Trübsal zählt nicht zum rheinischen Lebensprogramm

Vor 70 Jahren erschien der Bonner Kultroman "Der dreieckige Marktplatz" von Wilhelm Schmidtbonn

  Wilhelm Schmidtbonn:  Sein Roman "Der dreieckige Marktplatz" ist eine Liebeserklärung ans Rheinland.

Wilhelm Schmidtbonn: Sein Roman "Der dreieckige Marktplatz" ist eine Liebeserklärung ans Rheinland.

Foto: Archiv

Bonn. Der Roman, die Geschichte zweier durch die Liebe zerstrittener Freunde, beginnt überraschenderweise ein wenig mystisch: "Das Von- und Zueinander der beiden Freunde und all derer, die um sie lebten, war so rätselvoll und höhnisch verwirrt, dass ich als Knabe es mir damals nicht anders erklären konnte als durch die Gewalt eines verborgenen Naturgeistes, eines Marktriesen, der am Tag auf irgendeinem hohen Dache saß und die Nacht breit gestreckt auf dem Pflaster schlief, den Kopf auf den Stufen des Rathauses, während die Füße in die Seitengassen hineinreichten."

Kaum ein anderer Autor hat die Liebes- und Lebensgeschichte seiner Helden so intensiv, so zwingend, so empfindsam aus dem Geist der Landschaft heraus entwickelt wie Wilhelm Schmidtbonn in seinem Roman "Der dreieckige Marktplatz", der vor nunmehr genau 70 Jahren in Berlin erschienen ist. Und vielleicht ist das auch der tiefere Grund, warum dieses Buch zu einem Bonner Kultbuch geworden ist. Der Bouvier Verlag hat den Roman jetzt wieder in einer Taschenbuchausgabe zumindest den Bonnern zugänglich gemacht.

Das Buch hat unbezweifelbar autobiografische Züge. Geboren wurde der Autor am 6. Februar 1876 als Wilhelm Schmidt an eben jenem dreieckigen Marktplatz in einem Hause, das damals zu den größten Geschäften der Gegend gehörte. Der Vater war Kürschner und Pelzhändler, verkaufte aber auch Hüte und Schirme.

Und wenn man dann die Beschreibung des Marktes liest, dann scheint einem da die Kindheit des Autors regelrecht entgegenzublühen: "Die Stadt Bonn hat einen großen Marktplatz. Wer an einem Ende ruft, wird am andern nicht gehört. Am auffälligsten aber ist die dreieckige Form des Platzes. Im Jahr 1870 standen hier noch jene niedlichen Häuschen aus der Kurfürstenzeit, von denen heute nur wenige übrig sind - manche nur zwei Fenster breit. Die spitzen Giebel wiederholten jeder für sich die Dreiecksform. Unter diesen Giebeln hatte das Kind Ludwig van Beethoven gespielt. An ihnen vorbei war der Jüngling zur geliebten Eleonore von Breuning geeilt."

An diesem Marktplatz betreiben die beiden scheinbar unzertrennlichen Freunde Käs und Baß ein Polstergeschäft. Und auf der anderen Seite lebt und arbeitet unermüdlich "Wilhelminchen", ein 20-jähriges Waisenkind, das von einem Leinenhändler-Paar an Kindesstatt angenommen wurde. Das Drama ist abzusehen. Während Baß, kräftig, groß gewachsen und voller Unternehmensgeist, als Husar in den deutsch-französischen Krieg zieht, bleibt Käß, schmächtig, klein und von tausend Rücksichtnahmen gepeinigt, daheim zurück und verliebt sich natürlich in Wilhelminchen.

Aber er fühlt sich seinem Freund gegenüber schuldig in dem Gefühl, den Vorteil des Daheimgebliebenen auszunutzen und erklärt sich nicht. Als dieser verwundet und heldenhaft aus dem Kriege zurückkehrt, ist es fast selbstverständlich, dass Baß das hübsche und tüchtige Mädchen an sich bindet.

Das folgende Zerwürfnis der ehemaligen Freunde vollendet sich gar mit einer körperlichen Auseinandersetzung auf dem sonst so friedlichen Bonner Marktplatz. Aber so unterschiedlich die Charaktere der beiden auch sein mögen - ein Scheitern ist ihnen aus ihrem ganzen rheinischen Naturell heraus, trotz Zerwürfnissen und Intrigen, nicht gegeben.

Es ist die Epoche der Gründerjahre. Wandel und Aufstieg sind die beiden Hauptmerkmale des Zeitgeistes. So gegensätzlich die Biografien verlaufen, Trübsal oder gar Tragik zählen letztlich nicht zum rheinischen Lebensprogramm. Selbst als Wilhelminchen, die eigentliche zarte Heldin des Romans, einen Unfall erleidet und an Stöcken herumhumpeln muss, bleibt sie ihrem Lebensmotto treu: "Wenn es am schlimmsten kommt, heben wahre Rheinländerinnen den Kopf am höchsten".

So viel Glück ist dem Vater dieses erfrischenden Buches, das sich ja gewiss nicht zur Weltliteratur zählen kann, aber mit Vergnügen zu lesen ist, selbst nicht beschieden gewesen. Auch als Dramatiker hat er es nie nach ganz oben geschafft, obwohl sein bekanntestes Theaterstück "Graf von Gleichen" in Düsseldorf (mit Louise Dumont und Karl Stoeckel) und Berlin sogar bei Max Reinhardt (mit Tilla Durieux und Paul Wegener) gespielt worden ist.

Seine sechzehn Dramen, sieben Romane und zahlreichen Novellen, Legenden wie Gedichte, meist zwischen Naturalismus und Neoromantik hin und her pendelnd, haben zum Teil sogar die Anerkennung der Literaturgeschichte gefunden. Aber davon konnte Wilhelm Schmidtbonn dennoch nicht leben. Fast eine ironische Anmerkung zu seiner Schriftstellerlaufbahn: In Japan waren seine Auflagen höher als in Deutschland. Und so musste er, der wegen eines Asthmaleidens lange Zeit im Tessin gelebt hatte, am Ende doch wieder in seine Heimatstadt zurückkehren, wo er, immerhin Ehrendoktor der Bonner Universität, 1952 gestorben ist.

Wilhelm Schmidtbonn: Der dreieckige Marktplatz. Bouvier. 258 S., 12 Euro.

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