Und dann macht er den Zidane

Auf den Kölner Jahnwiesen beweist Robbie Williams, dass er einer der besten Solo-Entertainer des Pop ist - Auch wenn er manchmal unter sein Niveau geht

Und dann macht er den Zidane
Foto: Horst Müller

Köln. Robbie Williams ist einer von uns. Er küsst die deutsche Flagge, die ihm einer der 80 000 Fans während seines Konzerts auf den Kölner Jahnwiesen überreicht hat.

Robbie isst hierzulande gern Wiener Schnitzel (sah man), hat mit den Toten Hosen Fußball gespielt, lobt das erfolgreiche deutsche WM-Team unter "Jürgen Klinnsmänn" und versucht sich an der deutschen Sprache: "Ich liebe euch" und, immer wieder, "Scheise". Mit weichem "s".

Erst schoss ein Feuerwerk in den Himmel, dann rockten Williams und Band mit den Songs "Radio" und "Rock DJ" los. Der Sänger und geborene Entertainer (Selbstlob) blickte mit großen Augen dämonisch, dann lieb, dann gespielt obszön in die Kameras, die seine Multimedia-Show auf riesige Video-Bildschirme übertrugen.

Die Mini-Gangster-Oper "Tripping" vom aktuellen Album "Intensive Care" forderte die Stimme des englischen Superstars. Sie besitzt nach wie vor Power, aber der Sänger zeigte oder verspürte wenig Neigung, Nuancen auszuarbeiten, Zwischentöne zu treffen. Stimmliche Perfektion und Feinarbeit am Song-Repertoire standen an diesem Abend, dem ersten von zwei Auftritten in Köln, nicht auf der Agenda.

Stattdessen legte Williams viel Wert auf Bühnen-Action. Mit seinem besten Kumpel Johnny Wilkes, mit dem er die Swing-Strecke des Abends zurücklegte, schoss er kleine Fußbälle ins Publikum ("Do you want Robbie's balls?"). Dann machte er den Zidane und streckte Wilkes zu Boden.

Williams flirtete mit einer 20-jährigen Holländerin, wackelte wie Charlie Chaplin über die Bühne, kniete theatralisch nieder. Manche Songs begann er lediglich und ließ dann seine Background-Sänger oder das kompetente Publikum seinen Part übernehmen.

Williams brauchte Zeit für gestische und verbale Vulgarismen. Da ging er, "fucking" hin, "fucking" her, unter sein - und unser - Niveau. Williams, nach dem verstorbenen Freddie Mercury der Popstar mit dem größten Bühnen-Charisma, hat 2003 im englischen Knebworth Park drei Auftritte absolviert und insgesamt mehr als 375 000 Menschen glücklich gemacht.

Das empfand er als Erfüllung seines Lebens. Selten ist die Einheit zwischen Künstler und Publikum, eine schon quasi-religiöse Symbiose so spürbar geworden wie in Knebworth Park. In Köln ließ sich diese Apotheose des Pop nicht in gleicher Intensität wiederholen. Der Auftritt war so elementar wie ein Fußballmatch: mit schweißtreibendem Machismo und dem Angebot, einige der schönsten Hymnen des Pop mitzusingen.

Aber der Sänger und seine erstklassige Bühnencrew kamen dem Ideal Knebworth in den besten Momenten des Konzerts schon nahe. Bei "Sin Sin Sin" klang Williams wie David Bowie an einem sehr guten Tag, "Make Me Pure" besaß gospelchorhaftes Pathos und mehr als nur behauptete Gebrochenheit.

"Feel" sang Williams für die Toten Hosen. Da verwandelte sich wie bei "Come Undone" und später "Angels" die Masse auf den Jahnwiesen in eine erregt wogende, surreal leuchtende Gemeinde. "Advertising Space", die assoziativ um Elvis Presley kreisende Ballade, gestaltete Williams mit einer Stimme, die so kaputt klang, wie der King gegen Ende seiner Karriere erschien.

Auch Williams, der Witz und Seele, Verderbtheit und Unschuld vereint, ist Held und Opfer des Popgeschäfts zugleich. Er steht unter ungeheurem Erwartungs- und Leistungsdruck. Schließlich hat er mehr als 30 Millionen Platten verkauft und für vier weitere Alben von EMI fast 130 Millionen Euro kassiert.

Der inzwischen 32-jährige, im englischen Stoke-on-Trent geborene Sänger hat die Höhen und die Tiefen einer Rock'n'Roll-Karriere, unter anderem in der Boygroup Take That, ausgekostet und ausgekotzt. Williams' Biograf Chris Heath hat die selbstzerstörerischen Impulse, die Versagensängste, Paranoia-Anfälle und Depressionen beschrieben.

Seine Wunden hat Williams stets öffentlich gemacht, er ist auch ein Schmerzensmann. Er liefert sich aus, dafür lieben ihn die Leute. Auf den Jahnwiesen lieferte der Extrem-Künstler solides Handwerk ab, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Auch Robbie Williams ist nur ein Mensch.

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