Vortrag von Klaus Weise im Wortlaut Was nun? Was tun?

Mit „ein paar Überlegungen zur Bonner Kultur, zum Beethoven-Jubiläum und zu Beethoven 2030“ hat der ehemalige Bonner Generalintendant Klaus Weise am Freitagabend die neue Reihe „Kulturperspektive Zukunft“ im Arp Museum Rolandseck eröffnet. Im Folgenden veröffentlichen wir die Manuskript-Fassung von Weises Vortrag.

Jubiläen zu feiern, hat immer etwas ungemein Praktisches: Der Anlass ist nicht zu diskutieren! Jemand lebt mit einer runden Zahl, oder liegt begraben mit einer runden Zahl – eigentlich egal. Der Vorteil: Das Datum steht seit langem fest, kommt berechenbar auf einen zu und deswegen kann sich keiner am Ende rausreden. Außerdem ist in unserem Fall Beethovens Schatten immer noch hell genug, um die Stadt Bonn und ihre Region zu erleuchten. So dass jeder auf seine Kosten kommen wird. Doch Jubiläen bieten auch Gefahren: Der Lober lobt sich mehr als den zu Lobenden und: Eine Stadt schmückt sich mit fremdem Lorbeer. Denn: liebende Lenden, nicht die Stadt, haben den Jubilar gezeugt: „Freude, schöner Götterfunken“ – eben! Außerdem sind Jubiläen unbequem, denn sie fragen: Hält unser Programm dem kritischen Blick des zu Feiernden stand? Ist, was wir feiertäglich tun, Feigenblatt alltäglicher Versäumnisse?

Vor dem Hintergrund der monetären Malaisen der Stadt Bonn und vor dem Hintergrund des erfreulichen Wandels der Wut vieler über das verlorene Festspielhaus in Enthusiasmus und Engagement für 2020 gilt es, jetzt, die Bonner Kulturperspektive auszubuchstabieren und das Jubiläum, vor- und nachhaltig, in dieses Konzept einzubetten. Wir sollten unserer Stadt wieder den Glanz des Gelingens verleihen, der ihr in manchen Belangen in der jüngsten Vergangenheit abhanden gekommen ist. Und wir dürfen des großen Meisters großen Geburtstag nicht nur als Solitär, als einmaliges Feuerwerk, aufleuchten lassen – das tun andere auch, allein Köln will den ganzen Beethoven spielen –, sondern wir müssen ihn nutzen, einen kulturellen Aufbruch zu fordern und voranzutreiben.

Ich bin sicher, dass die vielen Aktivitäten, die erfreulicherweise überall in Bonn hervorbrodeln, so auch die Initiative Beethoven 2030, von der Stiftung Kunst und Kultur ins Leben gerufen, das Ihrige zu diesem Gelingen beitragen werden. Zumindest ist, worüber ich jetzt spreche und worüber wir später diskutieren werden, ein Punkt ihrer Agenda.

I.

„Ohne Herkunft keine Zukunft.“ Die Bonner Geschichte kennt zwei große Ereignisse: Beethoven und Die Bonner Republik! Und beide müssen gepflegt und weiterentwickelt werden – nach dem Motto „Es muss sich alles ändern, damit es bleiben kann wie es ist.“ Beide sind tot. Und doch leben sie – irgendwie. Da ist zum einen der geniale Musiker, dessen Musik rund um den Globus gespielt wird und der fast so bekannt ist wie Coca Cola – und da ist die Bundesstadt, die ihre Werte Grundgesetz, soziale Marktwirtschaft, Föderalismus und 50 Jahre Frieden den Regierungsumziehern nach Berlin mit auf den Weg gegeben hat. Die Foren der Förderung dieser künstlerischen und politischen Tradition, Beethovenfest und Bundesstadt, müssen nicht nur erhalten bleiben, sie müssen ausgebaut werden! Und es ist kein Zufall, wenn die Bemühungen ums Beethovenfest intensiviert wurden just nach dem Bonner Hauptstadtverlust. Es war und ist der Versuch, die verlorene politische Bedeutung wettzumachen durch den internationalen kulturellen Bedeutungszugewinn mit Beethoven und seiner Musik. Denn Bonn hat keinen besseren Botschafter als Beethoven.

