Bonner Beethovenfest Ururenkelin Nike Wagner soll's richten

BONN · Nike Wagner, deren Urahn Franz Liszt das Bonner Beethovenfest ins Leben rief, wird wohl Nachfolgerin von Ilona Schmiel. Das ist schon eine hübsche Pointe im Bonner Personalkarussell: Ausgerechnet im aktuellen Wagner-Jahr soll mit Nike Wagner eine Urenkelin Richard Wagners zur neuen Intendantin des Beethovenfestes berufen werden.

Sie ist die Favoritin von Bonns Kulturdezernent Martin Schumacher, wie er gestern dem General-Anzeiger auf Anfrage bestätigte. Schumacher, der von den beiden Gesellschaftern des Beethovenfestes, Stadt Bonn und Deutsche Welle, mit der Suche nach einer Nachfolge für die scheidende Intendantin Ilona Schmiel beauftragt wurde, hält Wagner für die geeignete Persönlichkeit, die Weichen für die Feierlichkeiten zu Beethovens 250. Geburtstag im Jahre 2020 zu stellen.

"Sie ist umfassend interessiert, neugierig, innovativ und handelt spartenübergreifend", sagte Schumacher, der fest davon überzeugt ist, dass sie das Bonner Festival weiterentwickeln können wird.

Nike Wagner ist eine eher spätberufene Festivalchefin. Als sie 2004 die Leitung des "Pèlerinages" Kunstfestes Weimar übernahm, war sie bereits 59 Jahre alt. In diesem Jahr geht das Kunstfest zum letzten Mal unter ihrer Leitung über die Bühne. Doch Rente mit 67 war für sie keine Option. "Ich bin noch zu haben", signalisierte sie bereits im Januar in einem Interview mit der Thüringischen Allgemeinen. Und wie es scheint, wird Bonn erfolgreicher Brautwerber sein.

Nike Wagner hat das Kunstfest Weimar in den vergangenen zehn Jahren zu hohem, insbesondere überregionalen Ansehen verholfen. Trotz des vergleichsweise kleinen Etats von zuletzt 1,3 Millionen Euro, wobei die Stadt Weimar mit 250 000 Euro im Boot ist, der Rest sind Landes- und Sponsorenmittel. Mit der Automarke Skoda hat sie für das Kunstfest sogar einen ausgesprochen großzügigen und treuen Sponsor gewonnen.

Die bescheidene finanzielle Ausstattung macht sich auch in der inhaltlichen Ausrichtung des Kunstfests bemerkbar, das Nike Wagner selbst einmal als "elitäres Label" bezeichnete. Wer Glamour will, ist in der Klassikerstadt fehl am Platz. Mag sein, dass der Zuschauerschwund, den das Festival zuletzt zu beklagen hatte, auch damit zusammenhängt. Zum Kunstfest 2011 waren noch 22 000 gekommen, ein Jahr später laut Veranstalter nur noch 18 000. Wagner musste sich deshalb in Weimar von der Politik zum Teil deutliche Kritik an ihrer Konzeption gefallen lassen.

Glamourös ist das Programm, das sie in Weimar präsentiert und in den vergangenen Jahren präsentiert hat, nicht. Ihr letztes Kunstfest widmet Nike Wagner im August und September inhaltlich ihrem Urgroßvater Richard Wagner; vorgesehen sind unter anderem Aufführungen des "Lohengrin", allerdings nicht in Wagners Version, sondern als minimalbesetztes Monodram aus der Feder des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino.

Urgroßvaters "Ring" gibt es als Gastspiel des Salzburger Marionettentheaters. Eine glückliche Hand beweist sie bei der Auswahl der Artists in Residence: Der Geiger Gidon Kremer und seine Kremerata Baltika sind es in diesem Jahr. Zum großen Finale hat die Kunstfest-Chefin alle Künstler zum gemeinsamen Musizieren eingeladen, die diesen Titel in den vergangenen zehn Jahren führten, darunter der Pianist András Schiff, der Komponist Jörg Widmann oder der Pianist und Musikmanager Markus Hinterhäuser. In den vergangenen Jahren spielte auch das Tanztheater eine große Rolle, eines der Highlights war 2012 die Verpflichtung des amerikanischen Regie-Superstars Robert Wilsons, der Liszts "Via Crucis" inszenierte.

Große Orchester hingegen sucht man mit Ausnahme der lokalen Staatskapelle in Weimar meist vergebens. Fürs deutlich größer dimensionierte Bonner Beethovenfest, das 2013 über einen Etat von 5,1 Millionen Euro verfügen kann, bilden die berühmten Klangkörper aber das Rückgrat. Vor allem die großen Zyklen mit der Aufführung der Beethoven-Sinfonien sind ein wesentliches Merkmal der Beethovenfeste in Bonn. Für 2014 hatte Noch-Intendantin Ilona Schmiel bereits einen Zyklus mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Leitung von Andris Nelsons angekündigt. Da wird man von Wagner Kontinuität erwarten.

