Kölner Fälscherprozess Wolfgang und Helene Beltracchi gehen in die Offensive

KÖLN · Andere waren nach ihrem Prozess Geschichte, bei uns fängt die Geschichte erst noch an." So wird Anwalt Reinhard Birkenstock von seinem Mandanten Wolfgang Beltracchi zitiert, der momentan fast noch präsenter wirkt als im berühmten Kölner Kunstfälscherprozess.

Zwar verbringt der 2011 zu sechs Jahren Haft Verurteilte die Nächte anders als seine auf freien Fuß gesetzte Gattin Helene (sie bekam vier Jahre) noch im Knast, was ihn aber nicht an einer gigantischen Medienoffensive hindert.

Gestern erst einmal ein doppelseitiges "Zeit"-Interview, in dem er bestreitet, 30 Millionen Euro mit seinen Fälschungen verdient und noch Geld beiseite geschafft zu haben. Gleichzeitig sei "eine ganze Reihe" seiner Werke noch im Umlauf. "Ich bin in jedem Fall auch ein großer Betrüger" gibt Beltracchi zu, sieht den renditegierigen Kunstmarkt aber als Mittäter. Und sich als Künstler, der den Stil großer Kollegen wie Max Ernst, Heinrich Campendonk oder André Derain "vervollkommnet" habe.

Heute wird dann die zweite Stufe der PR-Rakete gezündet: Bei Rowohlt erscheinen zwei vorher sorgsam geheim gehaltene Bücher: Das von Helene wie Wolfgang verfasste "Selbstporträt" und die Gefängnisbriefe ("Einschluss mit Engeln"), die das Paar von August 2010 bis Oktober 2011 tauschte.

Schließlich kommt der pikanterweise von Anwalts-Sohn Arne Birkenstock gedrehte Dokumentarfilm über den Kunstskandal am 6. März in die Kinos. Die ganz großen Enthüllungen jenseits der seinerzeit 53 vom LKA Berlin ermittelten Werke der fiktiven Sammlung Jägers gibt es auf den ersten Blick nicht, eher eine kleine Zugabe (er fälschte u.a Johannes Molzahn) hier und da. Etwa die bizarre Geschichte, dass ein verdächtiges Beltracchi-Werk später offenbar noch von anderen Kollegen technisch "verbessert" wurde.

Mit einer Detailwut, die man selbst bei bedeutenden Gestalten der Zeitgeschichte gern entbehrte, schildert Beltracchi etwa Kindheitstristesse in Geilenkirchen. Vom Vater, einem Kirchenmaler und Restaurator, lernt er Stile und Techniken kennen, mit seinem Schwager André grast er die belgischen Antiquariate, Flohmärkte und Galerien ab. Und als das Duo sieht, dass sich belebte Winterszenen besser verkaufen als pure Landschaften, malt Beltracchi, der damals noch Fischer heißt, eben ein paar Schlittschuhläufer dazu. Fingerübungen eines Fälschers, der Bellini liebt und Beuys für einen Schwätzer hält.

Dass er von eigenen Originalen leben könnte, zeichnet sich früh ab. Doch für ihn steht fest: "Die Daseinsform eines werktätigen Malers stieß mich ab." Außerdem: "Ich hatte keine Zeit für dunkle Töne, mein Leben sollte bunt sein." Und das wird es: LSD, wilde Jahre in Marokko, schöne Frauen und später mit der großen Liebe Helene (seit 1992) das große Geld. "Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen", erzählt sie, die dann etwa von Werner Spies (gegen Provision) Echtheitsexpertisen für Max-Ernst-Werke bekommt, die Beltracchi mit Schwemmholz vom Strandspaziergang gefälscht hatte.

Angehende Nachahmer lernen hier einiges über "Trockenschränke" oder Mehlkleister. Es gibt packende Passagen über Helenes Pariser Panik mit einem falschen Matisse oder die surreale Szene, da Campendonks "Rotes Bild mit Pferden" beim Trocknen vom Winde verweht wird. Doch hier wie auch in den Knastbriefen behält das Paar die alleinige Deutungshoheit über sein Tun. Man sieht sich in Ossendorf eher in "Beugehaft als U-Haft" und nutzt die immer wieder verzögert zugestellten Liebesbriefe (er: "mein Engel", sie: "mein lieber Muck") als emotionales Überlebensmittel.

Sie träumen sich in bessere Zeiten unter Olivenbäumen, während Wolfgang schreibt: "Über mir zerlegt ein Junkie schreiend seine Zelle." Wenn sich die an Brustkrebs erkrankte Helene um ihre Gesundheit sorgt und an die von der Festnahme der Eltern schockierten Kinder denkt, fühlt man durchaus mit ihr. Doch dass sie als Verbrecher zu Recht dort sitzen, kommt Helene und Wolfgang in ihren Briefen kaum je in den Sinn.

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