II.

Die neu gewonnene Internationalität Bonns durch UN, Dt. Telekom und Dt.Post/DHL – auch sie Bonner Botschafter – muss deutlich stärker in die Wahrnehmung gerückt werden, als dies zur Zeit der Fall ist. Gehen Sie in die Kantine der Deutschen Welle und Sie wissen, wovon ich rede. Und es gibt einen weiteren wichtigen Botschafter Bonns, der, leider, vernachlässigt wird: Haribo. Bonn wird gelutscht, Bonn liefert, Bonn wird gehört – weltweit: Kurzum: Bonn verbindet. Keine Stadt, sehr verehrte Damen und Herren, keine Stadt hat bessere Botschafter als Bonn!

III.

Insofern unterscheidet sich Bonn, muss sich vom Anspruch her unterscheiden, von anderen etwa gleichgroßen deutschen Städten und Kulturalltagsanbietern wie Wuppertal, Bielefeld und Münster. Und was für diese und andere Städte gut und richtig ist, ist es für Bonn noch lange nicht. Aber auch von Köln, unserer Nachbarstadt, müssen wir uns unterscheiden und tun es – nur leider nicht auf der Höhe unserer Möglichkeiten! Köln ist die viertgrößte Stadt der Bundesrepublik. Und wieviel Geld auch immer Bonn hat, Köln hat mehr – oder mehr Schulden, was geldmengenmäßig aufs Gleiche hinausläuft. Auch bei der Kultur. Sicher: Talent sticht Geld. Aber nicht immer und vor allem nicht fortwährend.

IV.

Gut ist, wenn man Geld hat. Gut ist auch, wenn man Ideen hat. Schlecht ist, wenn man kein Geld hat. Schlechter ist, wenn man keine Ideen hat. Noch schlechter, kein Geld zu haben und keine Ideen. Also lassen Sie uns Ideen haben und Geld! Denn stimmen die Ideen, kommt auch das Geld!

V.

NRW ist das Bundesland mit der größten Konzert- und Theaterdichte. Doch bis auf die Museen und die Ruhrtriennale ist kulturell betrachtet NRW Mittelmaß: Viel Masse, wenig Klasse. Das muss sich ändern! Hier liegt die Bonn-Chance. Die Kultur unserer Stadt muss herausstechen aus der Kultur der Vielen, der, vielleicht, viel zu Vielen. Durch Qualität. Und Köln gegenüber durch etwas, was Köln unmöglich werden kann: Beethoven-Stadt. Köln ist ein Fregatt-Schiff, das wir, Bonn, mit der subversiven Kreativität und der Intelligenz eines Piratenschiffes umkreisen müssen. Freundlicher ausgedruckt: in kreativ komplementärer Ergänzung. Die Bonner Kultur verkauft sich unter ihren Möglichkeiten. Und das liegt weniger an ihren Akteuren als daran, dass kulturpolitisch zu wenig scharf über die Stoßrichtung der noch immer reichhaltigen Kultur nachgedacht wird – im Sinne eines gemeinsamen starken Auftritts. Dies zu tun, deswegen treffen wir uns heute. Sicherheitshalber auf rheinland-pfälzischem Gebiet, denn die Menschen hier haben eine revolutionär geschulte Vergangenheit. Denken sie nur an die Mainzer Räterepublik und den Mainzer Karneval, der politisch betrachtet meilenweit vom Bonner und Kölner entfernt ist.

