Theater Oberhausen brilliert mit "Woyzeck"-Musical in Godesberger Kammerspielen

Büchners Klassiker zum Auftakt des "Westwärts"-Theaterfestivals NRW in ungewohnter Version

Theater Oberhausen brilliert mit "Woyzeck"-Musical in Godesberger Kammerspielen
Foto: Tanja Dorendorf

Bad Godesberg. Die Begrüßungsreden blieben kurz, die Kunst kam schnell zu Wort. So sollte ein Festivalbeginn sein. Zum Auftakt des "Westwärts"-Theaterfestivals NRW 09 gastierte das Theater Oberhausen mit Büchners "Woyzeck" in einer Musicalfassung von Tom Waits und Kathleen Brennan in den Kammerspielen Bad Godesberg.

Es war sozusagen ein Gastspiel-Muss, da es der durch Einsparungen gebeutelten Ruhrgebietsbühne gelungen ist, das lange gesperrte Werk erstmals auf einer deutschen Bühne herauszubringen. Robert Wilson hatte 2000 die Uraufführung in Kopenhagen besorgt, seitdem war das Musical nur als CD präsent.

Regisseur Joan Anton Rechi hat sich für ein realistisches Ambiente entschieden und siedelt das Stück im Rotlichtmilieu an: Ein schäbiges Bordell (Bühne: Alfons Flores) mit Schaufenstern für die Huren und einem mit Glühbirnen beleuchteten Dachgarten für die sechsköpfige Band um Arrangeur Otto Beatus.

Woyzeck ist der Mann für die Notfälle, das Puff-Faktotum mit Handwerkskiste, und wird von Jürgen Sarkiss weniger als "geschundene Kreatur" denn als Mann mit Wahnvorstellungen und aggressiven Attacken gegen Marie und das Kind gespielt.

Insofern fallen der schäbige, dauerhustende Arzt des Henry Meyer und der farblose Hauptmann des Michael Witte als gemeinsame Menschenschinder aus. Frei aus dem Amerikanischen übersetzt: Die Quelle für Woyzecks Leid ist weniger gesellschaftlich, also durch Medizin und Militär, begründet als in seinem Wahn, sprich: individuellem "Versagen".

Da kann man die bodenständige Marie der Nora Buzalka schon verstehen. Als der Tambourmajor im Tarnanzug (Peter Waros) in einer Balkonszene auf dem Dachgarten präpotent posiert, lässt sie den Kinderwagen einfach stehen. Sex und Song sind dann eins.

Musikalisch gibt es natürlich das für Tom Waits typische schräge Vaudeville-Gerumpel, doch auch viele süßliche Musicalballaden, die dem Elend einen allzu süßlichen Schmelz überziehen und es eher artifiziell überhöhen als nahebringen. Im Bordell bricht sich dann die Hurenromantik Bahn, die Männer dürfen die High Heels überstreifen, der Tambourmajor fällt im Westside Story-Stil über Woyzeck her.

Dann folgt die ergreifendste Szene des ganzen Abends, wenn Susanne Burkhard als Margarethe in schwarzem BH und Slip auf einer jämmerlichen Glühbirnenbühne das todtraurige "It's over" anstimmt, während hinten Marie und der Tambourmajor knutschen und vorn der blutüberströmte Woyzeck mit dem durchgeknallten Karl der Anja Schweitzer hockt und Sätze zusammenstoppelt.

Selten finden an diesem Abend Musik und Wort besser zusammen, keine Szene bringt die trostlose Einsamkeit der Figuren besser auf den Punkt. Am Ende schneidet Woyzeck Marie die Kehle durch und hockt mit verblödetem Lächeln da. Fazit: So brillant das Oberhausener Ensemble spielt, singt und musiziert, die Musical-Version nimmt am Ende Büchners Klassiker mehr, als sie ihm gibt.

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