Schöner Wohnen am Rhein Vor 50 Jahren: Richtfest im Bonner Kanzlerbungalow

Zwischen Ludwig Erhards Moderne und Helmut Kohls Barock: Das Architekturjuwel aus den 60er Jahren wird wiederentdeckt und neu bewertet, nachdem es vor einem halben Jahrhundert nur Spott und Kritik erntete.

Transparent, lichtdurchflutet, offen, modern, klar und von bescheidener Eleganz: Der von dem Architekten Sep Ruf entwickelte und von Bundeskanzler Ludwig Erhard initiierte Kanzlerbungalow im Park des Palais Schaumburg sollte nicht nur das ausstrahlen. Er sollte auch zum Zeichen für ein neues Staatsverständnis und einen neuen Repräsentationsstil der jungen Bonner Republik werden.

Die politische Elite versteckt sich nicht hinter wuchtigen Renaissance- oder Barockfassaden, logiert nicht in der Distanz eines präsidialen Schlosses wie dem Weißen Haus in Washington oder hinter den Mauern von Downing Street Nummer 10 in London.

Der Kanzler sollte in einem flachen, modernen, überschaubar dimensionierten, geradezu privaten Bungalow mitten im Park leben. Das gab es in der deutschen Geschichte noch nicht: Der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt sah in Rufs Bau "den Widerstand gegen Drohung, Dunkelheit und Chaos" verkörpert.

Und Bauherr Erhard, der wuchtig-barocke Franke mit seinem Wirtschaftswunderbauch und der Zigarre im Mund? Für Adenauers ungeliebten Nachfolger, den Kanzler der Jahre 1963 bis 1966, war Rufs Bau eine willkommene Imagekorrektur. Hier konnte er sich modern geben, als Liebhaber zeitgemäßer Architektur und funktionalen Designs.

"Dieser Bau spiegelt auch Erhards Demokratieverständnis", sagt die Historikerin und Politologin Judith Koppetsch vom Haus der Geschichte, die den Kanzlerbungalow seit 2006 wissenschaftlich betreut. Transparenz sei Erhard wichtig gewesen, daher legte er Wert auf Glas, außerdem auf Naturmaterialien - Holz, Ziegel, Travertin. "Es gibt keine Stufen, sondern einen ungehinderten Eintritt."

Gerade im Punkt Transparenz haperte es aber, betrachtet man die Vorgeschichte. Dass Erhard und sein Architekt Ruf Freunde und Nachbarn in Gmund am Tegernsee waren, Ruf Erhards privates Wohnhaus am See gebaut hatte, der Kanzler den Architekten ohne die üblichen Regularien eines Wettbewerbs betraute - das hatte schon ein Geschmäckle. Von Anfang an stand Erhards Bauprojekt, "Ludwigslust", "Palais Schaumbad" oder "Vitrine des Kanzlers" genannt, im schiefen Licht.

Durch eine Indiskretion erfuhr die Presse davon, noch bevor der Haushaltsausschuss des Bundestages grünes Licht gegeben hatte. Erst nach Baubeginn im November 1963 erfuhr der Ausschuss davon, erkannte zwar den Anspruch Erhards auf eine Dienstwohnung an, aber nicht die angesetzten 2,6 Millionen Mark. Die Zahl allein ließ die Presse über maßlosen Luxus spekulieren.

Auch der geplante Swimmingpool wurde zum Thema kritischer Berichte - da konnte ein Haushaltsausschuss-Mitglied noch so eindringlich argumentieren, das drei mal sechs Meter große Becken reiche allenfalls, um sich den Bauch zu waschen. Dass Erhard auch noch einen atomsicheren Keller wünschte, rief den Literaten Rolf Hochhuth auf den Plan: "Erhards pompöse Bezeichnung als Volkskanzler ist zur ätzenden Ironie geworden."

Angesichts heftiger Proteste ruderte die Bundesregierung zurück: Baupläne und -summe wurden reduziert, das Programm abgespeckt. Im General-Anzeiger pochte Erhard auf seinen bescheidenen Lebensstil und rechnete vor, mit 100 Quadratmetern Wohnfläche bewege er sich fast in den Grenzen des sozialen Wohnungsbaus. Dünnhäutig zeigte sich der beleibte Kanzler, als das Richtfest des Bungalows anstand. Unter Ausschluss der Presse gab es am 5. Mai 1964 eine 15-minütige Feier im kleinen Kreis, anschließend in der Kantine des Fahrdienstes Bier, Eisbein und Sauerkraut für die Bauleute, wie Judith Koppetsch recherchiert hat.