Folgende Frage ist Ausgangspunkt meiner Überlegungen: Welche Perspektive, welches Ziel, muss entwickelt werden, damit die Bonner Kultur sich unverwechselbar und zukunftsweisend profilieren kann – und mit ihr die Stadt, die Rheinschiene und das Land NRW? Wir dürfen nicht länger paralysiert auf die Kultursalami starren, von der sich unterschiedliche Begehrlichkeiten, in periodisch wiederkehrenden Zyklen, unterschiedlich dicke Scheiben herunterschneiden, bis am Ende nur noch ein Zipfel übrigbleibt. Sondern wir müssen unter der Finanzpeitsche der Öffentlichen Hand im Sparen etwas Neues entstehen lassen, das, öffentliche Finanzierung als Fundament, attraktiv ist für Sponsoren – für Privatpersonen und Firmen gleichermaßen. Und nichts ist für Sponsoren so unsexy wie die Förderung der kulturellen Grundversorgung. Beethoven braucht Bonn nicht. Er wird weltweit gespielt. Von den besten Orchestern. Von den besten Dirigenten. Aber Bonn braucht Beethoven! Und da stellt sich die Frage: Was können wir diesem Titan unter den Komponisten hinzufügen, das es so woanders nicht gibt? Das so nur in Bonn zu haben ist und dessentwegen eine international interessierte Kulturszene sich nach Bonn bewegt?

Freilich: Mit einem neuen Festspielhaus hätten wir einen Hingucker gehabt, ein sichtbares Zeichen in die Welt, dass Bonn mit Beethoven etwas vorhat. Nur was genau? Eigentlich nichts anderes als überall sonst auch, nämlich Konzerte zu spielen. Langt das, um Beethoven-Stadt zu sein? Nein. Denn: Cosi fan tutte. So machen`s doch alle – Beethoven spielen. Was also ist zu tun?

VI.

Sich umschauen. Im deutschsprachigen Raum gibt es unzählige Museen, Opern- und Schauspielhäuser. Und das ist gut so. Aber es gibt wenige überregionale Festivals: Bayreuth, Salzburg, das Berliner Theatertreffen, die Wiener Festwochen, die Ruhtriennale, die Berliner Filmfestspiele... Aber für einen der weltbesten Komponisten, für Beethoven, gibt es dieses weltweit strahlende Festival nicht. Gott sei Dank. Denn da können, da müssen wir, nachlegen und gestalten! Will Bonn Beethoven-Stadt werden und sein, dann ist es notwendig, das Beethoven-Fest spartenübergreifender zu gestalten, als es bisher der Fall ist. Was macht ein überregional bedeutendes Festival aus? Es greift in seinem Gründungsmythos zurück, auf geniale Künstler wie Wagner, Mozart, Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und/oder auf geniale Orte wie den Papst-Palast in Avignon, den Dom und die Felsenreitschule in Salzburg, und die Industriekathedralen des Ruhrgebiets oder lässt sich kurzerhand ein Festspielhaus auf dem Heiligen Hügel in Bayreuth bauen. Diese Locations haben wir in Bonn nicht – leider! Und die Debatte ums Festspielhaus nochmals zu eröffnen, macht keinen Sinn. Denn: Wenn die Milch verschüttet ist, ist sie weg. Aber wir „haben“ – wenn ich das einmal so ankumpelnd formulieren darf, wir „haben“ Beethoven. Und das Vakuum, dass die Welt es bisher versäumt hat, diesem Weltbürger und einzigartigem Welt Künstler ein weltweit wahrgenommenes Festival zu widmen. Vielleicht aus Angst, an diesem Titan nur scheitern zu können?

Möglich. Wer weiß? Aber was heißt schon scheitern? Nichts anderes, als das nächste Mal: besser scheitern! Groß. Mit Mut und Entschiedenheit. Übrigens Mozart würde uns das Scheitern verzeihen. Aber Beethoven? Wurde schon wütend über einen verlorenen Groschen! „In Gefahr und großer Not Bringt der Mittelweg den Tod.“ Dieser kluge, Alexander-Kluge-Aphorismus muss Gültigkeit haben, wenn wir in Bonn über Beethoven nachdenken. Den Kampf um die Hoheit der Kultur, als Magnet, als Image-, Wirtschafts- und Tourismus-Faktor, als Gütesiegel einer Stadt, haben die Metropolen längst für sich entschieden. Wären da nicht so hübsche kleine Städte wie:Salzburg, Bayreuth und Baden-Baden. Sie hatten den richtigen Riecher.

