Interview Unsuk Chin: „Der Interpret muss schwitzen“

Bonn/Köln · Die aus Südkorea stammende Unsuk Chin ist Porträtkomponistin des diesjährigen Kölner „Acht Brücken“-Festivals, das am 28. April startet. Insgesamt 13 ihrer Werke werden von Orchestern wie den Bamberger Symphonikern oder dem Gürzenich-Orchester und weiteren Interpreten aufgeführt.

Vorliebe fürs Altgriechische: Komponistin Unsuk Chin.

Vorliebe fürs Altgriechische: Komponistin Unsuk Chin.

Foto: KölnMusik GmbH

Sie haben gelegentlich beklagt, in Deutschland herrsche in Bezug auf Neue Musik ein Dogma. Es diktiere Komponisten, welche Eigenschaften Musik haben müsse und vor allem: welche nicht. Hat sich da in den mehr als 30 Jahren, die Sie hier leben, etwas verändert?

Unsuk Chin: Na ja, man sollte nichts verallgemeinern – die Szene in Köln zum Beispiel empfand ich schon früh als pluralistisch und offen – und sicherlich hat sich auch manches geändert. Außerdem haben die Strenge und die Konsequenz, mit der hierzulande Neue Musik betrieben wurde, auch etwas Faszinierendes: Gerade auf diesem Boden erwuchsen fantastische Neue-Musik-Ensembles und großartige Initiativen. Allerdings empfand ich – besonders in den 1980er Jahren und auch noch in den 90er Jahren – die Debatten in weiten Neue-Musik-Kreisen schon als sehr verbiestert und ideologisch aufgeladen. In einigen Kreisen wurde sogar ernsthaft behauptet, dass Ligeti und Boulez reaktionär seien und dass selbst ein Avantgardist wie Helmut Lachenmann die Sache der Neuen Musik verraten hatte. Das ist doch kindisch: Mit solchen Sektierereien wird dem Publikum die Lust an Neuer Musik und an ihrer Vielfalt ausgetrieben, was gerade bei der heutigen Krise der Klassik kontraproduktiv und weltfern ist. Dazu kam für mich auch, dass ich mich als Komponistin mit asiatischer Herkunft lange Zeit nicht willkommen fühlte.

Inwiefern?

Unsuk Chin: Mein Eindruck war, dass man von mir erwartete, eine Ästhetik, die in Darmstadt oder Donaueschingen gang und gäbe war, zu imitieren, oder/und irgendetwas nicht näher Definiertes mit irgendeiner Vorstellung von asiatischer Tradition zu machen. Außerdem war das Theoretisieren und Reden über Musik enorm wichtig. All das hat mich nicht interessiert, und so habe ich dann auch von mir aus keinen Kontakt zur hiesigen Neue-Musik-Szene gesucht.

Welche Konequenzen hatte das für Sie?

Unsuk Chin: Das führte dazu, dass ich jahrelange nur im Ausland Aufführungen hatte, irgendwann kamen dann Aufführungen in Deutschland durch einige Neue Musik-Ensembles, die Bayerische Staatsoper, die Berliner Philharmoniker und andere Orchester dazu, auch einige Residencies, aber mehr wurde ich doch in Paris, London, Amsterdam, Stockholm, New York oder Tokyo aufgeführt. Damit hatte ich persönlich kein Problem, aber ich fand es schade, dass das Angebot an Neuer Musik nicht vielseitiger war: beispielsweise bekommen so exzellente deutsche Komponisten wie beispielsweise Friedrich Goldmann oder York Höller nicht die Anerkennung, die sie verdienten. Aber Dogmen gibt es natürlich überall. In London, wo ich die Neue-Musik-Reihe des Philharmonia Orchestra leite, gibt es wiederum sehr strikte Regeln, was als kompositionstechnisch "korrekte" Musik gilt. Und da fallen dann natürlich auch viele Komponisten von vorneherein aus dem Raster.

Haben Sie Ihren Lehrer in Hamburg, den Komponisten György Ligeti, als Dogmatiker erlebt?

Unsuk Chin: Ligeti war ein komplizierter Mensch, aber ein Dogmatiker war er keinesfalls, eher im Gegenteil: während seiner Stunden hörten und analysierten wir Werke der gesamten europäischen Musikgeschichte vom Spätmittelalter über Klassik und Romantik bis hin zu Neuer Musik, außereuropäische traditionelle Musik, Jazz, sogar Popmusik … Von seinen Inspirationen durch die Wissenschaften und Literatur ganz zu schweigen. In seiner Kritik konnte er indes vernichtend sein, und es war ein rotes Tuch für ihn, wenn jemand versuchte, bestimmte Formeln und Muster der Avantgarde zu kopieren. Auch Ligeti-Imitationen waren natürlich verboten. Er war unglaublich skrupulös und stellte sich selbst, Kollegen und Studenten die höchsten Anforderungen in puncto Handwerk und Originalität. Es war eine harte Schule: überaus inspirierend und lehrreich, aber natürlich um vieles schwieriger als wenn jemand einen nur einen bestimmten Stil lehrt. Während der Zeit bei Ligeti war ich fast drei Jahre außerstande, irgendetwas zu komponieren, und dabei hatte ich damals schon Angebote von Verlagen und Veranstaltern, die ich aber allesamt ablehnte. Es war hart, aber zu dem Zeitpunkt die richtige Entscheidung.

