Buchtipp Roman der Verlegerin Helen Wolff erscheint im Bonner Weidle-Verlag

Bonn · Zusammen waren Helen und Kurt Wolff eins der begnadetsten Verlegerpaare, das Deutschland je hatte. Jetzt, 26 Jahre nach ihrem Tod, erscheint Helen Wolffs sommerliches Jugendwerk „Hintergrund für Liebe“ im Bonner Weidle-Verlag.

 Helen Wolff, gezeichnet von Kat Menschik

Helen Wolff, gezeichnet von Kat Menschik

Foto: Weidle

„Das also ist der Finish – der Kilometerzeiger springt von 100 auf 110“, schreibt Helen Wolff in ihrer Erzählung „Hintergrund für Liebe“. Und legt dann im Zeitraffer nach: „Hinter uns liegt ein Nebelmorgen im Savoyer Gebirge, Steinhütten, Armut, Kargheit, grau der Stein und die Bewohner, Ziegenherden, vom Savoyardenknaben getrieben, süße Lesebucherinnerung – und dann der Abstieg, Hinuntergleiten in die selige Ebene, in den ersten Sonnentag, in ein makelloses Kirchenfensterblau, in fruchtbare Weite, in Olivenwälder – Provence heißt dies –, alt, schwer und reich von Geschichte, im Keller vieler Jahrhunderte abgelagert und geklärt, und immer wieder neu an die Sonne geboren...“

Es gibt das Genre des Road-Movie, für Wolff müsste man die Gattung Road-Story erfinden. Eine junge Frau und ein bedeutend älterer Mann sind zunächst in der Schweiz, dann in Frankreich mit dem Auto unterwegs. Er ist verheiratet, sie seine Geliebte. Der Rausch der Geschwindigkeit koppelt sich mit dem der Eindrücke und Gefühle, mit der wachsenden Sehnsucht nach Zweisamkeit und Freiheit gleichermaßen.

„Ich bin klein, Du bist groß“

Er fährt, natürlich, weiß ohnehin, wo es nicht nur auf der Route langgeht im Leben. Sie lässt sich führen, verführen. „Wir werden mit der Entjungferung fortschreiten. Hier ist Frankreich“, sagt er großspurig. „Du sagst es großartig, als reichest Du mir das Land auf dem Präsentierteller“, entgegnet sie devot. Sagt später: „Ich bin klein, Du bist groß.“

„Du schenkst mit ein. Der ungewohnte Wein zieht seine Kreise, ich glaube, ich bin der Stein, der ins Wasser fällt, jetzt versinke ich ganz tief, und dann treibt es mich wieder ganz leicht an die Oberfläche, wo ich liegen bleibe, selig“, schreibt Wolff. Poetischer lässt sich ein kleiner Alkoholrausch nicht beschreiben. Auch nicht der willenlose Zustand der jungen Frau. Der aber in „Hintergrund für Liebe“ nur knapp 30 Seiten anhält.

Denn da hat sich viel angesammelt von der Überheblichkeit, Besserwisserei und Bevormundung des Mannes, von der Art, wie der Charmeur alter Schule die 20 Jahre jüngere Frau behandelt hat. Sie bricht aus, schreibt Dinge wie „Geliebter – wir gehören nicht zusammen“ und „Deine Welt ist nicht meine Welt“ und „Nein, Lieber, nicht mit mir“, reist allein weiter und findet in Saint-Tropez eine kleine Hütte, Freunde und zu einem selbstbestimmten Leben.

Wolff beschreibt diese Phase einer überaus sinnlichen Erkundung einer fremden Welt mit Leidenschaft und Poesie. Kaum ein Satz, den man in dieser lockeren Sommererzählung einfach so weglesen will, überall poetische Miniaturen, feine Beobachtungen und eingefangene Stimmungen.

Die Idylle ist nicht von Dauer

Die Idylle an der Côte d‘Azur ist nicht von Dauer. Bei einer Tanzveranstaltung trifft sie ihren Geliebten wieder, der sich inzwischen mit einer anderen Frau zusammengetan hat. Mehr soll jetzt nicht verraten werden.

Wolff, die später an der Seite ihres Mannes Kurt Wolff und durchaus selbstständig in den USA eine beeindruckende Karriere als Verlegerin hinlegte, war 24, als sie „Hintergrund für Liebe“ schrieb. Ein großer Wurf, der hohe Erwartungen hätte schüren können, hätte sich  Wolff nicht explizit gegen die Schriftstellerei und für das Arbeiten mit Autoren entschieden.

