Kölner Konzert-Höhepunkte Wilde Träume und brachialer Rock

KÖLN · Kreischen aus Tausenden von jugendlichen Kehlen, als zwölf Tänzer auf die Bühne stürmen und dabei fast übereinander zu purzeln drohen. An den Körpern der Swifties blinken bunte, selbstgebastelte Installationen. Plakate werden in die fahrbare Kamera gehalten.

 Spezialistin für Liebe, Selbstfindung und verletzte Gefühle: Taylor Swift in der Lanxess-Arena.

Spezialistin für Liebe, Selbstfindung und verletzte Gefühle: Taylor Swift in der Lanxess-Arena.

Foto: Thomas Brill

Man kommt aus Thailand oder ist 15 Stunden von Ungarn gefahren, um das erste der beiden seit Silvester 2014 ausverkauften Konzerte in der Kölner Lanxess-Arena zu erleben.

Der einstige Country-Star ist im vergangenen Jahr aus Nashville nach New York gezogen, um dort ihr sechstes Studio-Album "1989" aufzunehmen, das sich, von jeglichem Countryeinfluss gereinigt, vor den achtziger Jahren verbeugt. Glücklicherweise ist das Bekenntnis zum Synthie-Overkill dieser Zeit so beschwingt ausgefallen, dass selbst amerikanische Polizisten die Hits im Dienstauto mitsingen. Der Eröffnungssong "New York" ist eine Liebeserklärung an die liberalste aller Metropolen, in der man wollen kann, was man wollen möchte: "Boys and boys, girls and girls".

New York mag neue Aufregung in das Leben der "Queen der Normalos" gebracht haben, neue Tiefe konnte es der piepsigen Stimme noch nicht geben. Aber ihr Selbstbild wird zweideutiger. In "Blank Space" gibt sich Taylor als eifersüchtiger Furie: "I'm a nightmare dressed like a daydream."

Die jugendliche Anhängerschar singt jedes Wort ergriffen mit. Es geht um Liebe, verletzte Gefühle. Wie ihre jungen Fans, macht Taylor Swift lange vor ihrem ersten Boyfriend Liebeserfahrungen in TV-Serien, die sie zu Texten verarbeitet und den Musikgewaltigen in Nashville vorsingt. Die finden die Vierzehnjährige niedlich und wollen sie produzieren. Aber ohne ihre Texte und ohne ihre Musik. Doch die Kleine sagt "Nein" und setzt sich durch. Eine Geschichte wie aus einem amerikanischen Film.

Das muss auch Taylor Swift so sehen, die an diesem zweistündigen Abend viel - zu viel - bekenntnishafte Formeln über Liebe und Selbstfindung bietet. Viel, nicht wirklich substanzielles Gerede und lange Umziehphasen, die eine zunehmend in Fahrt kommende Show ausbremsen. Besonders störend ist dies bei "We Are Never Getting Back Together". Swift gibt ihrem Hit aus dem Jahre 2012 mit E-Gitarre ein wenig Rock-Pfeffer, steigert ihn zur Hymne. Die euphorische Stimmung verpufft durch einen weiteren Kleiderwechsel. Als die Sängerin endlich am Piano erscheint, glaubt sie wieder lange mit ihren Fans reden zu müssen. Wenigstens gibt sie bei "Wildest Dreams" ihrer niedlichen Stimme einen leicht erotischen Lana-Del-Rey-Hauch. Das ist doch mal was. Die beiden letzten Stücke, "Out of The Woods" und "Shake It Off", werden unterbrochen, um im blauen Glitzeroutfit sexy zu wirken. Weniger Kleiderwechsel wären mehr für ein wirklich fiebriges Finale gewesen.

AC/DC auf den Jahnwiesen

Elektrisierende Hochspannung liegt über den Jahnwiesen hinter dem Kölner RheinEnergie-Stadion, wo 80.000 Fans dem Auftritt der australischen Hardrock-Institution AC/DC entgegenfiebern. Einerseits geht es um die Frage, ob die sich bedrohlich auftürmenden dunkelgrauen Wolken mehr Regen bringen als gelegentliche Schauer, andererseits - und viel wichtiger -, welche Energie die Band nach 42 Karriere-Jahren noch freisetzen kann.

