Würde ist auch eine Frage des Kontostandes

Der mit 8 000 Euro dotierte Bonner Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik geht an die Berliner Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen

Würde ist auch eine Frage des Kontostandes
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Für Felicitas von Lovenberg ist Silvia Bovenschens Abhandlung "Älter werden" ein "Buch, das in der Hand zu glühen scheint, bevor es sein Feuerwerk im Kopf des Lesers entfacht".

Eigentlich hätten die beiden - Journalistin und Literaturkritikerin die eine, Literaturwissenschaftlerin und Essayistin die andere - am Dienstag im Festsaal der Bonner Universität zusammentreffen sollen. Dort, wo der 21. Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik verliehen wurde.

Die Berlinerin Silvia Bovenschen erhielt die mit 8 000 Euro dotierte Auszeichnung für ihr Gesamtwerk und hatte, da sie aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Preisverleihung teilnehmen konnte, eine Videobotschaft vorbereitet. Zuvor nahm ihre Rezensentin aus Frankfurt den Förderpreis für Essayistik in Höhe von 4 000 Euro direkt im Saal entgegen.

1984 von Thomas Grundmann und der Bonner Buchhandlung Bouvier im Gedenken an den Bonner Romanistik-Professor Ernst Robert Curtius gestiftet, stellt der Preis den deutschsprachigen Essay analog zum angelsächsischen und romanischen Sprachraum als eigenständige literarische Form heraus.

Auf der Liste der bisherigen Preisträger finden sich Namen wie Golo Mann, Hilde Spiel, Hans Magnus Enzensberger und Dieter Wellershoff. Silvia Bovenschen ist nun, nach Hilde Spiel und Brigitte Hamann, die dritte Frau, der diese Ehrung zuteil wird. Geboren 1946 im Oberbayern, studierte sie Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie und promovierte 1977 an der Universität Frankfurt am Main über die "imaginierte Weiblichkeit".

Bovenschen lebt heute als Schriftstellerin und Essayistin in Berlin, wurde im Jahr 2000 mit dem Roswitha-Preis und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis ausgezeichnet. 2006 erschien ihr Buch "Älter werden". Eine unverstellte, humorvolle und auch schonungslose Bestandsaufnahme einer 60-Jährigen, wie Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus in seiner Laudatio ausführte.

Die Autorin, die seit mehreren Jahrzehnten mit der unheilbaren Krankheit Multiple Sklerose lebt, sieht dem dem Altern nicht zuletzt auch deshalb alles andere als unbeschwert entgegen. Es mag sie ja geben, die Menschen, die in zufriedenem Wohlstand auf das Erreichte zurückblicken können und endlich genug Zeit für Hobbys finden.

Doch die Kehrseite dessen ist angesichts der Altersarmut und des Notstandes in den Pflegeheimen mitunter grausam und "persönliche Würde am Ende doch eine Frage des Kontostandes". Silvia Bovenschen schreibt offen und ehrlich, ohne dabei verbittert oder gar larmoyant zu wirken.

Ihre Dankesrede zum Thema "Abstürze" steckt voller Bonmots und erfrischender Selbstironie. Denn auch wenn sie Hitchcocks "Vertigo" zu ihren Lieblingsfilmen zähle und den "Sog in die Tiefe" immer wieder in sich selbst spüre, sei die Fallhöhe aus einem Rollstuhl nichts, das ihr noch große Sorgen mache.

Abstürze, von denen die Ernst-Robert-Curtius-Preisträgerin 2007 spricht, sind Felicitas von Lovenberg bislang erspart geblieben. Geboren am 27. März 1974 in Münster, legte sie eine bemerkenswerte Karriere vor. Die Förderpreisträgerin studierte Neuere Geschichte in Bristol und am Saint Anthony's College in Oxford, absolvierte Praktika bei einem Aktionshaus in New York sowie in Redaktionen mehrerer deutscher Tageszeitungen.

Seit 1998 ist sie Feuilleton-Redakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dem breiten Publikum wurde sie durch ihr Buch "Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie" und ihrer Absage an die Allmacht der romantischen Liebe bekannt, in dem sie das Scheitern ihrer Ehe mit einem Industriellen verarbeitete.

Und auch beruflich verfolgt sie ihre eigene Relativitätstheorie, wie ihre launige Dankesrede deutlich macht. So sei zwar ihre Arbeit weitaus weniger glamourös, dafür aber viel anstrengender als die meisten meinten. Dafür halte das Leserpublikum ein besonderes Geschenk für den Rezensenten bereit: "Vertrauen in sein Urteil". Und dafür lohne sich jede Mühe.

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