Ihr schmales Oeuvre – zwei Theaterstücke, die Erzählung „Hintergrund für Liebe“, Notizen für ein Romanprojekt und ein Dutzend Essays – fand sich in ihrem Nachlass mit dem Hinweis „At my death, burn or throw away undread!“ (nach meinem Tod verbrennen oder ungelesen wegschmeißen!). Gottseidank setzten sich die Nachfahren darüber hinweg.

Helen Wolff, Jahrgang 1906, heiratete 1933 den in Bonn geborenen Kurt Wolff (1887-1963), der im jungen 20. Jahrhundert als Verleger von Franz Kafka und expressionistischer Dichtung zur Instanz wurde. Kurt und Helen emigrierten 1933 zunächst nach Frankreich, dann in die USA. 1942 war sie Mitbegründerin des Verlags Pantheon Books und brachte seit 1961 unter dem Gütesiegel „A Helen and Kurt Wolff Book“ europäische Literatur im Verlagskonzern von Harcourt, Brace & World heraus. Darunter Titel von Uwe Johnson, Max Frisch, Italo Calvino, Georges Simenon, Günter Grass, Amos Oz, Umberto Eco und anderen. 1994 starb Helen Wolff.

Biografisches Nachwort

Die Großnichte der Autorin, die Historikerin Marion Detjen, die seit Jahren an einer bestimmt unbedingt lohnenswerten Biografie der Verlegerin arbeitet, breitet im umfangreichen Nachwort zur Erzählung deren Hintergründe aus. Interessant sind besonders die autobiografischen Bezüge. Wann genau sich Helene Mosel und der verheiratete Kurt Wolff erstmals näher kamen, ist nicht bekannt. Aber seit Ende 1928 unternahmen Wolff und seine „Privatsekretärin“ Mosel etliche gemeinsame Reisen.

Die erste Südfrankreich-Tour der Beiden im Jahr 1929 liefert die Grundstruktur der Erzählung, weitere Details und Episoden speisen sich aus Reisen der Jahre 1931 und 1932. Zum Beispiel Details über das ausschweifende Liebesleben des Bonvivants Wolff, den man durchaus als Polyamoristen bezeichnen kann.

Als Helene ihn 1931 im südfranzösischen Menton besuchte, sah sie sich mit einer neuen Geliebten ihres Geliebten konfrontiert: die strahlende, elegante Manon von Neven Dumont, zehn Jahre älter als Helene. Kurt Wolff schlug eine ménage à ­trois vor (nicht die erste in der Beziehung zwischen Kurt und Helene). Die junge Frau versuchte, die neue Konstellation literarisch zu verarbeiten, hielt es ansonsten nicht lange in der Dreierkiste aus und zog in das Häuschen „Cabanon“, das sich wiederum in „Hintergrund für Liebe“ wiederfindet. Ihrem Bruder Georg schrieb Helene Mitte Juni 1931: „Manon gehört zu den Frauen, die man heiratet, u. Kurt zu den Männern, die man nicht heiratet – das hält die Manon auf die Dauer nicht aus.“ So war es dann auch: Ab September 1931 gilt Helene Mosel offiziell als Partnerin des Verlegers. Im Spätsommer 1932 schreibt sie ihre Erzählung „Hintergrund für Liebe“.

Politische Lage ausgeblendet

Während allerlei Autobiografisches einfließt, bleiben die zunehmend brisanter werdende politische Situation und die im Zuge der Weltwirtschaftskrise prekärer werdende finanzielle Lage weitestgehend unerwähnt. Immerhin ist einmal von „Hie Cointreau, hie Pernod rufen die Plakate – Hitler und Hindenburg sind weit“ die Rede. Detjen bringt es auf den Punkt: „An der Oberfläche völlig unpolitisch, enthält die Erzählung ein gegen den Zeitgeist und gegen die Machtverhältnisse gerichtetes Bekenntnis zu einer transnationalen, humanistischen Weltsicht.“ Und „ganz und gar unfeministisch“ stelle sie das traditionelle Geschlechterverhältnis „zwar nicht in Frage, dafür aber regelrecht auf den Kopf.“ Da sind Zweifel angesagt. „Hintergrund aus Liebe“ sollte zunächst bei Rowohlt erscheinen, dann bei Ullstein, möglicherweise im Zürcher Europa Verlag. Alles zerschlug sich. Jahrzehnte lag es dann unveröffentlicht in der Schublade.

88 Jahre nachdem die 24-jährige Helene Mosel „Hintergrund für Liebe“ schrieb, hat nun der Bonner Weidle Verlag die Erzählung endlich herausgebracht. Blühendes Frühwerk einer sehr begabten Autorin, die leider das Schreiben ließ, um anderen eine Chance zu geben.

Helen Wolff: Hintergrund für Liebe. Mit einem Essay von Marion Detjen. Weidle Verlag, 216 S., 20 Euro.

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