Warum also nicht lernen? Von den Besten. Und nicht vom Mittelmaß der mittelgroßen Städte. Und selbst das Ungebilde von Stadt, das Ruhrgebiet, hat mit der Ruhrtriennale gezeigt, wo der Bartel den Most holt. In diese Festspielstädte pilgern sie alle: die Promis, die Reichen, die Schönen und die, die sich dafür halten, die A-Dabeis und, Gott sei Dank, auch die anderen, die neugierige Szene und die Medien: zu Ostern, zu Pfingsten, sommers und im Herbst. Und was genau können wir von den großen erfolgreichen Festivals lernen?

1. Es geht nicht nur mit Musik.

2. Aber selten ohne. und

3. Jedes Festival braucht Premieren:

Sie verführen das Publikum zu eruptiven Entladungen. Sie werden medial wahrgenommen. Sie stacheln die Gier, dabei sein zu wollen, zu müssen. Sie, die Festivals, lassen selbst kleine Städtchen aufleuchten und verleihen ihnen Identität.

VII.

Da Beethoven und seine Musik universell sind, sollten wir das Beethoven-Fest ebenso denken: universell. Als Prinzip Beethoven. Und alle kulturellen Geschütze auffahren, die wir in Bonn haben und sie scharf machen mit Themen, die künstlerisch und gesellschaftlich von Belang sind im Spannungsbogen von – wie sagt man heute so schön? – von Utopie und Dystopie. Und der künstlerische Blick des Beethoven-Festes sollte reichen von mikroskopischer Vergrößerung bis hin zum weitwinkligen Gesellschaftspanorama. „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen.“ – so Nietzsche. Und deswegen brauchen wir Beethoven und ein Beethoven Fest. Aber eines, das sich nicht selber international nennt, sondern international ist – in Machart und Wirkung! Denn Beethoven, eo ipso, ist international. Da gibt es die Musik des großen Meisters, des Himmelsstürmers, des Erlösers, des Seelenausloters und des Revolutionärs.

Da gibt es die Musik von „vor ihm“, von „nach ihm“ und von „um ihn herum.“ Da gibt es Orchester, die ihre Werke auch woanders gespielt haben und spielen werden und da gibt es, muss es geben, Uraufführungen, die zunächst nur in Bonn zu hören sind und hoffentlich andernorts nachgespielt werden.

Denn, ich wiederhole es: Jedes Festival lebt von Premieren. Und erst in zweiter Linie von fremdproduzierter eingekaufter Ware, die von kluger Dramaturgie kreativ verlötet wird. Und jetzt, das Salz in der Suppe des Beethoven Festes: Es gibt Opern- und Schauspielpremieren, die, thematisch eingebunden, nur im Festival-Rahmen in Bonn zu erleben sind. Die das Publikum von überall her an den Ort des Geschehens zwingen, damit es, selber erhöht, sie frenetisch beklatsche, zornerfüllt, weil abgrundtief enttäuscht, ausbuhe oder – das Schlimmste – auch nur gelangweilt begähne. Nur Premieren ermöglichen jene nervös-prickelnde Atmosphäre, deren Fieberkurve reicht von hochgeschraubter Hysterie und Jubelstürmen, bis hin zu tiefsten Enttäuschungen und schwersten schockgefrorenen Depressionen.

Ein Festival, wenn es gut ist, peitscht die Nerven des Publikums: „Gütige Muse, schütte das Füllhorn deiner Kunst aus über uns und beschenke uns jenes betäubend-beglückende Gefühl, bei der Geburt von Genies und genialisch Neuem dabei zu sein, dabei zu sein dürfen, das dem Zustand augenverdrehender, ja scheinbar debiler Ekstase gleichkommt – und, genauso wichtig: Schenke uns Skandale!“ Wer in Bayreuth war und noch wichtiger, wer Bayreuth überlebt hat, weiß, wovon ich rede.

