber vielleicht umso dringender braucht. „Ich wollte ein Theater für Leute, die nicht ins Theater gehen. Ein Theater ohne etwas dazwischen, ohne Kritiker, ohne Funktionäre, ohne eigenes Haus, ein Theater, das einfach da ist, wo die Menschen sind. Am Anfang sind nur Kinder gekommen und haben uns mit Steinen beworfen. Später kamen auch die Eltern. Irgendwann hatten wir ein Publikum.“

Heute arbeitet er mit Profis, selten noch wie damals mit Laien. Doch das Prinzip ist dasselbe. Für Aperghis heißt Komponieren: Menschen beobachten, mit ihnen reden, ihnen zuhören, auf sie reagieren. Er schreibt nicht einfach Stücke für Instrumente, sondern Stücke für die, die sie spielen. Oft sind es regelrechte Porträts der Interpreten, und wenn die Stücke später ein anderer spielt, muss er sie gelegentlich umarbeiten, damit sie wieder passen.

Doch nie passen sie so, dass man genau weiß, was sie wollen. „Ich versuche, etwas zu erzählen, aber nicht präzise. Ich möchte Gedanken in Bewegung bringen, möchte, dass die Zuschauer mitarbeiten, selber kreativ sind. Wenn die Leute zu viel wissen, hören sie nicht mehr zu. Es ist, wie wenn man sich in einer Stadt verlaufen hat. Erst dann schaut man wirklich genau hin.“

Georges Aperghis liebt die Stadt. Das Durcheinander der Geräusche und Stimmen, dieses Alles-geht-durcheinander-und-funktioniert-trotzdem-irgendwie. „GroßstadtPolyphonie“, das Motto von „Acht Brücken“, ist wie maßgeschneidert für ihn. „Polyphonie ist mein Leben, darum hat sich bei mir schon immer alles gedreht. Ich könnte nie ein Stück für einen einzigen Musiker schreiben – und wenn doch, dann müsste der sich in mehrere Persönlichkeiten aufspalten.“

So wie bei „Corps à corps – Schlag auf Schlag“. Es ist eines von 18 Stücken, die man beim Festival hören kann, in dieser bisher umfangreichsten Retrospektive von Aperghis‘ Schaffen überhaupt. Ein Reporter berichtet atemlos von einem Motorradrennen. Außer Atem gerät er vor allem, weil er selbst mitten in einem Rennen steckt, in einem Wettkampf mit einer kleinen Trommel, die er, während er redet, wie ein Wahnsinniger mit seinen beiden Händen bearbeitet.

Es ist ein Kampf ohne Sieger und Sinn. Ein Kampf ganz nach dem Geschmack von Aperghis. „Ich habe Musik immer so gehört, als würden Menschen sprechen. Schon als Kind hatte ich bei einem Mozart-Konzert das Gefühl: Das will mir jemand etwas sagen, bloß verstehe ich nicht genau, was.“

So hat Aperghis dann auch keine Botschaft. Und ist doch ein durch und durch politischer Künstler. Es geht ihm heute wie damals, in den Pariser Banlieues, um ein Verständnis dessen, wie Menschen miteinander zurechtkommen können. Was Kommunikation bedeutet, wie sie funktioniert, wie sie besser funktionieren könnte und wo sie gefährdet ist.

In einer Trilogie, deren erster Teil „Machinations“ im Festivalprogramm läuft, untersucht Aperghis die möglichen Folgeschäden von künstlicher Intelligenz, sozialen Medien und Überwachung. Menschen kommunizieren nur noch über Monitore und Kameras. Niemand schaut einem anderen noch direkt in die Augen, hört zu, wenn er spricht. Medien haben sich zwischen die Menschen geschoben. Sie sollen vermitteln, doch sie trennen nur. „Die entscheidende Frage ist, welche Rolle wir der Technologie und den Robotern zuweisen: Überlassen wir es ihnen, an unserer Stelle zu denken?“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort