Kulturelles Leben steht still Was die Corona-Krise für Künstler und Freiberufler bedeutet

Bonn · Die Corona-Krise zwingt derzeit das kulturelle Leben in die Knie und niemand weiß, wann es weitergeht. Viel mehr noch als das Publikum, haben die Veranstalter und Künstler darunter zu leiden.

 Die Corona-Krise zwingt das kulturelle Leben in die Knie.

Die Corona-Krise zwingt das kulturelle Leben in die Knie.

Foto: Benjamin Westhoff

Dramen und Tragödien, krachende Gitarren und fette Bässe, anrührende Texte und große Worte: Das alles und noch viel mehr findet auf deutschen Bühnen nicht mehr statt. Diva und Souffleuse sind verstummt. Die Corona-Krise zwingt auch das kulturelle Leben in die Knie und niemand weiß, wann es weitergeht. Viel mehr noch als das Publikum, das zu Hause bleiben muss, haben die Veranstalter und Künstler darunter zu leiden: Stellvertretend für viele von ihnen hat der europaweit gefragte Gesangssolist und Barockspezialist David Erler vor rund einer Woche eine Online-Petition gestartet. „Hilfen für Freiberufler und Künstler während des #Corona-Shutdowns" hat er sie genannt, um auf die Notlage von rund zwei Millionen Solo-Selbstständigen hinzuweisen, die in der Kreativbranche tätig sind.

„Mein gesamtes Programm wurde bis Ende April gestrichen“, sagt Erler. Nun hat der Leipziger keinerlei Einnahmen mehr – und zu Hause seine Frau und zwei kleine Kinder sitzen. Wie weiter die laufenden Kosten wie Miete und Strom zahlen? Das fragen sich viele, die in einer ähnlichen Situation sind. „Wir können nur von Tag zu Tag denken“, sagt Erler. Er bekomme „unglaublich viele Mails“ von gleichermaßen Betroffenen. Das gebe ihm Hoffnung. Geld bringt es freilich nicht.

Mehr als 200.000 Menschen hatten seine Petition am Dienstag bereits unterzeichnet. „Ich hoffe, dass sich schnell etwas tut dadurch“, sagt Erler. Er und seine Familie zehren derzeit von ihren Rücklagen. Das können nicht alle Künstler und Freiberufler.

Jan van Weegen formuliert etwas drastischer: „Die Situation ist total beschissen, ein wirtschaftlicher Totalschaden.“ Er führt in Köln die Konzert- und Party-Location Gebäude 9 und ist Vorsitzender des Verbands der Kölner Clubs und Veranstalter (Klubkomm), dem mehr als 100 Betriebe angehören. Auch van Weegen plädiert für schnelle unbürokratische Hilfen: „Viele Betriebe stehen vor einer existenzbedrohenden Situation. Es braucht Mittel aus der öffentlichen Hand, sonst wird es mittelfristig Schließungen geben.“ Zu den Clubs und Bars kommen zudem noch die angeschlossenen Branchen, etwa Techniker, Verleiher oder Bühnenhelfer. Eine genaue Zahl an Betroffenen kann van Weegen derzeit noch nicht nennen. Es dürften viele Tausende sein, allein in der Region Köln/Bonn. Immerhin könne für Festangestellte das Kurzarbeitergeld beantragt werden. „Jeder Betrieb muss für sich jetzt einen Notfallplan erstellen“, sagt van Weegen. „Natürlich können wir nur gemeinsam da raus kommen“, doch die Mittel seien nicht da, um sich gegenseitig finanziell zu helfen.

Wirtschaftshilfen auch für Freiberufler

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte zuletzt angekündigt, dass die Wirtschaftshilfen des Bundes auch für Freiberufler und Kulturbetriebe gelten würden – jeder Einzelfall müsse geprüft werden. Konkrete Zusagen oder ein Konzept gibt es allerdings noch nicht in größerem Umfang. Kulturstaatsministerin Monika Grütters versprach schon vergangenen Woche: „Künstler und Kultureinrichtungen können sich darauf verlassen, gerade mit Blick auf die Lebenssituationen und Produktionsbedingungen der Kultur-, Kreativ- und Medienbranche: Ich lasse sie nicht im Stich! Wir haben ihre Sorgen im Blick und werden uns dafür einsetzen, dass die speziellen Belange des Kulturbetriebs und der Kreativen miteinbezogen werden, wenn es um Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen geht.“