Wohlgemerkt, gerade Beethovens Musik ist für seelische Eruptionen dieser Art geeignet, für schmerzhaft-erschütternde Schönheit und befreiende Glückseligkeit nach gewonnenem Kampf. Wenn man sie aufführt, als werde sie zum ersten Mal auf dieser Welt gespielt und zum ersten Mal gehört.

VIII.

Doch wir müssen weitergehen: ein Festival kreieren, das es weder im Ruhrgebiet gibt noch in Bayreuth noch in Salzburg. Stellen Sie sich bitte vor, das Beethoven-Fest beschäftigte sich mit der „Romantik“: in der Musik, in der Oper, im Schauspiel, in der Bildenden Kunst, als philosophisches Gebilde und als Lebenshaltung. Und nicht nur die Musiksäle in Bonn wären eingebunden – die Oper, das Schauspiel, die Freie Szene –, sondern sämtliche Bonner Museen, die Universität und die UN, das Arp-Museum, die Ludwig Museum Koblenz/Köln, das Ahrtal mit Bad Neuenahr und dem Regierungsbunker. Das Haus der Geschichte beschäftigte sich mit dem Thema :Romantik in der DDR und der BRD, das Deutsche Museum mit der Romantik im Internet, im Museum Koenig gäbe eine Ausstellung: Der Mensch und das Tier – eine romantische Liebe? und im Rheinischen Landesmuseum die Ausstellung: Romantik und Elend von Heimat und Flucht. Die Uni inszenierte Symposien zum Thema und die UN beschäftigte sich mit Beethoven als Weltenverbinder. Überhaupt die UN. Sie müsste sich, mit ihren welthaltigen Themen, Beethoven andienen, seine Braut werden, nach der der Meister sich so sehr gesehnt hat, das Gesicht der Unsterblichen Geliebten – Und dem Arp Museum, Herrn Kornhoff und seinem Team, da bin ich sicher, würde auch Spannendes einfallen.

Denn Romantik ohne Rheinland-Pfalz und Loreley, ohne Mosel-Kellergeister und den Schönheiten der Landschaft zwischen Rhein, Ahr und Mosel, die mit und ohne Wein trunken machen, - Romantik ohne diese Ingredienzen geht gar nicht! Und dann noch die schönen Weinköniginnen ... Kurzum: Beethoven urbi et orbi!

Dieses Festival würde einschlagen wie ein Götterfunke und jeder würde sich fragen: „Wieso gibt es das denn erst jetzt?!“ Und wer mir nicht glaubt, dem antworte ich mit Werner Herzog: „Auch Zwerge haben klein angefangen.“

IX.

Beethoven ist in Bonn geboren, Schumann hier gestorben. Und in der Zusammenarbeit mit den Städten seines Schaffens, also mit Zwickau, Leipzig, Heidelberg und Düsseldorf, hätten wir das zweite Festival in Bonn. Ich weiß, wir aben es schon. Aber es ließe sich ausbauen.

X.

Sie alle kennen TTIP, ohne es zu kennen: das transatlantische Freihandelsabkommen, über da so heftig gestritten wird. Doch mit einer kleinen orthographischen Korrektur ließe sich TTIP in DITiB verwandeln: Das Internationale Tanzfestival in Bonn. Als ehemaliger Intendant des Bonner Theaters musste ich das hauseigene Tanztheater liquidieren – aus Kostengründen. Stattdessen habe ich weltbekannte Compagnien ins Opernhaus eingeladen mit bis zu 23 Vorstellungen – zur großen Begeisterung des Publikums und mit einer Auslastung von 98% nahezu kostendeckend. Diese Tanzgastspiele, die mein Nachfolger übernommen hat, ließen sich zeitlich bündeln und voilà – wir hätten ein drittes Festival mit überregionaler Strahlkraft! In Zusammenarbeit mit dem „tanzhaus nrw“ in Düsseldorf und mit dem „Tanztheater Wuppertal Pina Bausch“ hätten wir in NRW drei interessante Zentren des zeitgenössischen Tanzes.

