Ausstellung "HEIMsuchung" im Kunstmuseum Bonn Trautes Heim, Schreck allein

Bonn · Es beginnt als zaghafte Romanze, eine rührende Annäherung am Teetischchen: Auf der Höhe der Zuckerdose geraten zwei Hände zärtlich aneinander, derweil wabert der Rauch einer Reyno-Mentholzigarette (übrigens die Marke von Helmut Schmidt) über den runden Teetisch.

 Ansichten des Wohnens: Die Normalität beim Zimmerbrand im Video "Burn" von Reynold Reynolds und Patrick Jolley.

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Foto: Museum

"Die Zuckerdose" heißt dieser schöne, kleine Film von Susanne Kutter, zu dem sich eine "Rosenkavalier"-Aufnahme von Karl Böhm auf dem Dual-Plattenspieler dreht. Hier wird jetzt nicht verraten, wie die Szene und das 60er-Jahre-Idyll enden. Schlimm jedenfalls. Edgar Allan Poe hätte das Drehbuch schreiben können.

Kutters Video lässt den gerade noch amüsierten Besucher der Ausstellung "HEIMsuchung" im Kunstmuseum Bonn am Ende erschüttert zurück. Nicht anders als die übrigen 20 Künstler, die Sehnsucht nach dem trauten Heim, Enttäuschung und Horror in ihren Arbeiten vereinigen. Im Ausstellungstitel steckt sowohl das Heim-Suchen, der offensichtlich genetisch vorgeschriebene Nestbau, als auch die Heimsuchung durch Gefahr, Angst und Terror. Die hervorragende Schau spart keine Ebene der Heimsuchung aus, sieht man einmal von dem biblischen Thema, der Begegnung von Maria und Elisabeth, ab.

Die Bonner Schau widmet sich mit beeindruckender Akribie eher den Abgründen: dem Phänomen der emotionalen und faktischen Unbehaustheit wie dem Gefangensein in Ängsten und Neurosen. Da ist die paranoide Furcht vor "Kältestrahlen", die Heim, Leib und Seele bedrohen: Der Kölner Horst Ademeit ist dieser seinem Empfinden nach omnipräsenten Bedrohung mit penibel beschrifteten Polaroids nachgegangen. Mit psychotischen Störungen hat eine junge Frau zu kämpfen, die in Eija-Liisa Ahtilas spannender Dreikanal-Projektion hypersensibel auf Wind reagiert, vor den Kameras einen Zusammenbruch erleidet und dann das Inventar ihrer Wohnung demoliert.

Auf den ersten Blick belanglos erscheint der von Thomas Demand mit Karton gebaute und abfotografierte Hausflur: Belanglos, solange man nicht weiß, dass hinter diesen Türen Jeffrey Dahmer reihenweise junge Männer meuchelte. Das Böse lauert überall - das scheint Künstler besonders zu faszinieren. Der latente Horror einer amerikanischen Kleinstadt bricht sich zu wallender Hollywoodmusik in den kleinen Modellen von Jennifer und Kevin McCoy Bahn. "Suburban Horror", so der Titel, zeigt eine ordentliche Durchschnittsfrau, die zur Axtmörderin mutiert.

Gruselig auch John Bocks Multimedia-Installation über den rätselhaften Tod einer Frau und Stephan Hubers Häuschen in der Eiswüste. Es ist im Prinzip ganz harmlos: das Elternhaus des Künstlers. Aber Szenerie und Titel, "Shining", weisen in eine andere Richtung. Hin zu Kubricks Horror-Klassiker.

Sein Elternhaus in der Steiermark hatte auch Erwin Wurm im Sinn, als er es vor dem Kunstmuseum nachbaute und von den Seiten her so schrumpfte, dass es nur noch einen knappen Meter tief ist: Kleinbürgerliche Enge mischt sich in den gestauchten Sanitäranlagen, in Schlaf- und Esszimmer mit Kindheitserinnerungen.

Bestenfalls drei Personen können gleichzeitig die physische Erfahrung "Narrow House" machen. Der Ansturm zu diesem Ereignis ist programmiert. Eng dürfte es auch in dem verwinkelten Spiegelkabinett von Martine Feipel und Jean Bechameil werden: Eine komplexe Flucht aus Räumen und Fluren geleitet den Besucher zu einem Sessel, der sich laut knarzend wie durch Geisterhand bewegt. Physische Erfahrung wird im Kunstmuseum groß geschrieben.

Trautes Heim, das kann aber auch Johannes Gehrkes riesiger Kunst-Schrein sein. Ins Politisch-Moralische gewendet, interpretiert Stephan Mörschs bizarre Arbeit über einen Atom-Aufklärungsfilm von 1954 das Thema: Das ordentliche, adrette und saubere Heim überlebt den Atomschlag unbeschadet, die schmuddeligen und vernachlässigten Hütten gehen in Flammen auf.

Neben der Installation passend ein Schutzraum aus unverkäuflichen Ausstellungskatalogen. Und von weitem flippt in Alexandra Ranners Video "Silencio Súbito" der Schauspieler Gerson Klumpp im Schlafzimmer aus und brüllt: "Wenn jetzt net gleich a Ruh' is! A Ruh' is!" Eine sehenswerte, turbulente Ausstellung.

Rahmenprogramm mit Joachim Król und Rein Wolfs
Nach "Gehen Bleiben" und "Ferne Nähe" hat das Kunstmuseum mit "HEIMsuchung" wieder eine exzellente, anspielungsreiche, den Kunstrahmen sprengende Ausstellung im Programm. Passend dazu die Gäste: Bundeskunsthallen-Intendant Rein Wolfs präsentiert sich am 22. Mai "im Dialog", der Schauspieler Joachim Król übernimmt am 14. August den "Querpass". Beginn jeweils 19 Uhr.

Die Ausstellung wird am Mittwoch, 20 Uhr, im Kunstmuseum eröffnet, der ausgezeichnete Katalog (Wienand) kostet 30 Euro. Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Mi 11-21. Kuratorenführungen am 12. Mai, 16. Juni und 25. August (Finissage).

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