Im vergangenen Jahr musste Gitarrist Malcolm Young wegen seiner schweren Demenz-Erkrankung die Band verlassen, und Schlagzeuger Phil Rudd war wegen seines Prozesses um eine angebliche Todesdrohung nicht mehr tragbar. So schallen im Vorfeld immer wieder "Angus-Angus"-Rufe der Fans in Richtung Bühne. Dies ist zwar ein schon lange eingeübtes Ritual, macht aber dennoch deutlich, dass Gitarrist Angus Young als nunmehr einziges Gründungsmitglied noch mit dabei ist.

Mit "Rock Or Bust", dem Titelsong des aktuellen Albums sowie Namensgeber der aktuellen Welttour mit insgesamt acht Deutschland-Stationen, scheint die Band wie in dem Video zuvor förmlich zu explodieren und als Rock-'n'-Roll-Meteorit mit unglaublicher Energie in Köln einzuschlagen. Sänger Brian Johnson (67), nur echt mit Schlägermütze, scheint das Singen im Hechelkurs für angehende Mütter gelernt zu haben.

Er presst und presst und presst, und heraus kommt ein heiseres Bellen wie das einer Hyäne mit Halsentzündung. Angus Young gibt noch immer den blässlichen, hyperaktiven Jungen in Schuluniform. Er wibbelt und tänzelt herum, als hätte jemand die Bühne unter Starkstrom gesetzt. Das Gitarrespielen, gern auch mit Chuck Berrys Duck-Walk, scheint therapeutisch verordnet, denn solange der 60-Jährige eine Gitarre in Händen hält und immer wieder brillante Soli einstreuen kann, ist er psychisch stabilisiert.

Was ein wenig nach Autismus aussieht, ist aber in Wirklichkeit allerbeste Teamarbeit, die nun auch mit Malcolm-Ersatz und Neffen Steve Young exzellent funktioniert. Und schließlich fügt sich auch Chris Slade, ein 68-jähriger Haudrauf am Schlagzeug und Anfang der 90er Jahre schon einmal bei AC/DC, ganz hervorragend ein.

Die alten Herren lassen es schnörkellos krachen. Ihr Hardrock ist aus echtem Tropenholz, wobei nicht mit dem Schnitzmesser filigran zu Werke gegangen wird, sondern die Axt zum Einsatz kommt. Auf Technik und instrumentales Können wird trotzdem nicht verzichtet, denn gerade beim Rock 'n' Roll ist Einfaches mitunter sehr schwer.

Spätestens bei "Back In Black" sind die 80 000 Fans schier aus dem Häuschen und strecken euphorisiert ihre Fäuste Richtung Bühne. Die Setlist ist bis auf drei neue Songs zwar nahezu identisch mit dem Livealbum von 1992, aber genau diese Klassiker wollen die Fans hören. Sie stimmen ein ahnungsvolles "Ah-Ah-Ha-Ha" an, während die flinken Finger von Angus über die Saiten flitzen und das Intro zu "Thunderstruck" anstimmen.

Es folgt mit "Dirty Deeds Done Dirt Cheap", "Hells Bells", "You Shook Me All Night Long", "Sin City", "TNT", "Let There Be Rock" sowie "Highway To Hell" als erste Zugabe Klassiker auf Klassiker, immer wieder gern auch zum Mitsingen. Die Stimmung ist auf ihrem Höhepunkt angelangt, als sich AC/DC schließlich mit "For Those About to Rock (We Salute You)" verabschieden. Die Frage, ob dies ein endgültiger Abschiedsgruß war, dürfte manchen Fan auf dem Heimweg intensiv beschäftigt haben. Und der Regen? Welcher Regen? Bernd Schuknecht

Am 12. Juli gibt AC/DC das letzte Deutschland-Konzert der Tour in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen.

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