Verhüllungskünstler Christo zu Gast im Max-Ernst-Museum

Das Wörtchen "Wir" sagt er oft und auch "Jeanne-Claude and me": Zwei Tage nach seinem 75. Geburtstag, der auch ihrer gewesen wäre, steht Christo auf der Bühne des Dorothea-Tanning-Saals im Brühler Max-Ernst-Museum. Ein kleiner, schmächtiger Mann mit Intellektuellenbrille und einem wilden weißen Haarkranz.

Verhüllungskünstler Christo zu Gast im Max-Ernst-Museum
Foto: Museum

Bonn. Das Wörtchen "Wir" sagt er oft und auch "Jeanne-Claude and me": Zwei Tage nach seinem 75. Geburtstag, der auch ihrer gewesen wäre, steht Christo auf der Bühne des Dorothea-Tanning-Saals im Brühler Max-Ernst-Museum. Ein kleiner, schmächtiger Mann mit Intellektuellenbrille und einem wilden weißen Haarkranz.

Er steht etwas verloren da in Jeans und dem obligatorischen sandfarbenen Parka. 750 Menschen sind gekommen, um Christo zu sehen, der Saal ist überfüllt. Wer dort keinen Platz gefunden hat, sitzt vor Projektionswänden im Museum. Die Besucher werden nicht enttäuscht, Christo ist in blendender Laune, ein Entertainer, ein witziger, pointierter Redner in eigener Sache, präzise in der Präsentation seines und Jeanne-Claudes Lebenswerk, Schlagfertig bei der Diskussionsrunde mit dem Publikum oder später dann mit der Presse.

"Over the River"Seit 1992 planten Christo und Jeanne-Claude "Over the River", ein Projekt für den Arkansas River in Colorado (USA). Das Prinzip klingt einfach: 9,4 Kilometer Flusslauf sollen in einer Höhe zwischen 2,4 und 7,6 Metern mit 1 200 Stoffpaneelen überspannt werden. Insgesamt 64,3 Kilometer Fluss zwischen Parkdale und Salida sollen in das Projekt eingebunden werden. Zwischen den bis zu 36 Meter breiten Stoffbahnen gibt es immer wieder Unterbrechungen von einigen Metern bis hin zu mehreren Kilometern. Die Realisierung von "Over the River" ist ein technischer und logistischer Kraftakt. Parallel laufen technische Vorbereitungen und aufwendige Genehmigungsverfahren. Das vorerst letzte Gutachten soll im Juli der betroffenen Bevölkerung vorgelegt werden. 6,5 Millionen Dollar hat das Projekt bereits verschlungen. Geht es nach Plan, werden sich die Rafter auf dem Arkansas im August 2013 zwei Wochen lang den Himmel durch einen riesigen Stoffbaldachin anschauen.

Er hat seine "Lectures", die als einstimmender Baustein seiner Kunst eine ganz wichtige Rolle spielen, schon überall und tausendfach gehalten. In Brühl legt er so viel Verve hinein, als sei es das erste Mal, als hätten die aus der ganzen Region zusammengekommenen Zuhörer über das noch unrealisierte Projekt "Over the River" zu entscheiden.Jeder will wissen, wie es nach dem plötzlichen Tod von Christos symbiotischer Partnerin Jeanne-Claude im November 2009 weitergeht. Zwei große Projekte hatte sie noch vorbereitet. Das eine, "The Mastaba" genannt, ist seit 1977 in Planung, erzählt Christo: Höher als die Cheops-Pyramide sollen sich in der Wüste von Dubai 410 000 Fässer stapeln.

Der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak, die explosive politische Situation im Nahen Osten zwangen Christo und Jeanne-Claude immer wieder zu Unterbrechungen. Das Projekt liege derzeit auf Eis, sagte Christo. Dafür befindet sich das andere, "Over the River" (Details siehe unten), in einer kritischen, besser: entscheidenden Phase. 6,5 Millionen Dollar hat das 1992 gestartete, von der Reichstagsverhüllung in Berlin und den orangen Toren im New Yorker Central Park unterbrochene Projekt bereits verschlungen.

Die Kosten für die Planung der Fluss-Überspannung mit Stoffbahnen, Gutachten, Veranstaltungen, wurden allesamt von Christo und Jeanne-Claude selbst bestritten. Glaubt man Christo, dann steht die endgültige Entscheidung unmittelbar bevor. Dann könnte die Christo-Factory loslegen. Der Stoff soll made in Germany sein: hergestellt in Emsdetten, genäht im sächsischen Taucha, wie schon bei The Gates und beim Reichstag, erzählt Christo.

Wie die Idee zu "Over the River" entstanden sei, wird er gefragt. Er unternimmt eine Zeitreise zum verpackten Pont Neuf in Paris, 1985 durch professionelle Bergsteiger realisiert, die den Stoff an der berühmten Seine-Brücke befestigten. "Jeanne-Claude und ich sahen durch den Stoff hindurch den Himmel, das Licht und waren fasziniert." Paris, das war für beide ohnehin ein besonderer Ort, und nicht nur, weil sie sich dort in den 60er Jahren ineinander verliebten, sinniert Christo.

In der Pariser Rue Visconti realisierte Christo seine erste öffentliche Arbeit, er blockierte die Straße mit Ölfässern. In Paris begann die "poetische Kolonisierung der Umwelt" und der Kampf gegen den "bürokratischen Horror" in Japan und in den USA oder in Berlin, wo Christo und Jeanne-Claude über 600 Abgeordnete und unzählige Entscheidungsträger über Jahrzehnte bearbeiten mussten.

Ob er sich denn als Künstler sehe, wird Christo in Brühl gefragt. Er lacht: "Wir kommen in Dimensionen, die die Kunst nicht erreicht, wir leihen uns öffentliche Räume aus und bringen einige Wochen Unruhe hinein." Ob er denn den Mond verhüllen würde? Auch hier weicht Christo nicht aus: "Wenn wir genug Leute zusammenbringen, schaffen wir das!" Und wie ist sein Verhältnis zur Heimat Bulgarien? "Ich war nie wieder dort, wir haben keine Zeit, an Orten zu sein, die sich nicht für unsere Kunst interessieren und nicht dafür zahlen wollen."

Im kleineren Kreis der Pressevertreter kommt zur Sprache, wie die Welt ohne die Partnerin aussieht. "Jeanne-Claude zu ersetzen, das ist sehr schwierig", sagt er, "sie konnte mit drei Telefonen gleichzeitig hantieren, ich hasse telefonieren, kann schlecht Englisch, musste jetzt erst lernen, mit Leuten zu verhandeln, die ich nicht sehe - und habe mir gleich Skype besorgt." Jeanne-Claude war die Logistikzentrale der Christo-Factory.

"Wir sind immer in getrennten Flugzeugen gereist, der Sache zuliebe, falls etwas passiert." Christo ist nun auf sich alleine gestellt. Nicht ganz: "Jeanne-Claude hatte drei sehr gute Assistenten, die habe ich geerbt." Und da gibt es noch seit 1971 den natürlich auch in Brühl anwesenden Adlatus Wolfgang Volz, der inzwischen wie Christos Bruder aussehe, meinte eine Besucherin. Großes Gelächter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Daniel Johannes Mayr dirigiert das Beethoven
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCampNeue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Aus dem Ressort