Zeichnungen im Kunstmuseum So ist die neue Schau von Nanne Meyer in Bonn

Bonn · "Gute Gründe" heißt die herausragende Schau der Zeichnerin Nanne Meyer im Kunstmuseum Bonn. Ein Überblick über vier Jahrzehnte.

 Diabolisch: Nanne Meyers „Zinnober“, 2002-2004. FOTO: MUSEUM/NM

Diabolisch: Nanne Meyers „Zinnober“, 2002-2004. FOTO: MUSEUM/NM

Foto: Meyer

Zeichnung sei genau das Richtige für sie, sagt Nanne Meyer, das wusste sie schon während des Studiums an der Hochschule für bildende Künste in ihrer Geburtsstadt Hamburg in den späten 1970er Jahren. Warum? „Zeichnung hat unbegrenzte Möglichkeiten“, sagt die Künstlerin lapidar. Als Beleg dafür gibt es „Gute Gründe“. So heißt eine begeisternde Ausstellung im Kunstmuseum auf der Museumsmeile Bonn, die einerseits vier Jahrzehnte eines atemberaubenden Oeuvres umspannt, andererseits zeigt, wie uferlos und unerschöpflich das Medium Zeichnung sein kann, wenn man sich voll und ganz darauf konzentriert.

Da gibt es Linien, die ein bizarres Eigenleben entwickeln, einfache Zeichnungen, die die Welt der Worte und Erklärungsmuster aushebeln. Mal ist Meyer malerisch-poetisch unterwegs, mal analytisch, mal vom puren Nonsens getrieben.

Was mit Stift und Kreide auf dem Papier passiert, ist mindestens so spannend, wie der Untergrund der Zeichnung selbst: Meyer verwendet und verfremdet Postkarten und die unspektakulären, vergilbten und fleckigen Kartons, die am Ende des Ansichtskartenstapels auf dem Postkartenständer zu finden sind; sie interpretiert ausrangierte Karteikarten aus dem Naturkundemuseum Berlin neu; lässt sich von Schablonen für den Druck von Kimonos inspirieren, die sie in Japan auftrieb; sie erkennt in amtlichen Umlaufmappen, dass sie mal zwei, mal drei Sichtlöcher haben, bemalt sie mit blauschwarzem Schultafellack, setzt feine Zeichnungen darauf und arrangiert die Blätter zum „Sternenzelt-ähnlichen Gebilde“.

"Zeichnung war verpönt"

Als die heute 66-Jährige ihre Karriere startete, standen die Zeichen der Kunst eher gegen ihre Vorliebe: „Zeichnung und alles Narrative waren verpönt“, erinnert sie sich, „Humor in der Kunst durfte nicht sein.“ Im Trend lag eher die pathetische, üppige Prächtigkeit und monumentale Malerei der Neuen Wilden und deren Vorläufer. Meyers kleinformatige, filigrane Zeichnungen der 1980er Jahre waren zwar nicht minder heftig und zitierten auch mitunter Transavanguardia und Neuwildes, bewegten sich aber dennoch gegen den Mainstream. Das machte ihre Kunst so spannend. Es ist kein Zufall, dass Stefan Gronert Meyer im Kunstmuseum Bonn gleich in der ersten Folge seiner exquisiten, leider, leider wieder eingestellten Reihe „Zeichnung heute“ (1997-2007) quasi als Referenzkünstlerin zeigte. Und auch sein Kollege Volker Adolphs kam 2010 nicht an Meyer vorbei, als es darum ging, in der Ausstellung „Linie, Line, Linea“ eine Bestandsaufnahme der Zeichenkunst zu präsentieren (die ifa-Ausstellung tourt noch immer durch die Welt).

Adolphs hat auch die aktuelle Schau der in Berlin lebenden Hamburgerin kuratiert. Dabei verzichtete er auf eine Chronologie, konzentriert sich ferner auf Themenfelder. Etwa auf das Phänomen des Verschwindens und Weglassens, das sie bei der Serie der „Zwölf Zimmer“ praktizierte. In alten Wälzern fand Meyer Fotos von „übervollen und verplüschten“ Wohn- und Sterbezimmern berühmter Männer wie dem Herzog von Wellington, unter anderem Erfinder der Gummistiefel. Zeichnerisch isolierte sie einzelne Gegenstände, entrümpelte quasi die Zimmer: „Belüften und durchlüften, Schaffung von Zwischenräumen – darum geht es in der Zeichnung.“ Es sei „schön, dass man sich mit einem Stift und einem Blatt Papier so viel Aufregung verschaffen kann“, freut sich die Künstlerin über die einfachen Mittel und riesigen Möglichkeiten – und die wilden Aktionen, die ihre gezeichneten Akteure in der Serie „Berliner Ensemble“ entfesseln.

Vermessung der Welt

Wahre Fundgruben sind Meyers fantastische „Jahrbücher“ (1986-2018), die am 4. September exklusiv durchblättert werden können. Dem Komplex Zeichnung und Sprache ist ein spannendes Kapitel gewidmet. Ein weiteres präsentiert in schöner Ausführlichkeit Meyers kartographische Experimente: Sie arbeitet mit Atlanten, den gerollten Karten aus dem Erdkundeunterricht, Plänen und Schnittmusterbögen, die sie stark verändert, um ganz neue Informationen aus dem Material herauszudestillieren.

Herrliches Schlussbild: Das gerade erst vollendete Riesenformat „Erinnerung an einen Nachtflug“, eine filigrane, fein verästelte, weiße Zeichnung auf dunklem Grund. Darin will man sich verlieren.

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