Stiftung Haus der Geschichte in Berlin engagiert

Tragödien haben sich hier abgespielt. Die beiden Abfertigungsschalter stehen heute noch wie bedrohliche Bunker in der riesigen ehemaligen Abfertigungshalle der Grenzübergangsstelle im Bahnhof Friedrichstraße in Berlin.

Stiftung Haus der Geschichte in Berlin engagiert
Foto: Thomas Kliemann

Bonn. Tragödien haben sich hier abgespielt. Die beiden Abfertigungsschalter stehen heute noch wie bedrohliche Bunker in der riesigen ehemaligen Abfertigungshalle der Grenzübergangsstelle im Bahnhof Friedrichstraße in Berlin.

An der Stirnseite hängt eine schlichte Uhr, die tatsächlich fünf vor zwölf zeigt. Kaum mehr erinnert an einen der traurigsten Orte der deutsch-deutschen Teilung: Vor dem schmucklosen, von Volkspolizisten bewachten Portal, das in die Halle führte, mussten DDR-Bürger bis Herbst 1989 von ihren West-Verwandten Abschied nehmen.

Am Schalter in der Halle wurden die Westler mehrfach kontrolliert, reihten sich unter den Leuchtschildern "Bürger Berlin (West)", "Bürger der BRD", "Bürger DDR" und "Bürger anderer Staaten" ein.

Für den, der alles erfolgreich absolviert hatte, öffnete sich per Summer eine Tür, die Tür zum Bahnhof Friedrichstraße und zum Westen. Die gläserne Abfertigungshalle aus den 60er Jahren erhielt im Volksmund den Namen "Tränenpalast": Dort weinten die Ostberliner und auch die Westler, weil sie nicht wussten, ob sie einander wiedersehen würden.

Es gebe kaum einen authentischeren Ort, um die Teilung zu dokumentieren, sagt Hans Walter Hütter, der Präsident der Bonner Stiftung Haus der Geschichte. Im Spätsommer 2011 wird die Stiftung hier eine Dauerausstellung über den DDR-Alltag und die Jahre der Teilung eröffnen, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Das Ausstellungskonzept bekommt in diesen Tagen den letzten Schliff, "die Pläne werden jetzt den Gremien vorgestellt, die Objektliste wird ab Dezember Gestalt annehmen", sagt Hütter. Vorgesehen ist ein Parcours auf rund 300 Quadratmetern, der multimedial die Geschichte des Ortes, politische und private Aspekte der Teilung und Wiedervereinigung aufbereitet, einen Bogen vom grauen Unrechtsstaat zur friedlichen Revolution schlägt.

Dass es gelang, den Tränenpalast in den Wirren der Wende zu retten, ist eine Verkettung glücklicher Umstände. Schon früh setzte die Stadt Berlin die gläserne Halle auf die Denkmalliste. Von 1991 bis 2006 wurde der Tränenpalast als Konzerthalle und Disko genutzt (die Spuren sind heute noch unübersehbar).

Der Palast und das kostbare Grundstück gingen an einen Hamburger Investor, der den Bürokomplex "Spreedreieck" auf das Areal stellte und nun den Tränenpalast saniert. Die Stiftung hat einen Mietvertrag über 20 Jahre unterschrieben.

Die Lage für ein Museum könnte besser nicht sein, schwärmt Hütter: 250 000 Menschen strömen täglich durch den Bahnhof Friedrichstraße, die Spree-Boote halten hier, das Berliner Ensemble liegt gegenüber, der Reichstag ist nicht weit.

Und für den Rheinländer gibt es einen Bonbon: Den Tränenpalast und Friedel Drautzburgs Anlaufstelle für Bonn-Norstalgiker, "Ständige Vertretung" (StäV), trennt gerade einmal eine Stahlbrücke. "Da kann ich anrufen, 'mach mir eine Currywurst fertig', und sie in einer Minute abholen", schwärmt Hütter.

