Tanzen gegen den Kommerz

Susanne Linke zeigt "Still hier! Still here? It's wonderful" in Bonn

Tanzen gegen den Kommerz
Foto: dpa

Bonn. Wen Susanne Linke nicht kennt, den schickt sie erst mal auf eine Zeitreise, ob er nun will oder nicht: zurück zu den Anfängen des Tanztheaters, als sie, die in der letzten Klasse der Ausdruckstanz-Ikone Mary Wigman Tanz studiert hatte, ins Folkwang Studio von Pina Bausch kam. "Die kannte damals auch keiner", schnoddert sie heute. "Wir werkelten so vor uns hin."

Das Werkeln wurde zur Sparten-Rebellion: Das Tanztheater gründete sich, Susanne Linke war neben Pina Bausch, Hans Kresnik, Reinhild Hoffmann und Gerhard Bohner seine jüngste Protagonistin. Heute hat sie ein bisschen Spaß daran, die weise Alte zu mimen, die die Jugend über diese große Vergangenheit aufklärt - bis irgendwann doch wieder die Spottlust aus ihr herausplatzt: "Das Publikum ist recht böse", raunt die 63-Jährige verschwörerisch. Die Leute kämen nur noch, um den Moment nicht zu verpassen, in dem sie endlich auf der Bühne umkippe.

So schützt sich eine, die nach Jahren weitgehender Ignoranz gerade wieder enormen Rummel um ihre Person erlebt: In diesem Jahr bekam sie den Deutschen Tanzpreis. Seither seien die Leute noch netter zu ihr als vorher, beteuert sie, und: Die Jobangebote häuften sich. So meldete sich auch Bonn zwei Wochen nach der Preisverleihung überraschend. Schon 2005 war sie von Hans Kresnik eingeladen worden, mit dessen Choreografischem Theater eine Produktion zu erarbeiten.

Sie sagte zu, wurde aber kurz darauf wieder ausgeladen: "Der Intendant wollte mich nicht haben, weil er meinte, ich würde das Gleiche machen wie Hans Kresnik." Erstaunlich, dass sie nach diesem Affront nun trotzdem den Auftrag einer Gastchoreografie angenommen hat - jedoch nicht ganz frei von Rachegelüsten.

"Still hier! Still here? It's wonderful" heißt ihr Tanztheaterstück, eine Protest-Produktion gegen die grassierende Management-Mentalität auf deutschen Bühnen. "Alles im Theater soll billiger und besser zur gleichen Zeit werden", empört sie sich. "Die Kunst ist auf dem besten Weg, sich an den Kommerz zu verkaufen." Man spürt ihrem Stück an, dass sie, die Moralistin, sich verpflichtet fühlte, ihren diesjährigen Erfolg der ganzen Sparte zu Gute kommen zu lassen.

Bonn ist für solch' hehre Ambitionen natürlich die beste Bühne, wird doch das Tanzensemble nach dieser Spielzeit komplett gestrichen. Das muss eine Susanne Linke in Rage versetzen, denn für ihr Leben bekam der Tanz schon früh existenzielle Bedeutung. Als Kind erkrankt sie an Meningitis, lernt erst mit sechs Jahren mühsam sprechen und verstehen.

Körperbewegungen sind ihr für viele Jahre die vertrauteren Ausdrucksmittel. "Aber der tanzende Mensch wird einfach nie so beachtet wie der intellektuelle Mensch, das macht mich traurig", sagt sie und weiß, dass ihr eigenes erfolgreiches Tänzerleben nach wie vor Ausnahme bleibt.

Mehr durch Zufall erkennt sie in den 70ern ihr Talent als Solo-Tänzerin.

Ihr gelingen so zeitlos schöne Produktionen wie das humorvolle "Im Bade wannen" oder ihr jüngst in Essen rekonstruiertes Stück "Schritte verfolgen". Zusammen mit Urs Dietrich baut sie in Bremen das Tanztheater auf. Seit 2000 tourt sie als freie Choreografin um die Welt. Nach der Bonner Premiere ging es nach Philadelphia, gegen Ende des Jahres erarbeitet sie im Essener Aalto Theater ein Solo.

Man feiert sie als Repräsentantin des deutschen Tanztheaters, auch sie selbst fühlt sich der Tanzhistorie verpflichtet. Mit bei den Anfängen gewesen zu sein, sei ihr größtes Glück gewesen, beteuert sie. Und vernachlässigt dabei, dass sie selbst sich dieses "Glück" hart erarbeitet hat - mit einem ganz individuellen Stil, der von der Tradition den zeitlosen Kern bloßlegt.

Alter Malersaal, Siegburger Straße 42, Bonn-Beuel, am 6., 10., 16., 19., 27. und 31. Oktober, jeweils 20 Uhr. Karten: unter anderem in den Zweigstellen des General-Anzeigers und online im GA-Ticketshop.

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