Werkstatt Tuschy bringt Pitigrillis Skandalroman "Kokain" auf die Bühne

BONN · Die Bar im Werkstatt-Foyer war geöffnet, und es durfte - in Maßen - sogar geraucht werden. Es geht schließlich gemütlich familiär zu bei den neuen kleinen Formaten, mit denen das Schauspiel Bonn das ?andere?, vor allem das studentische Publikum anlocken will.

In der ersten Folge der Reihe "Dir-Actors" präsentierte der Schauspieler Hajo Tuschy (Freder in "Metropolis" und Siegfried in den "Nibelungen") am Sonntagabend "Kokain". Der 1922 unter dem Pseudonym Pitigrilli erschienene Skandal-Roman des Italieners Dino Segre (1893-1975) hielt sich lange auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften.

Glamour, Koks und Kohle bestimmten den Lebensweg von Tito Anaudi, nachdem er beim Medizin-Examen sein Monokel nicht abnehmen wollte und mit diversen Doktortiteln im Gepäck in Paris zum kokainsüchtigen Journalisten aufstieg. Tuschy im weißen Anzug bläst die Asche aus Titos Urne und schnupft schön schwarzhumorig das weiße Pulver (natürlich nur Requisiten-Stoff), mit dem die Welt bunt wird.

Zur Seite steht ihm dabei der brillante Musiker Jacob Suske ("und Gott sprach: Es werde der Loop"), der neben dem Ton auch die witzige Bildmaschinerie bedient. Vor Titos altem Klassenfoto taucht da Maddalena auf, die später als Tänzerin Maud die Pariser Halbwelt heimsucht. Tito glänzt mit einer im Kokain-Rausch verfassten Reportage über die Hinrichtung eines Gouvernanten-Mörders aus Jamaika. Der Mann wurde zwar im letzten Moment begnadigt, was aber nichts zur Sache tut.

Damit indes niemand hungern musste, hatte Tuschy zuvor aber schon per Handy einen (echten) Pizzaboten bestellt, der leicht irritiert den Beifall entgegennahm, während ein erfahrener Zuschauer die Rechnung zahlte und danach seinen Hut für einen freiwilligen Beitrag zur Deckung der Verpflegungskosten kreisen ließ.

Zwei Eintrittskarten-Inhaberinnen und überzeugte Nichtraucherinnen, die offenbar nicht zur zahlreich anwesenden Theaterfamilie gehörten, verließen vorzeitig den Schauplatz und brachten sich damit um den köstlich bizarren Rest: Wenn es Nacht wird, kommt Seelendoktor Domian in die Wohnzimmer. Titos TV-Beichte ist ein schnitttechnisches Meisterstück. Könnte süchtig machen wie auch allerhand andere geistreiche Performance-Prisen.

In Folge 2 von "DirActors" in der Werkstatt widmet sich Julia Keiling am 8. Februar um 20 Uhr den Identitäts-Abgründen von "Alice im Wunderland".

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