Ausstellung im Haus der Geschichte Vereinte Feinde

Bonn · "Ab morgen Kameraden! Die Armee der Einheit": Das Bonner Haus der Geschichte dokumentiert die Übernahme der NVA durch die Bundeswehr und wirft einen Blick in die Zukunft

 Wehrhafte Jugend: Kinderpanzer aus der DDR mit Trabi-Motor in der Ausstellung.

Wehrhafte Jugend: Kinderpanzer aus der DDR mit Trabi-Motor in der Ausstellung.

Foto: Benjamin Westhoff

"Ab morgen Kameraden!“ Dieser Befehl hört sich so irrwitzig, so absurd und blauäugig an. Besonders, wenn man in das Rohr eines Kinderpanzers aus der DDR blickt, der bei Paraden mitrollte, um die Wehrbereitschaft der Jugend gegen den Klassenfeind im Westen zu untersteichen. Oder wenn man im ersten Raum der neuen Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte vor der Europakarte steht: Eine Momentaufnahme aus dem Kalten Krieg in den Jahren 1982/83. An der deutsch-deutschen Grenze belauerten sich damals die befeindeten Truppen, die laut Tagesbefehl des DDR-Ministers für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, vom 2. Oktober 1990 ab sofort Kameraden sein sollten.

1982/83 zielten 3938 Westpanzer auf 3100 Ostpanzer, standen 495 000 Bundeswehsoldaten 166 000 Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) gegenüber, die Luftkampf-Armada der Westler übertraf die der Ossis bei Weitem. Über 200 000 G.I.s der USA und 380 000 Rotarmisten der Sowjets standen zudem auf deutsch-deutschem Boden bereit.

Und dann die Machtblöcke hinter der Bundesrepublik (Nato) und der DDR (Warschauer Pakt): Ein mörderisches Arsenal für den Dritten Weltkrieg. Ein Wunder, dass diese starren Machtböcke keine zehn Jahre später Geschichte waren, ein weiteres Wunder, dass auf die friedliche Revolution in der DDR die „friedliche Übernahme einer feindlichen Armee“ folgte, wie Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, diesen spektakulären und historisch einmaligen Vorgang bezeichnet.

Wie es dazu kam, das dokumentiert und verdichtet die spannende Ausstellung „Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit“ im Foyer des Hauses der Geschichte mit rund 500 Exponaten vom besagten, 700 Kilogramm schweren Kinderpanzer auf einem Trabi-Chassis und entsprechendem Motor bis zu Joschka Fischers dunklem „Boss“-T-Shirt mit den Spuren vom Farbbeutelattentat beim Grünen-Sonderparteitag 1999, als ein Parteifreund die Galionsfigur der Grünen, den Außenminister, für sein Engagement im Kosovokrieg bestrafte. Die Wahl dieses Exponats deutet schon darauf hin, dass es sich in der Schau nicht allein um das Schicksal der NVA zwischen Mauerfall und Vollzug der Einheit und die teilweise Übernahme durch die Bundeswehr dreht, sondern auch um die Geschichte beider Armeen, die historisch auf Hitlers Wehrmacht folgen, und die neuen internationalen Aufgaben der Armee der Einheit.

Die Vorgeschichte wird in Ost wie West von einer Frage dominiert: Wie definiere ich nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs das Selbstverständnis einer Armee in Deutschland. Wiederbewaffnungsdebatte und Hadern mit überkommenen Orden und Symbolen, außerdem hehre Gedanken zur „inneren Führung“ im Westen. Im Osten profiliert sich die Truppe als Helferin in Notzeiten – und entwickelt das klare Feindbild der „Bundeswehr als imperialistische Aggressionsarmee“. Was die Ausstellung nicht zeigt: In Ostberliner Schubladen lagen detaillierte Angriffspläne für einen Durchmarsch der NVA in einer Woche bis zur niederländischen Grenze. Die Nato verfügte über keine entsprechenden Pläne.

Vor dieser Jahrzehnte währenden Konfrontation ist, glaubt man der Ausstellung, bei der Übernahme durch die Bundeswehr nichts mehr zu spüren (11 000 Soldaten dauerhaft und gerade einmal sieben Prozent des Materials). „Geräuschlos und im Ergebnis gut“ sei es gelaufen, sagt Bundeswehr-Generalmajor Werner von Scheven, einer von vielen Zeitzeugen, im Video.

Hartmut von Skrbensky, Major eines NVA-Panzerregiments, hingegen klagt über den Frust in der Truppe, über Perspektivlosigkeit. Er quittierte den Dienst, studierte Betriebswirtschaft und machte als Projektentwickler Karriere. Ein anderer Zeitzeuge als Romancier: Uwe Tellkamp war als NVA-Soldat einer Hundertschaft zugeteilt worden, die die Volkspolizei gegen Demonstranten in Dresden unterstützen sollte. Er verweigerte den Befehl, wurde inhaftiert, beurlaubt, verlor seinen Studienplatz. 2008 veröffentlichte er den großartigen Wende-Roman „Der Turm“.

Die Ausstellung zeigt die Erosion der NVA, die hilflosen Reformversuche, die der Übernahme vorausgingen. Und sie zeigt das neue, weltumspannende Einsatzgebiet der Armee der Einheit – mit Hochglanzfotos global operierender Helden und den Schattenseiten vom Trauma bis zum Tod. Die Schau endet stilecht mit dem Zapfenstreich.

Haus der Geschichte; bis 12. Februar. Di-Fr 9-19, Sa, So 10-18 Uhr

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