Bonner Oper Walter Braunfels' "Der Traum ein Leben" wird zu einem Bühnenereignis

BONN · Der Regisseur trug Schottenrock. Jedenfalls nach dem Schluss der Bonner Premiere von Walter Braunfels' Oper "Der Traum ein Leben", als sich Jürgen R. Weber mit seinem Team dem jubelnden Publikum stellte, und man sich mit einem Gruß bedankte, wie er in Monty Pythons "Das Leben des Brian" Markenzeichen der Volksfront von Judäa ist: die geballte Faust mit Schwung zur Schläfe.

 Gülnare (Manuela Uhl) und Rustan (Endrik Wottrich) teilen sich die Macht.

Gülnare (Manuela Uhl) und Rustan (Endrik Wottrich) teilen sich die Macht.

Foto: Barbara Aumüller

Ein bisschen albern ist das schon. Aber es sagt auch sehr viel aus über Webers Inszenierung des märchenhaften Stoffes. Das Publikum wird reichlich mit fantasievollen, oft schrägen, manchmal überzeichneten Bildern gefüttert, so dass eine gewisse Wahlverwandtschaft zum britischen Anarcho-Humor durchaus zu erkennen ist. Wenn etwa der Märchenkönig im Maul eines Drachen steckend um Hilfe ruft oder der großartig aufgelegte Tenor Endrik Wottrich als Rustan auf einem Bett stehend über die Bühne schwebt.

Weber lässt viel Volk in tollen, von Kristopher Kempf entworfenen Fantasy-Kostümen aufmarschieren. Und Hank Irwin Kittel zaubert eine expressionistisch inspirierte Landschaft auf die Bühne, die zugleich Projektionsfläche für Mariana Jocics Videos ist.

Die eher traurige Werkgenese schwingt hier nicht mit. Braunfels hatte den "Traum" komponiert, nachdem er als Direktor der Kölner Musikhochschule von den Nazis aus dem Amt gejagt wurde. Der als Halbjude verfemte Komponist zog nach Bad Godesberg, wo er von 1933 bis 1937 in der Kurfürstenstraße Nr. 10 lebte.

Nach etlichen christlich geprägten Stoffen war dem zum katholischen Glauben konvertierten Komponisten wieder einmal nach einem genuinen Theaterstoff zumute. Und den fand er in Franz Grillparzers, auf Calderon zurückgehendem Drama "Der Traum ein Leben". Der Dirigent Bruno Walter, der schon Braunfels' "Vögel" aus der Taufe gehoben hatte, wollte nun auch den "Traum" zur Uraufführung bringen - in Wien.

Doch das vereitelte der "Anschluss" 1938. Erst 1950 erklang das Werk erstmals: als Radioproduktion im Hessischen Rundfunk. Die szenische Uraufführung folgte 51 Jahre später 2001 in Regensburg. Gedruckt sind die Noten noch immer nicht, die Bonner Musiker spielen aus Kopien der Handschrift.

Weber tut gut daran, die Erzählung vom jungen Rustan, der sich in einem langen Traum an der Seite seines mephistophelischen Dieners Zanga rücksichtslos an die Spitze des Fantasielandes Samarkand setzt, nicht als todernste Allegorie auf Macht und Machtmissbrauch zu bebildern, sondern ganz unverkrampft als Märchen-Satire. Dass der Regisseur die Ebene der Realität vor einem umgedrehten Theaterprospekt spielen lässt, der dem Publikum suggeriert, selbst auf der Bühne zu sitzen, ist dabei ein genialer Coup.

Die Musik, in der die romantische Wagner-Tradition sich streckenweise auf entwaffnend muntere Weise mit der Sachlichkeit der 20er Jahre mischt, hält das sehr gut aus. Zumal die Frische der Bühnenvorgänge unter der pointierten und leidenschaftlichen Leitung von Will Humburg durch das Beethoven Orchester ein Äquivalent findet. Der Klang wirkt immer schlank und elastisch und trotz der reichen Instrumentierung nie überladen.

Warum diese Oper nie den Weg auf die Bühnen fand, bleibt nach diesem Abend ein Rätsel. Zumal auch die Gesangspartien überaus reizvoll sind. Neben dem auch stimmlich sehr überzeugenden Wottrich begeistern vor allem der Bariton Mark Morouse mit großartiger Präsenz als Zanga und Sopranistin Manuela Uhl mit hinreißend gesungenen Melodien als Mirza/Gülnare.

Der Bass Rolf Broman gefällt als Massud und König, dessen insektenhafte dritte und vierte Hand von der scheinbar an seinem Rücken klebenden Katharina Wilting stammen. Anjara I. Bartz trumpft als "Altes Weib" auf. Auch die kleineren solistischen Rollen sind mit Graham Clark und Johannes Mertes sehr gut besetzt. Den Opernchor hatte Volkmar Olbrich bestens auf seinen anspruchsvollen Einsatz vorbereitet.

Dass Ludwig Grubert als Darsteller der einzigen Sprechrolle (Der Mann vom Felsen) zum Schlussapplaus nicht zu sehen war, lag daran, dass sich hinter diesem Pseudonym der Mann im Schottenrock verbarg.

Weitere Vorstellungen: 6., 12. April, 7., 11., 30. Mai. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen. Sendetermine Deutschlandradio Kultur, 5. April, 19.05 Uhr, WDR 3, 22. Juni, 20.05 Uhr.

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