Erst am 13. November 1964 war die Presse geladen, den Kanzlerbungalow in Augenschein zu nehmen. Hatten die Medien zuvor Luxus und Verschwendung angeprangert, bemühte man sich nun um moderatere Töne. "Kein Luxus in Erhards Bungalow" titelte der General-Anzeiger in seiner Wochenendausgabe 14./15. November. Aus dem verschwenderischen Pool wurde ein "Planschbecken für Kanzlerkinder".

Maßhalten, Verzicht auf "übertriebenen Luxus", "überall einfache Linienführung", "auch Erhards Arbeitszimmer wirkt bescheiden", lobt der GA-Chronist, um sich dann auch einen poetischen Exkurs über den kanzlerischen Privatbereich zu gönnen: "Sowohl Ludwig Erhard als auch Gattin Luise haben die Möglichkeit, durch Öffnen einer Glastür vom Bett auch direkt in die kühlenden Fluten des Swimming-Pools zu tauchen." Letzterer, "ein bescheidenes Becken", verdiene jedoch den Namen Swimming-Pool nicht.

Der General-Anzeiger stellte auch klar, dass Erhard für seine 121 Quadratmeter "wie jeder andere Bürger auch" Miete zahlen müsse und andere Bürgersorgen teile. Etwa: "Wohin mit den vielen persönlichen Dingen, mit den alten, aber liebgewonnenen Einrichtungsgegenständen?" Das "alte Sofa aus den ersten Ehejahren, auf das Gattin Luise unter keinen Umständen verzichten wollte", fand, so der GA, immerhin Platz im Bungalow.

Was man auf dem Foto sieht, spricht eine andere Sprache: Erhards neue Einrichtung orientiert sich an der klassischen Moderne, folgt der Linie der Hermann-Miller-Collection, die seit 1957 von Vitra in Europa produziert wurde. Im Bungalow standen schwarz und weiß bezogene Sessel und Sofas der Stilikonen Charles und Ray Eames.

War also die Presse im Vorfeld der Eröffnung der Meinung gewesen, hinter Glas und Stahl verberge sich maßloser Luxus, wurden nun Kargheit und Ungemütlichkeit mit der Frage verknüpft, ob das ein angemessenes Umfeld für einen deutschen Kanzler sein könne. "Der Kanzler sitzt im Glashaus", schrieb die "Zeit", und die "Bunte" urteilte: "Zugegeben, nicht jeder Zeitgenosse würde in einem Haus wie dem Kanzlerbungalow wohnen mögen, aber Erhard gefällt er."

Das Ende der Gemütlichkeit: "Kein deutscher Bundeskanzler sollte je in diesen Bungalow verbannt werden", meinte die "Süddeutsche Zeitung". Den "Charme einer Hundehütte" billigte Minister Norbert Blüm dem Bungalow zu, als "Mahnmal der Hässlichkeit" und "Kreuzung zwischen Aquarium und einem amerikanischen Drugstore" bezeichnete der Diplomat Hans-Werner Graf von Finckenstein den Bau.

Bemerkenswert, wie resistent sich viele Zeitgenossen gegenüber der Moderne und diesem von der internationalen Fachwelt hoch gelobten Bungalow gaben. Bauhaus-Götter wie Mies van der Rohe und Gropius segneten Rufs Bau ab, andere lobten Eleganz, Maßstab und Proportion. Das Abenteuer Moderne, wie es Erhard vorschwebte, dauerte nur wenige Jahre. "Eigentlich hat sich nur Erhard hier wohl gefühlt", sagt Koppetsch, alle anderen hatten Probleme mit Rufs kargem Bau.

Mit Kanzler Kurt Georg Kiesinger, von dem der Spruch überliefert ist, "das Ding hat zwei Millionen gekostet. Ich muss da rein", begann der Umbau. Neue Struktur, neues Mobiliar. Kiesinger zog dann widerstandslos ein, und die Presse verlor das Interesse am Bungalow und dem Geschmack der jeweiligen Bewohner. Jeder Kanzler hat diesen Ort unterschiedlich geprägt, ob er nun hier gelebt hat oder nicht.

Politiker wie Leonid Breschnew und Michail Gorbatschow haben im Kanzlerbungalow Geschichte geschrieben, Prinz Charles und Diana waren da. Man hat Parties gefeiert, und es gab wichtige Hintergrundgespräche, etwa zu Brandts Ostpolitik. Kiesinger hielt im Bungalow die Morgenlage ab, Schmidt rief sein "Kleeblatt" zusammen. "Der Zehn-Punkte-Plan, der Weg zur deutschen Einheit, ist hier entworfen worden", sagt Koppetsch.