Der Tränenpalast ist Teil der Gedenkstättenkonzeption des Bundes, an der das Haus der Geschichte beteiligt ist. "Hier nutzen wir die Erfahrungen, die wir in Bonn gemacht haben", sagt Hütter.

Der Tränenpalast wird ein weiteres Standbein der Bonner Stiftung, die in Berlin auch noch die aus DDR-Zeiten "geerbte" Sammlung industrielle Gestaltung (siehe Text unten) betreut und dafür in der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg ein Museum aufbaut.

1999 eröffnete die Stiftung ihr Zeitgeschichtliches Forum Leipzig. Allen Ängsten, das Bonner Haus der Geschichte könnte insbesondere gegenüber Berlin ins Hintertreffen geraten, begegnet Hütter vehement: "Bonn bleibt Sitz der Stiftung, heute und in der Zukunft, für Berlin nutzen wir die Infrastruktur aus Bonn und Leipzig."

Hütter wird die Drehscheibe Bonn, Berlin, Leipzig für Ausstellungen in Bewegung setzen. Die Wissenschaftler des Hauses und die gesamte Stiftung profitieren von diesem Austausch, meint Hütter. Und einiges aus dem Design-Schatz der DDR wird sich auch in der neuen Dauerausstellung im Bonner Haus der Geschichte wiederfinden. Tränenpalast und StäV gibt es allerdings nur in Berlin.

Design für den neuen Menschen: Die Sammlung industrielle GestaltungIm Jahr 2005 bekam das Haus der Geschichte ein "Geschenk", von dem es heute noch nicht vollständig weiß, wie groß es ist. Es handelt sich um rund 160 000 Objekte, die um die Warenwelt und Wohnkultur der DDR kreisen.

Seit 2008 kümmert sich die Historikerin der Stiftung Haus der Geschichte, Johanna Sänger, um den Schatz, der von der Kaffeetasse bis zum Wartburg, von der Schrankwand bis zum Plakat umfasst, was den DDR-Alltag bestimmte.

In den ehemaligen Ställen der Schultheiss-Brauerei am Prenzlauer Berg soll die Sammlung ab 2013 präsentiert werden. Das kleine Museum, das zurzeit die Berliner Zentrale der Stiftung ist, beherbergt schon heute einen Teil der DDR-Sammlung, das Gros aber befindet sich in einem Depot in Spandau.

Regalweise Radios, Spielzeug, "Bildwerfer" (Diaprojektoren), "Erika"-Schreibmaschinen und Mobiliar, außerdem fabrikneue DDR-Mopeds und ein Wartburg lagern dort. Vieles stammt aus dem Institut für industrielle Formgestaltung, eine Behörde, die bestimmte, was aus der Produktion marktgängig und devisenträchtig sein könnte, wie sich etwa der neue Mensch einrichten sollte, erzählt Sänger.

Im Sommer 1950 hatte man zu sammeln begonnen, um in der Tradition des Bauhauses der Moderne im Arbeiter- und Bauernstaat eine Stimme zu geben. Noch im gleichen Jahr stoppte die SED die unter Funktionalismus- und "Formalismus"-Verdacht stehende Initiative.

Das neue Amt agierte dann linientreu und baute eine geradezu lückenlose Sammlung über die Alterskultur auf. Ergänzt wird sie durch Firmennachlässe, Hinterlassenschaften von Designern und dem Inventar alter DDR-Regierungsgebäude, die einen kleinbürgerlichen Repräsentationsstil dokumentieren. Honecker regierte die DDR übrigens aus einem schneeweißen Büro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Virtuose mit viel Gefühl
Konzert mit Bruce Liu in der Philharmonie Köln Ein Virtuose mit viel Gefühl
Zum Thema
Genug Zeit einplanen
Kommentar zur Immobilienverrentung Genug Zeit einplanen
Aus dem Ressort