Nachruf auf Roger Willemsen Von Neugier getrieben

Bonn · Trauer um Roger Willemsen, dem in Bonn geborenen Autor, Denker und luziden Kultur-Talker, der mit 60 Jahren an Krebs gestorben ist.

"Wie gut, dass die Literatur in Bonn endlich ein Dach bekommt: Große Autorinnen und Autoren, Romane und Dichtung, Vergangenheit und Gegenwart, Zeitkritik und Polemik, kunstvoll Ziseliertes und spontan Improvisiertes, lauter innere Ereignisse“, lässt Roger Willemsen, seit 2011 Schirmherr des Bonner Hauses der Literatur, auf der Homepage wissen, und weiter: „Die Ressourcen der Literatur sind unerschöpflich, und sie bieten der Leserschaft unendliche Möglichkeiten der Selbstverwandlung an. Freuen Sie sich also, es ist angerichtet. Nun müssen nur noch die Gäste kommen: Sie.“

Der Bücher- und Leserversteher, der beseelte Welterklärer Willemsen ließ keinen Anlass aus, andere an seiner Lust am Lesen, am Denken und Fabulieren teilhaben zu lassen. Ein Schock, als dieser Feingeist und Intellektuelle kurz nach seinem 60. Geburtstag im August vergangenen Jahres bekannt gab, er habe Krebs, und alle Termine absagte. Am Sonntag ist der gebürtige Bonner in Hamburg an den Folgen seiner Krankheit gestorben.

Willemsen war in erster Linie Vermittler von Emotionen und luziden Gedanken, wobei er als – immer authentischer – Medienprofi auf der Klaviatur der Formate zu spielen wusste. Dem Fernsehpublikum stellte er in „Willemsen“ und „Willemsens Woche“ interessante Menschen und Inhalte vor, später kamen „Willemsens Zeitgenossen“, der „Literaturclub“ im Schweizer Fernsehen dazu. In Features brachte er uns Afghanistan und Guantánamo kritisch näher.

Er glänzte mit Dieter Hildebrandt auf der Kabarettbühne und reüssierte als Dokumentarregisseur mit dem brillanten Porträt über den Jazz-Pianisten Michel Petrucciani. Das weite Spektrum der Medien beschreibt nur annähernd Willemsens Bandbreite. Er machte mit dem TV Schluss, wurde Kolumnist, um dann doch wieder in den Fernsehring zu steigen, beim Medienzirkus mitzumachen, als witziger Gesprächspartner bei Harald Schmidt, als Promoter eigener Bühnenformate und Bücher. Etwa 2010 mit dem Buch „Die Enden der Welt“ – 22 Reisen von Bombay bis in die Eifel, durch Bordelle und Idyllen.

Das TV- oder Bühnenpodium war sein Biotop, hier konnte der smarte und bisweilen vergeistigt wirkende Talker augenzwinkernd die Rampensau geben, ob bei der Lit.Cologne oder im Bonner Haus der Geschichte, wo er im April 2015 seine brillante Langzeitstudie „Das Hohe Haus“ vorstellte, für die er sich ein Jahr lang ins Parlament gesetzt hatte.

Mit Merkels Neujahrsansprache, dieser „Manifestation ritueller Zwecklosigkeit“, startete Willemsen damals sein fantastisches Programm. „Ich suche in ihrem Gesicht, in ihren Gesten, die sie so gern im Scharnier der Raute einrasten lässt“, doch er findet nichts, nicht einmal Bedauern über die 142 Toten nach der Bombardierung in Kundus: Merkels konjunktivisches Mitleid – „Wenn es zivile Opfer gegeben haben sollte, dann werde ich das natürlich zutiefst bedauern.“

Willemsen konnte auch beklemmend nachdenklich sein. 2009 stellte er bei der Lit.Cologne sein Buch „Der Knacks“ vor. Der Knacks ereilte Willemsen im Alter von 15 Jahren, als sein Vater an Krebs starb. Roger Willemsen eröffnete seine Lesung mit diesem Todeskapitel, das in seiner genauen Beobachtung etwas Beklemmendes besaß. Das Sterben des Vaters verbindet sich mit dem verzweifelten Versuch des Jungen, ein entlaufenes Huhn seinem Besitzer zurückzubringen.

In Bonn und mit dem Bonner Politbetrieb ist Willemsen groß geworden. Er studierte in seiner Geburtsstadt, in Florenz, München und Wien Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte, wurde 1984 über die Theorie Robert Musils promoviert. Willemsens Werdegang begann akademisch-klassisch als Assistent an der Münchner Universität, er hat übersetzt, frei geschrieben, Bücher herausgegeben, bevor er in den 90er Jahren beim Pay-TV-Sender Premiere, wo er für die Sendung „0137“ Prominente interviewte, mit „Willemsens Woche“ im ZDF und der Talkshow „Nachtkultur mit Willemsen“ beim WDR seine Karriere als belesener, scharfzüngiger Kultur-Talker startete.

Ein Interview in der Zeitschrift „Cicero“, in dem Willemsen 2012 über sein Buch „Momentum“ sprach, über die Liebe und warum es dem Bestsellerautor leichter falle, über Sex als über Gott zu reden, mündete in eine wunderbare, sehr treffende Selbstbeschreibung des Autors. Gefragt, mit welchem Romanhelden er sich vergleichen möge, sagte er: „Eine Figur bei Jack London. Also jemand, der eher im Bereich der Abenteuerliteratur zu suchen ist, der von Hunger getrieben wird, der eine Bedürftigkeit hat, mehr Wirklichkeit zu komprimieren.“ Außerdem fasziniere ihn die Figur Nagel aus dem Roman „Mysterien“ von Knut Hamsun, „der in einem gelben Anzug an einem Flusslauf in Norwegen erscheint, diesen kleinen Ort in vollkommene Turbulenz versetzt und sich am Ende umbringt. Und letztlich weiß man eigentlich nur, dass seine Trauer echt gewesen und dass sein sonstiges Verhältnis zur Welt entweder leidenschaftlich oder ironisch gewesen sein muss.“

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