Schauspielpremiere in der Halle Beuel Woyzeck geht baden

BEUEL · Die letzte Schauspielpremiere in der Halle Beuel: Simon Solberg inszeniert ein Projekt nach Georg Büchner. Das Publikum hat ganz viel Solberg gesehen, aber lediglich Spurenelemente von Büchner.

 „Ich bin ein armer Kerl“: Serkan Kaya als Woyzeck.

„Ich bin ein armer Kerl“: Serkan Kaya als Woyzeck.

Foto: ga

So etwas hat die Halle Beuel noch nicht erlebt. Der Regisseur Simon Solberg inszeniert „Woyzeck“. Sein Projekt nach Georg Büchner ist ein Effektgewitter, eine bildkräftige Assoziationsattacke, ein nicht enden wollendes Einfallsfeuerwerk. Nach 90 pausenlosen Minuten ist dann doch Schluss. Das Publikum hat ganz viel Solberg gesehen, aber lediglich Spurenelemente von Büchner. Die Schauspieler standen die meisten Zeit knöcheltief im Wasser, Solberg liefert die Überschrift zu seiner Inszenierung also gleich mit: Woyzeck geht baden. Die Zuschauer in der ersten Reihe werden nicht nass, sie bekommen Plastikplanen.

Büchners 1836 in Zürich verfasstes und 1913 in München uraufgeführtes Dramenfragment besitzt in der Halle Beuel keinen erzählerischen Kern, keine ausgearbeitete Geschichte. Zur Erinnerung: Das Stück handelt vom armen Soldaten und Barbier Woyzeck, der am Ende seine ihm untreue Freundin Marie ersticht und in einem Teich verschwindet.

Die Menschen kommen Woyzeck, der unter anderem das Versuchskaninchen für ein Menschenexperiment (Erbsendiät) spielt, mit Tugend und Moral. Dabei ist er doch nur ein armer Kerl, einer, der an den ökonomischen Widrigkeiten seiner Existenz ebenso leidet wie an den Demütigungen und der Gewalt der Umwelt. Büchners Vision ist düster. Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man hinabsieht, heißt es beim Dichter. Simon Solberg hat sich von Maike Storf eine multizeichenhafte Bühne mit Wasserlauf, Grünpflanzen, großem Puppenhaus, Hamsterrad (respektive Mühlstein) und Projektionsflächen bauen lassen. Er begibt sich auf das weite Feld einer marxistisch grundierten Kapitalismuskritik.

Unter einem Bundesadler, der auf die Szene niederblickt, heißt es: „Der deutschen Wirtschaft“. Die Menschen erscheinen fremdbestimmt, als zappelnde Marionetten, die „Beschäftigung“ zwingt sie ins Hamsterrad.

Andres (Robert Höller), der aussieht wie ein Trapper, redet von einer möglichen Veränderung der Verhältnisse, resigniert jedoch und zieht es vor, „nichts zu tun“.

Der Abend beginnt im Halbdunkel, als philosophisch-medizinisch-büchnerautobiografischer Auftakt. Woyzeck (Serkan Kaya) wird eingeführt, Andres, Hauptmann (Laura Sundermann), Doktor (Hajo Tuschy) und Marie (Maike Jüttendonk) treten auf. Sie tragen bedruckte Unterhemden und Unterhosen – von „fett“ (Marie) bis „Beschäftigung“ (Woyzeck). Das gespensterhafte, mit Taschenlampen erhellte Spiel ist sich selbst genug, der Zuschauer als möglicher Adressat bleibt außen vor.

Anschließend kann sich das Publikum einlassen auf skurril kostümierte „Kugelmenschen“ und fantastische Tierwesen mit Hasenohren. Die Halle Beuel wird Rummelplatz und TV-Showbühne. Marie schwebt wie Tarzans Jane an der Liane durch den Raum, und es regnet Konfetti. Ein bisschen Happening hier, ein bisschen Wasserballett dort, ausgestellte Verzweiflung und Aggression, Kamerafahrten, donnernde Musikbeschallung und anstrengende Kakophonie.

Woyzecks Erbsen-Experiment erscheint als surrealer Slapstick. Marie singt die Zeile „Love, love will tear us apart again“ von Joy Division, bebildert ihre materielle Seite mit einer „Madame“-Zeitschrift und quiekt, als ihr das „Pealando“-Paket ins Haus kommt. „Pea Bull“ gibt es auch. Die Inszenierung liebt das englische Wort „pea“ (Erbse). Wo bleibt das Stück, wo bleiben die Schauspieler? Sie dienen dem Regisseur, dem unersättlichen Bildererfinder Simon Solberg als Material (Büchner) und als Instrumente (Schauspieler). Ein, zwei kostbare Momente lang dürfen Serkan Kaya und Maike Jüttendonk Mensch sein. Im Fall von Marie unterbricht eine höhere Instanz die Szene: „Cut.“

Eine konsequente Intervention. Der Regisseur ist hier der Star.

Die nächsten Vorstellungen: 3., 6., 7., 12., 17. und 20. März. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA Zweigstellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Worte für alle
lit.Cologne: Die Welt der Literatur in Köln Worte für alle