Die Kultusminister der Länder haben angekündigt, ein Krisenprogramm für Kreative aufzulegen. Doch Experten schätzen, dass es Wochen dauern könnte, bis dieses Geld fließt. „Die Lage der freiberuflichen Musikerinnen und Musiker ist dramatisch“, sagte Gerald Mertens, Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Orchester-Stiftung, der „Zeit“. „Viele stehen vor dem sozialen Aus.“

Auch van Weegen sagt, dass die Absichtserklärungen der Politik den Betroffenen nicht weiterhelfen würden. Instrumente wie zinslose Darlehen sieht er zudem kritisch: „Die Gesamtbelastung wird am Ende niemand stemmen können.“ Viele Betriebe und Selbstständige leben schon im Alltag gewissermaßen von der Hand in den Mund. Immerhin sind die Insolvenzfristen verlängert worden, wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier mitteilte, sodass zahlungsunfähige Betriebe nicht schon nach drei Wochen am Ende sind, sondern länger Zeit haben, in der sie auf Hilfen warten können.

Steuerrückzahlungen fällig

Die Berliner Autorin und Journalistin Kathrin Weßling macht noch auf ein anderes Problem aufmerksam: „Für Freiberufler fällt diese Situation auf den schlimmsten Zeitpunkt, weil jetzt die Steuerrückzahlungen an die Finanzämter fällig werden.“ Denn viele Kreative schreiben Rechnungen, werden Brutto bezahlt und müssen ihre Steuerschuld für das gesamte Jahr nun begleichen. Sie selbst hat Glück: Dank eines guten Netzwerks hat sie die Möglichkeit, in eine Festanstellung zu wechseln. Ideal ist das aber auch nicht für alle: „Sie müssen jetzt vielleicht auch eine Arbeit machen, die sie gar nicht wollen.“ Auch Weßling sagt, sie habe Bauchschmerzen, sich fest zu binden.

Für Sänger David Erler wäre die ideale Lösung, wenn es jetzt schnell und unbürokratisch ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe – zeitlich begrenzt. „Das ist zwar utopisch und revolutionär, aber wann, wenn nicht jetzt? Es würde uns allen am besten helfen, wenigstens die laufenden Kosten zu decken.“ Bei allem Verständnis für die Situation, bewegt ihn und viele andere vor allem eine Frage: Wann und wie kann es weitergehen? „Wann kann ich wieder auf der Bühne stehen und das machen, was ich am besten kann: Singen?“

Gerade auch Bands aus alternativen Musikrichtungen, die mangels Klickzahlen wenig Geld von Streamingdiensten erhalten und die kleine bis mittelgroße Hallen füllen, leben oft vor allem von den Einnahmen der Tourneen zu neuen Alben. „Das, was nicht stattfindet, wird nicht vergütet“, sagt Veranstalter van Weegen. Keine Leistung, keine Gage. „Das ist eine Katastrophe für diese Künstler, die ihre Crew bezahlen müssen und auch ihr bereits bestelltes Merchandise nicht mehr verkaufen können.“ Daher laufe bereits die Suche für Nachholtermine im Herbst.

Wiederum andere Sorgen macht sich Lars Hoffmann. Er führt den Kölner Plattenladen Underdog, der auch Konzertkarten anbietet. Er stellt den Vinyl-Verkauf nun auf Mailorder um: Kunden können im Laden anrufen und Platten bestellen, die ihnen dann zugeschickt werden – früher eine gängige Methode. „Ich muss ja irgendwie im Geschäft bleiben und möchte auch meinen drei Mitarbeitern möglichst weiter Lohn zahlen. Aber eine Frage stellt sich ja grundsätzlich: Bleibt es in diesen Zeiten überhaupt relevant, Platten zu kaufen?“, sagt Hoffmann. „Wir müssen kreativ bleiben.“

Auch Hoffmann setzt auf die Solidarität innerhalb der Szene. Und da spielen an einem Punkt auch die Menschen eine Rolle, die Tickets für Konzerte gekauft haben. „Das Beste wäre es, wenn alle ihre Tickets behalten würden.“ Denn diese Gelder landen bei den Veranstaltern, die sich dann auf eine Verteilung mit den Künstlern und der Konzert-Location verständigen könnten. So könnte jeder Fan auch etwas zum finanziellen Überleben der Kreativen und Veranstalter beitragen. Und genau darin sieht auch Jan van Weegen die Hauptaufgabe: „Wir müssen die Bühnen erhalten, damit die Kultur nicht langfristig verödet und die Künstler wieder auftreten können.“

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