Wagners "Tannhäuser" an der Bonner Oper

Beethoven Orchester unter Leitung von Stefan Blunier überzeugt

Wagners "Tannhäuser" an der Bonner Oper
Foto: Thilo Beu

Bonn. Wer sich nach Mitternacht durch die deutsche Fernsehlandschaft bewegt, stößt unweigerlich irgendwann einmal auf Hausfrauen-Striptease oder erotische Bemühungen, die sich als Sport-Clips tarnen.

In ähnlicher Ödnis verharrt allzu lange Klaus Weises Inszenierung von Richard Wagners "Tannhäuser" an der Bonner Oper. Musikchef Stefan Blunier und der Generalintendant haben sich bei dieser Zusammenarbeit mit dem Beethovenfest fatalerweise für Zusätze aus der sogenannten Pariser Fassung entschieden, sprich: für einen längeren Aufenthalt im Venusberg.

Des Gehampels und Gezappels am erotischen Ort will kein Ende sein. Orgiastisch freilich ist nur die Musik, der Rest praktiziert Sex in Zeiten der Schweinegrippe: keimfrei.

Das Ganze hebt ordentlich bedeutungsschwer an: Ein Ritter mit Langschwert macht sozusagen aus einer nackten Frau zwei, was man unschwer als das szenische Leitmotiv der Oper deuten mag und was Weise unentwegt durchspielt - hier die Heilige, dort die Hure.

Das illustriert in Kurzfassung Tannhäusers Dilemma: Der Sänger verlustiert sich bei der Göttin Venus, sehnt sich zugleich aber nach der (reinen) Liebe der Landgrafennichte Elisabeth. In einer radikal erstarrten Gesellschaft voller heuchlerischer Moralvorstellungen lassen sich Körper und Geist nicht zusammenfügen - Elisabeth und Tannhäuser scheitern.

Auf einen BlickDie Oper: "Tannhäuser" ist die populärste der Wagner-Opern, gut geeignet als Einstieg ins "schwere Fach".
Die Inszenierung: Eine sehr zwiespältige Arbeit: Eindringliche Personenführung wechselt mit schwacher Bild-Symbolik.
Die Musik: Solisten, Chor und Orchester - rundum erstklassige Leistungen.Der Beginn lastet schwer auf der Inszenierung, die sich ohnehin immer mal wieder auf entweder einfache oder anfechtbare Bilder zurückzieht. Das mit den zwei Seelen in der Brust ist rasch anschaulich gemacht: Venus, die Verführerin, hüllt sich ins Weiß der Unschuld, Elisabeth, die Keusche, ins Rot der Leidenschaft.

Die Pilger auf dem Weg gen Rom schauen eher so aus, als würden sie sich lieber mit Hape Kerkeling auf den Jakobsweg wegmachen, alle nett ausstaffiert mit Käppi, Thermosflasche und einem Jack-Wolfskin-Outfit für die religiöse Outdoor-Disziplin. Die Jagdgesellschaft des Landgrafen hat einen leichten Fascho-Anstrich, beim Sängerkrieg auf Wartburg geht's zu wie bei einer discomäßig animierten Casting-Show: Deutschland sucht den Superstar des Minnesangs.

Klaus Weise kann ganz anders, und er zeigt das auch, aber leider nicht durchgehend. Diese Elisabeth, die er auf die Bühne stellt, ist ein spannendes Wesen, körperlicher Zuneigung durchaus nicht abgeneigt. Die Wiedersehensszene zwischen ihr und Tannhäuser gehört zu den schönsten Episoden der Inszenierung: zwei übermütige Kinder für kurze Zeit im Paradies.

Den Einzug der Gäste zum Sängerwettstreit überlagert Weise mit Video-Einspielungen, entkleidet so das Geschehen seiner peinlichen Tümelei. Und ganz generell: Der Generalintendant kann gut und szenisch eindrücklich stillhalten, wenn er der Musik den Vortritt lassen will (Lied an den Abendstern, Rom-Erzählung). Am Ende gibt's so etwas wie ein Stücken Hoffnung: Venus versinkt nicht im Bühnen-Jenseits, sondern überlebt (geläutert?) am Sarg Elisabeths.

So unentschieden die Inszenierung ausfällt, so entschieden steuert Stefan Blunier mit dem Beethoven Orchester auf eine fulminante Wagner-Interpretation hin, die nach ein paar tastenden Anfangstakten in jedem Augenblick überzeugt.

Blunier dirigiert, bei aller Detailschönheit, mit ganz großem Atem, mit untrüglichem Sinn für lang gezogene Steigerungen und vor allem: mit erstaunlicher Frische. Er gewinnt der Partitur eine Leichtigkeit ab, die ebenso überrascht wie fasziniert.

Da trifft es sich gut, dass der Tannhäuser mit Scott MacAllister besetzt ist, der einen Tenor von wunderbar heller Färbung hat, dem man die Strapazen der Partie nie anmerkt, der strahlend klingen kann, ohne zu protzen, und der sich aufs intensive Gestalten versteht.

Nicht nur in dieser Beziehung ist Ingeborg Greiner als Elisabeth die ideale Partnerin. Das anfängliche Flackern der Stimme ist schnell abgelegt, Greiner findet in ihrem imponierenden Rollendebüt zu großen Aufschwüngen und zu berührenden Momenten, wird immer mehr auch vokal die Seele dieser Aufführung. Gegenspielerin Daniela Denschlag (Venus) setzt mächtiges, spannend dunkel gefärbtes Volumen ein.

Musikalisch bleibt kaum ein Wunsch unerfüllt, auch wenn Lee Poulis (Wolfram) erst ein bisschen spät die Schönheit seines Baritons ausspielen kann. Ramaz Chikviladze gibt dem Landgrafen markantes Profil, Anna Virovlansky bezaubert als Hirte in höchstem Maße, und Mark Morouse (Biterolf) macht aus einer Kurzpartie ein fesselndes Personen-Porträt. Chor- und Extrachor des Bonner Theaters (Einstudierung Sibylle Wagner) haben ohne Einschränkung Bayreuth-Format.

Die nächste Aufführung: 27. September; Karten unter anderem in den GA-Ticketshops.

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