Visionäre Kraft eines großen Entwurfs

Klassische Philharmonie spielt zu Neujahr, das Deutsche Barockorchester zu Silvester in der Bonner Beethovenhalle

Bonn. Peter Tschaikowsky hörte aus der 9. Sinfonie Beethovens "den Schrei hoffnungsloser Verzweiflung eines schöpferischen Genies" heraus, Richard Wagner, wie könnte es anders sein, deutete das Werk als "Erlösung der Musik zur allgemeinsamen (!) Kunst".

Claude Debussy aber, der das Werk selbst als "mächtig und klar" schätzte, mokierte sich bereits im Jahre 1901 darüber, dass man aus Beethovens 9. Sinfonie "einen Popanz zur öffentlichen Verehrung" gemacht habe.

Von hochpathetisch aufgeladenen Beethovenbildern hielt sich die Interpretation der Klassischen Philharmonie unter Heribert Beissel im Neujahrskonzert in der Beethovenhalle merklich fern. Beissel näherte sich dem Werk eher von der klassischen Seite, in seiner Darstellung herrschte ein klarer Formsinn.

Sehr konzis und prägnant entfaltete das Orchester die vorwärtsdrängende Energie der Motivverwandlungen im ersten Satz, bedeutungsschwangerer Romantik wollte Beissel ausweichen. So kassierte er auch die Ritardandi der Bläserepisoden kurz nach Beginn der Durchführung kurzerhand ein. Das Scherzo erklang in einem auffällig raschen Tempo, das vom Orchester zwar gemeistert wurde, dem Satz aber auch etwas von seiner bohrenden Eindringlichkeit nahm.

Mit schöner innerer Ruhe ließ das Orchester die kantablen Linien des Adagios sich entwickeln, wobei die Bläser sich mit überaus feinsinnigem Spiel in Szene setzen konnten. Und auch die Interpretation des Chor-Finales ließ die visionäre Kraft des Beethovenschen Entwurfs lebendig werden.

Beissel konnte dabei auf den klangstarken Gesang des Chur-Cölnischen Chors bauen, der der berühmten "Freude"-Ode Strahlkraft verlieh. Hyung-Wook Lee gefiel mit einem lyrisch betonten, leider etwas vibratoreichen Bass, Klaus Schneider trat mit markantem Tenor in Erscheinung, Barbara Dobrzanska, Sopran, und Julia Grinjuk, Mezzosopran, komplettierten das Solisten-Quartett.

Zu Silvester betätigte sich die Berliner Kammerphilharmonie als äußerst rühriger Veranstalter, die in fünf deutschen Städten klassische Konzerte mit vier verschiedenen Ensembles anbot.

Nach Bonn und Düsseldorf schickte man das Deutsche Barockorchester, das für beide Städte nicht nur ein identisches Programm vorbereitet hatte, sondern es auch zeitgleich spielte (freilich mit jeweils anderen Dirigenten und Solisten).

Es bestand aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten", Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 3, Mozarts Kleiner Nachtmusik sowie der Pizzicato-Pollka von Johann Strauß. Die Leitung im fast ausverkauften Forum Süd der Beethovenhalle hatte der junge Kölner Dirigent Benjamin Desalm übernommen.

Das laut Programmheft überwiegend aus Studenten und Absolventen "westfälischer Musikschulen" bestehende Ensemble musizierte nach dem Vorbild renommierter Barock-Ensembles mit packendem Zugriff, rasant und mit großer Spielfreude. Allerdings wurden immer wieder die technischen Grenzen der jungen Musiker hörbar. Das galt auch für die Geigerin Nataliya Demina, die den Solopart in Vivaldis "Jahreszeiten" übernommen hatte.

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