Halle Beuel "Warum das Kind in der Polenta kocht"

BONN · Ihr Zuhause ist ein Wohnwagen. Er steht nun auf der Hinterbühne der Halle Beuel, auf der Rückseite von "Metropolis". Aus dem Land, das der Diktator mit Stacheldraht umzäunt hatte, ist die rumänische Artistenfamilie geflohen in den goldenen Westen Europas.

Wunschträume vom sesshaften Dasein: Nadine Schwitter in ihrer eigenen Inszenierung.

Wunschträume vom sesshaften Dasein: Nadine Schwitter in ihrer eigenen Inszenierung.

Foto: Thilo Beu

Von einem großen Haus voller Luxus haben sie geträumt und sind Fremdlinge geblieben im ersehnten Paradies. "Meine Familie ist im Ausland zerbrochen wie Glas", berichtet das kleine Mädchen, das im Zirkusmilieu aufwuchs. Ihr Vater war Clown, nicht wirklich ihr Vater und sprach ungarisch. Ihre Mutter war Luftakrobatin.

Große Angst hatte das Kind, wenn die geliebte Mama an den Haaren oben in der Zirkuskuppel hing und mit Bällen und Feuerfackeln jonglierte. Geholfen gegen die tägliche Furcht hat das grausame Märchen vom Kind, das im Polentatopf umkam. In ihrem 1999 erschienenen Roman "Warum das Kind in der Polenta kocht", erzählt Aglaja Veteranyi, die sich 2002 einige Monate vor ihrem 40. Geburtstag in Zürich das Leben nahm, ihre eigene Geschichte.

In einer sehr bildhaften poetischen Sprache ohne jede Sentimentalität. Die junge Schauspielerin Nadine Schwitter nimmt den eigenwilligen Ton des Romans auf, den sie zusammen mit dem Regisseur Philipp Ludwig Stangl für die Bühne bearbeitet und inszeniert hat. Von Stangl stammen auch das Bühnenbild und die Videos: triste Landschaften, die an den Wohnwagenfenstern vorbeihuschen, Wunschträume vom sesshaften Dasein, alte Familienfotos.

In einen Album mit vergilbten Erinnerungsbildern blättert das Mädchen, lässt die Mutter als Puppe auf einem Plattenspieler kreisen und springt munter über die Brüche einer doppelten Fremdheit. Nadine Schwitter hält ihren Monolog perfekt in der Schwebe zwischen kindlicher Naivität und erwachsenem Selbstbewusstsein. Hinter ihren Schilderungen von kleinen Erlebnissen öffnen sich immer wieder unerwartete Abgründe.

In ihrem Zirkusjäckchen zu kecken Shorts (Kostüme: Kathrin Plötzky) präsentiert sie stolz eine Fernbedienung für die ärmliche Show auf dem flugs zwischen Caravan und Bühnenwand gespannten Vorhang. An eine Zukunft als Filmstar denkt sie im anrüchigen Varieté, wo sie den gierigen Blicken fremder Männer ihren jungfräulichen Körper vorführt. Schamlos und stolz, denn der künstliche Flitter ist echter als die schäbige Wirklichkeit.

Heimat riecht gut nach Polenta mit viel Fett und heimlich geschlachteten Hühnern auf dieser fabelhaften Reise in ein unerreichbares Paradies, wo der liebe Gott möglicherweise keine Fremdsprachen beherrscht und Schutzengel verstummen. Das Glück habe es sich anders vorgestellt, gibt das Mädchen am Ende zu.

Die trotzig komische Theaterstunde voller bitterer Poesie und schmerzhaft überraschender Intelligenz macht dennoch glücklich, weil die Passage ins Unglück pures Spiel ist. Die Produktion lief schon erfolgreich in Bern und Hamburg, hat aber durch die neue Bühnensituation in Bonn noch mal an Intensität gewonnen. Herzlicher Beifall von dem auf weißen Plastikstühlen zuschauenden und bei der Premiere ziemlich übersichtlichen Publikum.

Nächste Vorstellungen: 3./4. Dezember, weitere Aufführungen im Januar 2014. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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