Aber auch als kulturelle Bühne hat Sep Rufs Bau fungiert: Elly Ney spielte im Musikzimmer für Erhard Beethoven, Udo Jürgens sang und musizierte für die Kiesingers, Brandt lud den Cellisten Mstislaw Rostropowitsch in den Bungalow ein. Romy Schneider mit ihrem Mann Harry Meyen, Hildegard Knef mit David Cameron, Dietmar Schönherr mit Vivi Bach, Maximilian Schell und Anja Silja feierten im März 1971 mit den Brandts. Großes Kino also damals in Bonn.

Jahrzehnte später, im April 2009, ging indes ein Raunen durch die Architekturszene. Lange Schlangen neugieriger Bürger bildeten sich vor dem Kanzlerbungalow; man riss sich förmlich um die knapp bemessenen Besichtigungstermine. Zehn Jahre nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin öffnete sich ein wunderbares Schaufenster der Bonner Republik: Dank einer aufwendigen Restaurierung und Rekonstruktion mit Mitteln der Wüstenrot Stiftung feierte der Bungalow seine Wiederauferstehung.

1999 hatte der letzte Bewohner Sep Rufs Bau verlassen, seit 2001 steht der Bungalow unter Denkmalschutz. Im Jahr 2006 nahm die Stiftung den Bau in ihr "Denkmalprogramm für die Erhaltung und Revitalisierung hochkarätiger Bauten der Moderne" auf, 2007 startete die Instandsetzung, 2009 wurde Eröffnung gefeiert: Betreut von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, bot sich den Besuchern ein sanierter Bungalow in den klaren Linien Sep Rufs und mit einem Innenleben, das die Geschichte des Ortes erzählt - und einem Doku-Zentrum, das Fakten und Hintergründe liefert.

Der von einigen Hausherren und Bewohnern geschmähte Bungalow mutierte in den letzten Jahren zum Publikumsmagneten: Bis zu 12 000 Besucher wandeln jährlich durch die Privaträume, bewundern die Ausblicke durch bodentiefe Fenster oder staunen über Kohls bräunliche Lampenlandschaften an der Decke.

Die Erfolgsgeschichte wird jetzt fortgesetzt. Anfang 2014 wurde bekannt, dass der Kanzlerbungalow Deutschland auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig vertritt. In Teilen soll Rufs Bau nachgebaut und in den Deutschen Pavillon gestellt werden. Die Zürcher Architekten Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, Kommissare des Deutschen Pavillons in Venedig, halten sich noch bedeckt über die Gestaltung.

Sep Ruf hatte seinen Kanzlerbau als schlank dimensionierte Stahlskelettkonstruktion mit gläsernen Fensterwänden und einem markanten, weit auskragenden Flachdach dimensioniert. Den Grundriss bestimmen zwei gegeneinander verschobene Quadrate. Der für Repräsentationszwecke bestimmte Bauteil misst 24 mal 24 Meter, der private 20 mal 20 Meter. Der offizielle Trakt umfasst einen Eingangsraum, Arbeitszimmer, sowie je einen Wohn-, Musik- und Speiseraum, die sich um das Atrium gruppieren. Zwei Haupträume konnten durch versenkbare Wände und Schiebetüren verändert werden.

Im privaten Teil gab es eine Essdiele, einen kleinen Wohnbereich, drei Gästezimmer, ferner das Allerheiligste des Kanzlers und seiner Gattin: jeweils sehr kleine Räume entlang eines engen Ganges. Auch im privaten Trakt findet sich ein Atrium, Platz für den 28-Quadratmeter-Pool (Kiesinger: "Sechs Stöße hin, sechs Stöße zurück"). Bleibt noch der Servicebereich mit Personalschlafräumen, Küche, Sitznische. Im Keller gibt es Schutzräume sowie zwei Weinkeller - einen für weiß, einen für rot.

Sep Rufs Konzept wurde bereits durch Erhards direkten Nachfolger Kurt Georg Kiesinger, besonders aber unter Helmut Kohl verändert, der vor allem im Repräsentationstrakt vieles umbauen ließ. Die äußerst gelungene Revitalisierung des Kanzlerbungalows durch die Wüstenrot Stiftung würdigt jetzt beide ästhetischen Pole der Bungalow-Geschichte: Erhards Moderne und Kohls Barock.

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