Neue Filmbühne Beuel: "In meinem Kopf ein Universum" Wenn Augenlider sprechen

Bonn · Die junge Ärztin nimmt kein Blatt vor den Mund: "Sie werden nie mit dem Jungen kommunizieren können", erklärt sie der ungläubigen Mutter "Sein Gehirn arbeitet nicht. Sehen Sie das nicht: Er ist Gemüse". Mateus leidet an einer zerebralen Bewegungsstörung, kann nicht sprechen und sich nur auf dem Rücken robbend durchs Zimmer bewegen.

 Annäherung im Park: Szene mit Anna Karczmarczyk und Dawid Ogrodnik.

Annäherung im Park: Szene mit Anna Karczmarczyk und Dawid Ogrodnik.

Foto: MFA+ FilmDistribution e.K.

Die Mediziner sowie die meisten seiner Mitmenschen halten ihn für geistig behindert - und behandeln ihn auch so. Aber wenn sie in Mateus? Augen schauen, überkommt sie manchmal ein leiser Zweifel. Der Blick des Jungen ist unruhig, aber nicht gleichgültig, und manchmal blitzt darin der Funke des Verständnisses auf.

Mateus hat Glück mit seinen Eltern - einfache Arbeiter im Polen der späten achtziger Jahre, die entgegen den ärztlichen Empfehlungen ihren Sohn nicht ins Heim geben. Sie sprechen mit ihm wie mit jedem anderen, selbst wenn keine Antworten zu erwarten sind. Das ist die Rettung für Mateus. Denn anders als die Fachleute behaupten, hat die Behinderung seine geistigen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt.

Er versteht, was die Menschen sagen, ohne jedoch darauf reagieren zu können. Einmal ist er kurz davor, es ihnen zu zeigen. Die Mutter sucht ihre Brosche, und Mateus weiß, dass sie unter dem Sofa liegt. Er hat lange auf diesen Moment gewartet und robbt aufgeregt zu dem Schmuckstück hin. Aber Mutter und Schwester denken, dass er einen Anfall hat, und halten ihn mit Gewalt am Boden, bis er aufgibt.

Dies ist eine von vielen Szenen in Maciej Pieprzycas "In meinem Kopf ein Universum", die einem fast das Herz brechen. Aber dann gibt es auch wieder Momente von großem Glück und Geborgenheit, etwa wenn der Vater mit Mateus in den Nachthimmel schaut und ihm die Sternbilder erklärt. Oder wenn der kräftig pubertierende Junge sich verliebt und das Nachbarmädchen auf der Parkbank näher an ihn heranrückt.

"In meinem Kopf ein Universum" ist kein klassisches Behindertendrama, das den Zustand seines Protagonisten ausbeutet. Pieprzyca erzählt seine tragikomische Geschichte schnörkellos, nah am alltäglichen Lebenspuls, aber voller Mitgefühl und Sensibilität.

Über den sparsam dosierten Off-Kommentar bekommt das Publikum mit, was in Mateus' Kopf vor sich geht, wird zum solidarischen Mitwisser, lange bevor der Rest der Welt registriert, dass hinter der scheinbar apathischen Fassade ein wacher Geist lebt. Denn irgendwann taucht eine Therapeutin auf, die es mit einer speziell entwickelten Zeichensprache dem Sprechunfähigen ermöglicht, durch Blinzeln Sätze zu formen. Nach fast dreißig Jahren kann Mateus zum ersten Mal mit seiner Mutter und den Geschwistern kommunizieren. Sein erster Satz: "Ich bin kein Gemüse!"

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