Gleichwohl mag Schumacher in den fehlenden Kontakten Wagners zu den internationalen Orchestern und Dirigenten keinen wirklichen Nachteil erkennen. Er geht davon aus, dass dies innerhalb des Beethovenfestes kompensiert werden könne. "Sie hat ja ein sehr starkes Team in Bonn", sagte er gestern. Für Schumacher jedenfalls ist Nike Wagner erste Wahl. Er beschreibt sie als "Vollblut-Intellektuelle", die international stark vernetzt sei und die Strukturen sehr genau kenne. Am 17. Mai wird sich der Aufsichtsrat des Beethovenfestes mit der Personalie beschäftigen, am 22. Mai der Kulturausschuss, und am 23. Mai soll dann der Rat entscheiden.

Als Mitglied der Wagner-Familie hat Nike Wagner in der Vergangenheit sich wiederholt in den Machtkampf des Wagner-Clans um den Grünen Hügel in Bayreuth eingeschaltet. Die im Bayreuther Haus Wahnfried aufgewachsene Tochter von Wieland Wagner brachte sich erstmals 1999 mit einer Bewerbung ins Spiel, um ihren Onkel Wolfgang Wagner aus dem Amt zu drängen. Mitbewerber an ihrer Seite war damals Elmar Weingarten. Der Zürcher Tonhalle-Intendant (dessen Stelle Ilona Schmiel 2014 übernehmen wird) ist übrigens auch Mitglied in Schumachers Expertenkommission für die Intendantensuche.

Mit ihrem Vorstoß scheiterte sie damals jedoch ebenso wie bei ihrem erneuten Versuch, nach Wolfgang Wagners Abschied 2008 Herrin über den Grünen Hügel zu werden. Zunächst bewarb sie sich gemeinsam mit ihrer Kusine Eva Wagner-Pasquier, nachdem die aber die Seiten wechselte und sich mit ihrer Halbschwester Katharina verbündete, versuchte sie es mit dem früheren Chef der Salzburger Festspiele, Gerard Mortier, an der Seite.

Nike Wagner gilt seit langem als scharfe Kritikerin der Festspiele in Bayreuth, denen sie künstlerische Erstarrung unterstellt. Menschlich fühlt sie sich ihrem Ururgroßvater Franz Liszt, der im Übrigen 1845 das erste Beethovenfest der Geschichte leitete, näher. Mit ihrer Kritik an Bayreuth hält sie auch nach der Berufung ihrer Kusinen mit Kritik nicht zurück. Zuletzt warf sie ihnen laut Medienberichten vor, im "Zustand der Illegalität" zu arbeiten: Die Nachfolge Wolfgang Wagners sei "sittenwidrig" verlaufen, sein Posten "im Grunde vakant".

Dass der Grüne Hügel ihr keine Ruhe lässt, wird in Bonn durchaus mit kritischer Aufmerksamkeit registriert. Jürgen Repschläger von den Linken meldet jedenfalls Bedenken an, was die Nachhaltigkeit einer Verpflichtung Nike Wagners angeht: "Ob mit Frau Wagner allerdings eine Intendantin gefunden wurde, die auch das Beethovenfest 2020 in ihrer Verantwortung durchführt, erscheint zweifelhaft, da sie nach wie vor auch mit Bayreuth liebäugelt", teilte er gestern mit. In den anderen Parteien wird Schumachers Vorschlag mit Wohlwollen registriert. CDU-Kultursprecher Markus Schuck etwa weist auf ihre Verdienste in Weimar hin: "Nike Wagner hat dem Kunstfest Weimar ein eigenes, erfolgreiches Profil verliehen. Ich bin gespannt und neugierig auf ihre konzeptionellen Ansätze und Ideen für das sicherlich anders geartete Internationale Beethovenfestival und natürlich für Beethovens 250. Geburtstag in 2020."

Medialer Aufmerksamkeit darf sich Nike Wagner in jedem Fall gewiss sein. Sie gilt als Liebling der deutschen Feuilletons, die vor allem die intellektuelle Durchdringung ihrer Konzepte, sei es für Weimar oder für Bayreuth, schätzen. Bei ihrer Bayreuth-Bewerbung mit Mortier an der Seite attestierte die FAZ ihr "Souveränität und ein der Sache verpflichtetes Verantwortungsgefühl".

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