XI.

Wie auch immer: Bonn als Festspielstadt, mit Beethoven im Zentrum, für eine Weltöffentlichkeit auszubauen, wird scheitern ohne mutige Vision. Wie sie aussehen könnte, habe ich versucht zu skizzieren. Wie sie umgesetzt werden könnte, dazu, in aller Kürze, ein paar Überlegungen: Das Festival Ruhrtriennale kostet, ohne Sponsorengelder, per annum 14,2 Mio. auf der nach oben offenen Euro-Skala. 24 Mio. beträgt der städtische Zuschuss ans Theater, von dem ein beträchtlicher Teil in eine Festspiel GmbH einfließen müsste. Der Rest wäre zu finanzieren über die Wichtigkeit, die das Land NRW, der Bund und Brüssel ihrem Genie zukommen zu lassen bereit sind, damit sein Festival in die Welt wirken kann.

Mentale und monetäre Unterstützung verspreche ich mir auch von einem global aufzubauenden Beethoven-Förder-Verein, denn die weltweite Beethoven Community existiert ja bereits. Es kommt nur darauf an, ihr in Beethovens Geburtsstadt, vielleicht mit Unterstützung der UN, ein Zentrum zu bieten – ähnlich der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.“ Künstler und potente Prominente wären als Paten ihrer jeweiligen Länder zu gewinnen – Die bisherigen Sponsoren des Beethoven Festes sind zu pflegen und neue zu akquirieren. Das Bonner Theater wird in seiner Struktur kein übliches Stadttheater bleiben können. Es wird sich schwerpunktmäßig in die Festspiele einbringen müssen. Und das wird vermutlich in der festspielfreien Zeit für die Oper heißen: Stagione-Betrieb. Mit eingekauften und co-produzierten Opern: z.B. mit Köln, dem Mainzer Staatstheater und anderen Bühnen.

Die Gestalter der Bonner Kultur sind als zentrale Mit-Gestalter für die Festspielstadt zu gewinnen und einzubinden im Sinne einer doppelten win-win- Situation und selbstverständlich unter Wahrung ihrer Autonomie. Des weiteren bräuchte die Festspielstadt Bonn eine Agentur, die das Programm, auch mit Hilfe der zuvor genannten Botschafter, in die Welt kommuniziert.

XII:

Ich komme zum Schluss: Entweder die Stadt Bonn stellt sich ihrer künstlerischen Herausforderung und Verpflichtung – denn ob sie will oder nicht, sie ist Beethovens Geburts- und Werde-Stadt, oder: Der große Meister lässt sein Damokles-Schwert aus dem Himmel herabfallen und spießt Bonns kulturelle Bemühungen auf zu netten, kleinen Aperçus, zu Appetit-Häppchen eines kulturellen Schaschlik-Spießes, die da heißen: Endenich, Kessenich, Willzenich, Kannzenich, Hassenich. Es wird Wirbel geben und Widerstand, Diskussionen, Debatten, Streitgespräche. Aber so muss es sein! Denn es geht um Autonomie und Zusammenarbeit, um Kompetenzen und Geld und, klar, auch um Eitelkeiten und Macht. Doch am Ende geht es um die bestmögliche Kultur für unsere Stadt. Und die ist ohne das Genie Beethoven nicht zu denken und zu gestalten!

Laut Voltaire sitzt am Grunde eines Problems immer ein Deutscher. Ein Deutscher, ja. Aber kein Bonner. – Hoffentlich!

Manuskript des Vortrags, den der ehemalige Bonner Generalintendant Klaus Weise (2003-2013) am Freitag, 11. März, im Arp Museum Rolandseck gehalten hat. Es war der Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe "Kulturperspektive Zukunft" im Arp Museum.

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