Musik ist Trumpf "Zur schönen Aussicht" in den Kammerspielen enttäuscht

Bad Godesberg · Im Karikatur-Modus: Ödön von Horváths „Zur schönen Aussicht“ in den Kammerspielen Bad Godesberg enttäuscht. Die Regie setzt auf selbstverliebte Effekte.

 Opfer und Täter: (von links) Goltz, Tuschy, Lydia Stäubli, Wolfgang Rüter und Daniel Breitfelder.

Opfer und Täter: (von links) Goltz, Tuschy, Lydia Stäubli, Wolfgang Rüter und Daniel Breitfelder.

Foto: Thilo Beu

Das Unglück beginnt mit einem hübschen Einfall. Regisseur Sebastian Kreyer tritt in der Rolle eines Erzählers mit Mikrofon und historischem Knickerbocker-Ensemble vors Publikum und führt in den folgenden, gut dreistündigen (inklusive Pause) Theaterabend ein. Kreyer erzählt, dass er mit dem Bühnenbildner Matthias Nebel ins bayerische Murnau gereist sei, um sich vom Ort und den Menschen inspirieren zu lassen. Die beiden Theaterleute wandelten auf den Spuren von Ödön von Horváth, dessen 1926 geschriebenes Stück „Zur schönen Aussicht“ sie in den Kammerspielen zur Aufführung bringen wollten. Auch Horváth ließ sich von Murnau am Staffelsee und den Murnauern inspirieren.

Kreyer entdeckte in einem Gasthaus in Murnau Parallelen, etwa am politisch rechten Rand angesiedelte Meinungen. Kreyers Botschaft: Da sieht man wieder einmal, wie aktuell Horváth (1901-1938) sein kann, der in seinen Stücken die Zeit des aufkommenden Faschismus reflektierte.

Der Spielleiter begleitete seine Theaterillusionsbrechung mit biografischen Details zum Autor Horváth und zur Entstehungszeit seines erst 1969 erstmals in Graz aufgeführten Dramas. Dann übernahm der Videodesigner Valerij Lisac, eine Leinwand fuhr herunter, und das Publikum sah alte Postkarten eines Hotels, das längst nicht mehr existiert.

Matthias Nebel hat das Haus „Zur schönen Aussicht“ in den Kammerspielen mit viel Liebe zum Detail rekonstruiert und, ganz im Stil der Inszenierung, die 1920er Jahre an die Gegenwart herangeführt: mit Musikbox und Tastentelefon.

Die Inszenierung hat den Anspruch, das Leben von Menschen in der Existenzkrise zu spiegeln. Regisseur und Ensemble wollen den erbarmungslosen Umgang der Horváth-Figuren in einer ökonomisch verheerenden Inflation zeigen und einen Blick in die Abgründe menschlicher Emotionen werfen. Lisa Hedler hat das in der „Theaterzeitung“ angekündigt. Man sieht: Auch Theaterdramaturgen beherrschen Fake News und alternative Fakten. Hedlers Worte sind reine Behauptung. Der von Schauspielchefin Nicola Bramkamp maßgeblich mitbetreute Abend bewegt sich in eine ganz andere Richtung.

Das Theater schaltet nach der Einleitung umstandslos in den Karikatur-Modus. Er kommt in keinem Augenblick in Übereinstimmung mit dem Ernst, den Kreyers Moderationen und Videoeinspielungen, zum Beispiel von prominenten Emigranten, immer wieder aufrufen. Sören Wunderlich als Page startet den Bühnenspielbetrieb mit einem Lied, einem Duo mit Aufwischlappen. Hajo Tuschy tritt als Chauffeur Karl auf, beide schwuchteln sich durch die erste Szene und stellen einen künstlichen Ton aus, der zur Signatur des Abends werden wird und die auftretenden Figuren umstandslos zu Karikaturen schrumpft.

Worum geht es? Das von Strasser (Glenn Goltz) geführte Hotel „Zur schönen Aussicht“ ist ökonomisch auf dem absteigenden Ast. Das Personal ist windig, der einzige zahlende und das Miteinander auch sexuell dominierende Gast ist Ada Freifrau von Stetten (Sophie Basse): in Horváths Worten „ein aufgebügeltes, verdorrtes weibliches Wesen mit Torschlusspanik“. Drei im Hotel eintreffende Menschen verursachen die handlungsvorantreibenden Konflikte. Emmanuel Freiherr von Stetten (Daniel Breitfelder) ist Adas dekadenter Bruder und pleite. Müller (Wolfgang Rüter) will beim finanziell klammen Hoteldirektor eine Sektlieferung abrechnen. Christine (Lydia Stäubli) hat ein Kind von Strasser und fordert Zweisamkeit und gemeinsames Glück ein. Doch das Hotelkollektiv macht sie fertig. An diesem Ort leben die Menschen Niedrigkeit und Gewalttätigkeit aus – von wegen Ebenbild Gottes. Horváth drückt das in komischen, makabren, absurden und bitteren Dialogen aus.

Sebastian Kreyer fühlt sich keinem Autor verpflichtet, sondern nur sich selbst. Das hat er bereits mit Juli Zehs „Nullzeit“ und Anton Tschechows „Möwe“ in Bonn bewiesen. Für Horváth hat er sich ein Effektpotpourri aus anspielungsreichen und assoziativen Projektionen ausgedacht. Die Musik ist Trumpf: Zu hören sind Schnulzen, Schlager und Popsongs, zum Beispiel Tom Schillings „Major Tom“, Nena, Monika Martin und Nina Simone (mit „The Other Woman“). Konfetti, Maskeraden, Slapstick und Improvisationen gehören ebenso zum stilistischen Angebot. Dem Stück und seinem Autor dient das alles nicht. Horváth ist der große Abwesende in den Kammerspielen.

Kommen wir zu den guten Nachrichten: dem fabelhaften Ensemble. Es macht aus Karikaturen Kunststücke. Warum nutzt in Bonn niemand dieses Talent für eine echte Komödie? Sophie Basse ist klasse als Ada: eine, wie man heute sagen muss, dental beeinträchtigte, schrille Powerfrau; die Maske hat ihr ein Pferdegebiss verpasst. Sie drangsaliert jeden um sie herum und reitet am Ende auf dem Hexenbesen davon. Daniel Breitfelder als ihr Bruder Emmanuel tritt auf wie ein in die Länge gezogener Rudolph Moshammer: eine herrlich österreichernde „drama queen“. Glenn Goltz ist als eintänzerhafter Gockel Strasser ein Mann mit wechselnden Haarteilen und wandelbarer, nie den Eigennutz verleugnender Identität.

Hajo Tuschy versteckt ganz in Leder die gemeingefährlichen Tendenzen seines Karl. Wolfgang Rüter, ein geborener Komödiant, macht die faschistoiden Neigungen seiner jovial auftretenden Figur sichtbar. Sören Wunderlich als ewig überforderter Page und Kellner besitzt, wenn alles für ihn zu viel wird, die aufgeregte Motorik eines Zitteraals. Lydia Stäubli als Christine bleibt lange leise, umwerfend dann ihr explosiver Moment als rasende Furie.

Die tollen Schauspieler bewegen sich leider in einer ganz eigenen, weitgehend Horváth-freien Welt. Nach der Pause verselbstständigen sich die Effekte. Das quälende lange Finale definiert das Wort Agonie neu.

Die nächsten Aufführungen: 25. April; 6., 18., 27. und 30. Mai. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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