GA-Interview mit Generalmusikdirektor Stefan Blunier: "Man muss auch das Vulgäre zulassen"

BONN · Für die letzte Opernpremiere seiner Amtszeit als Bonner Generalmusikdirektor hat sich Stefan Blunier Hector Berlioz' Künstlerdrama "Benvenuto Cellini" ausgewählt. Bevor sich am Sonntag im Opernhaus der Vorhang öffnet, sprach Bernhard Hartmann mit dem Dirigenten.

 Einsatz für Hector Berlioz: Bonns Generalmusikdirektor Stefan Blunier.

Einsatz für Hector Berlioz: Bonns Generalmusikdirektor Stefan Blunier.

Foto: Veerle Vercauteren

Der italienische Renaissance-Künstler Benvenuto Cellini, der Titelheld von Hector Berlioz' erster Oper, war im wahren Leben ein ziemlich übler Raufbold, stand unter anderem mehrfach wegen Sodomie vor Gericht und hat, wie er selbst bekannte, drei Menschenleben ausgelöscht. Ist so eine Figur heute noch zeitgemäß?
Stefan Blunier: Ich glaube, die Auswahl des Stoffes ist mehr der Persönlichkeit Berlioz' geschuldet, der ja selber auch ein etwas anrüchiges Leben führte. Man muss ja nur mal seine Autobiografie lesen, die zwar maßlos übertrieben sein mag, aber ein Fünkchen Wahrheit wird sicher daran sein.

Also könnte Berlioz' Oper eigentlich auch "Berlioz" heißen?
Blunier: Vermutlich ja, was das Außergewöhnliche der Künstlerpersönlichkeit Cellinis angeht. Aber die Oper erzählt ja eine Geschichte, die hochgradig brisant ist. Solche Menschen gibt es ja immer noch. Es ist 'mal nicht die übliche Liebes-Kitsch-Geschichte, sondern hier gibt es darüber hinaus noch einen sehr verwegenen Zweig.

Was fasziniert Sie so sehr an der musikalischen Seite von Hector Berlioz? Cellini-Oper?
Blunier: Wagner sagte immer, Berlioz sei vulgär. Vieles davon ist auch in der Partitur zu finden. Es gibt lärmende, überbordende Passagen, exaltierte Ecken, nahezu hysterische Ausbrüche, fast schockierende Sachen. Ein Geiger im Orchester sagte, wenn uns das heute noch schockiert, wie müssen es die Menschen so kurz nach Ludwig van Beethoven erlebt haben.

Das muss für das damalige Publikum wie Ohrfeigen geklungen haben. Gleichzeitig aber gibt es wahnsinnig viel verinnerlichte, hoch elegische Momente. Das ist schon Oper im großen Stil, es gibt ein Riesenensemble, schöne, ausschweifende Soloarien, Divertissements dazwischen. Gewissermaßen ein großer musikalischer Gemischtwarenladen?
Blunier: Ja, durchaus. Aber man hört schon in fast jedem Takt Berlioz heraus. Dazu gehören auch die etwas ungelenk wirkenden Passagen, von denen ich behaupte, dass Berlioz dies sehr bewusst einsetzt. Die vier Fagotte zum Beispiel, die eine merkwürdige Basslastigkeit erzeugen.

Worin bestehen die Herausforderungen für Dirigent und Orchester?
Blunier: Diese Skurrilitäten auch wirklich umzusetzen und das scheinbar Vulgäre auch zuzulassen. Man muss an die Grenzen gehen und darf gleichzeitig das Leichte, das Französische nicht vergessen.

Wie schwer ist es, eine gute Sängerbesetzung für das musikalisch überbordende Werk zusammenzustellen?
Blunier: Das ist sehr schwer. Gerade der Tenor singt in einer unangenehmen Lage. Aber wir haben mit Mirko Roschkowski einen grandiosen Sänger. Auch mit den Sängerinnen haben wir großes Glück. Anna Princeva singt die Teresa außerordentlich. die Partien sind rundum fein besetzt.

Macht es Ihre Arbeit als Dirigent leichter, wenn Sie, wie es beim Bonner "Cellini" der Fall ist, eine fertige Inszenierung vorfinden? Laura Scozzis Arbeit feierte ihre erste Premiere 2008 in Nürnberg.
Blunier: Es ist im Grunde dasselbe. Die Inszenierung beruht sehr auf tänzerischen Elementen, man kann sagen, dass sie durchchoreografiert ist. Die Regisseurin kommt vom Tanz her. So etwas musikalisch koordinativ umzusetzen, ist schon die Hölle. Auch für den Chor ist das eine Herausforderung.

Stört es Sie, dass Ihr Kölner Kollege François-Xavier Roth die Vorliebe für Berlioz? "Cellini" teilt und damit zwei Wochen nach der Bonner Premiere in Köln sein Debüt an der Oper gibt?
Blunier: Diese Doppelung hatte sich einfach ergeben. Ich hatte zunächst überlegt, vielleicht doch etwas anderes zu machen, aber wir hatten schon Verträge und viele Dinge bereits geklärt. Es wird natürlich jetzt auch deshalb zu einer besonderen Situation stilisiert, weil es meine letzte Produktion für Bonn und Roths erste für Köln ist. Aber was den "Cellini" angeht, ist so eine Doppelung ohnehin nicht so schlimm. Denn es gibt ja drei Fassungen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Die Kölner spielen vorwiegend die erste Pariser Fassung und wir vorwiegend die spätere Weimarer.

Wenn Sie auf Ihre Jahre an der Bonner Oper zurückblicken: Welche Stücke und Produktionen haben Ihnen besonders viel bedeutet?
Blunier: Ich glaube Franz Schrekers "Irrelohe". Mir war vorher nicht bewusst, wie wertvoll die Partitur ist. Das war ein Aha-Erlebnis. Auch weil das Orchester die Musik so toll gespielt hat. Aber auch Strauss' "Elektra", nicht nur weil es mein Debüt in Bonn war, sondern weil ich es mir schon sehr lange gewünscht hatte. Den Hindemith-Dreiteiler fand ich ebenfalls sehr spannend, auch wenn die Nachfrage beim Publikum leider nicht sehr groß war. Aber man sollte als Chef nicht nur die großen Mainstream-Sachen wie "Carmen" machen machen. Bei "Irrelohe" hat sich das Risiko ausgezahlt: Das Stück ist ein richtiger Publikumsrenner geworden.

Mit welchen Gefühlen beobachten Sie die Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor für Bonn?
Blunier: Ich betrachte die Vorgänge mit großem Unverständnis. Die Stelle ist nach wie vor hoch attraktiv. Wie der erste Anlauf dermaßen schieflaufen konnte, ist mir ein Rätsel. Ich habe vor fast zwei Jahren gekündigt, und es ist ein Trauerspiel, dass man nun immer noch in der Anfangsphase steckt.

Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen. Premiere am Sonntag, 18 Uhr.

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