Mit welchen Erwartungen kommen Sie nach Köln zum Festival Acht Brücken, das Sie als Porträtkomponistin vorstellt?

Unsuk Chin: Ich freue mich riesig und fühle mich sehr geehrt! Erstens bin ich immer sehr gerne in Köln, und zweitens ist es ein wunderbares Festival mit einem sehr breiten und vielfältigen Angebot. Ich freue mich sehr auf Wieder- wie auch auf Neubegegnungen. Fran-çois-Xavier Roth und das Gürzenich-Orchester kenne ich seit Jahren ebenso wie das Ensemble intercontemporain und die MusikFabrik, aber mit den Orchestern aus Bamberg und Freiburg sowie mit Jakub Hruša arbeite ich zum ersten Mal.

Das Festival steht unter dem Motto „Ton. Satz. Laut“ und widmet sich dem komplexen Verhältnis von Musik und Sprache. Inwiefern kommt das Ihrer Musik entgegen?

Unsuk Chin: Der Literaturwissenschaftler George Steiner schrieb einmal, dass Ton und Wort zwei einander auf ewig feindlichen Schwester glichen. Auch wenn man nicht so weit gehen mag, stimmt es schon, dass sich die begriffliche Präzision der Sprache und die schwebende Vieldeutigkeit der Musik eben nicht leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Daher interessiert mich der Grenzbereich zwischen Sprache und Musik, und ich suche, wenn ich für Stimme komponiere, oft nach Texten, die selbstbezüglich sind und deren Strukturen bereits kompositorischen Verfahrensweisen ähneln. In Werken wie „Cantatrix Sopranica“ und „Akrostichon-Wortspiel“ verwende ich Texte wie Tonhöhen, Klangfarben oder Rhythmus: als völlig flexibles Material also, welches in mir musikalische Gedanken in Gang setzt. Mit „Puzzles and Games from Alice in Wonderland“ verhält es sich etwas anders: Hier habe ich Texte von Lewis Carroll vertont und versucht, zu seinen Sprachspielen musikalische Entsprechungen zu finden.

Ihr Stück Akrostichon-Wortspiel, das in Köln erklingen wird, behandelt Sprache in ganz besonderer Weise. Wie viel Spiel steckt in diesem Werk?

Unsuk Chin: Sicherlich sehr viel … wobei die heiteren Aspekte durchaus eine abgründige Färbung bekommen können - so wurde zum Beispiel der erste Satz von Art Brut inspiriert. Aber gilt diese Analogie zu Spielen und Ritualen nicht für Musik überhaupt? Innerhalb festgelegter Grenzen entsteht etwas, wo Zeit und Raum eine andere Bedeutung bekommen und was grundsätzlich anders ist als der Alltag, aus Widersinn entsteht potenzierter Sinn.

In „Le Silence des Sirènes“ vertonen Sie James Joyce. Eine besondere Herausforderung?

Unsuk Chin: Ja, aber eine ganz wunderbare! Joyces Text ist ja an sich schon eine fantastische Wortmusik und greift übrigens auf kontrapunktische Techniken zurück. Er löst unzählige Assoziationen aus, ist aber gleichzeitig so freischwebend, dass man als Komponist sehr viel Raum hat. Außer Joyce hab ich hier auch Homer vertont, auch das mit größter Freude: Altgriechisch zählt zu den Sprachen, die mir als Komponistin am meisten liegen.

Sie haben Konzerte für traditionelle Soloinstrumente wie Klavier oder Violoncello komponiert. Das Konzert für die chinesische Mundorgel Sheng fällt da ein bisschen aus dem Rahmen. Wie kam es zu der Idee?

Unsuk Chin: Also zunächst einmal halte ich es für ein unglaublich faszinierendes Instrument: Meiner Meinung nach gibt es nicht viele Instrumente, denen diese Bandbreite an Möglichkeiten innewohnt. Und man kann es wunderbar mit dem Symphonieorchester kombinieren, was mit vielen „exotischen“ Instrumenten nicht möglich ist. Außerdem hab ich zu dem Instrument ein ganz persönliches Verhältnis, da ich es seit meiner Kindheit kenne: Auch in Korea gibt es eine Art Sheng, auch wenn sie nie solistisch eingesetzt wird. Aber ich hätte das Stück nie komponiert, wenn ich Wu Wei nicht getroffen hätte, der nicht nur ein Virtuose sondergleichen ist und unzählige Uraufführungen bestritten hat, sondern der sogar das Instrument bautechnisch enorm erweitert hat.

Stehen Sie immer in engem Kontakt zu den Interpreten eines Solokonzertes? Wie war es im Fall des Sheng-Spielers Wu Wei?

Unsuk Chin: Beim Shengkonzert ja, weil das Instrument neu für mich war und überaus kompliziert zu verstehen. Ansonsten eigentlich kaum. Ich habe ja auch das Glück gehabt, wunderbare Uraufführungsinterpreten - so wie beispielsweise die Geigerin Viviane Hagner und den Cellisten Alban Gerhardt - zu haben, denen man voll vertrauen kann und die sehr kreativ sind und Herausforderungen nicht scheuen.

Welche Bedeutung hat Virtuosität für Sie?

Unsuk Chin: Eine sehr große. Der Interpret muss an seine Grenzen gehen, er muss schwitzen! Dadurch entsteht ganz besondere Energie und Schönheit.

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