Stechender Blick und Leidgebärden

Die Ausstellung "Weltentaumel" zeigt Ludwig Meidner und seine expressionistische Werkphase im Bonner August Macke Haus

  Ludwig Meidner:  Selbstbildnis mit Palette, 1919.

Ludwig Meidner: Selbstbildnis mit Palette, 1919.

Foto: Fischer

Bonn. "Leg den Pinsel weg, Klexer." Derart burschikos redete der Maler Ludwig Meidner mit sich selbst, um auch seinem zweiten Talent als Schriftsteller Zeit einräumen zu können. Es liegt dann wohl doch im Ungleichgewicht seiner Doppelbegabung begründet, dass er letztlich eher als bildender Künstler denn als Poet in die Kunst-Geschichte einging - und dies vor allem mit den Bildern aus seiner expressionistischen Schaffensphase.

Aus gutem Grund also hat die Kuratorin Martina Padberg die Bildauswahl für die neue Ausstellung im August Macke Haus, "Ludwig Meidner - Weltentaumel", aus der Zeitspanne von etwa 1912 bis in die frühen 1920er Jahre getroffen.

Zweifellos erweisen sich die Gemälde, Zeichnungen und druckgrafischen Blätter als expressionistisch; doch Ludwig Meidner folgte dem damals in der deutschen Avantgarde vorherrschenden Trend auf ganz individuelle Weise.

Er wandte sich keiner der stilbildenden Künstlergruppen zu; gründete vielmehr mit zwei Malerfreunden die eigene Gruppe "Die Pathetiker", deren erste und einzige Ausstellung im November 1912 in der Berliner Galerie "Der Sturm" stattfand.

Ludwig Meidner blieb dann - inmitten der verschiedenen Strömungen des Expressionismus - ein Einzelgänger; aber er hatte sein ihn über Jahre fesselndes Thema gefunden, zu dem er sich auch theoretisch in der "Anleitung zum Malen von Großstadtbildern" äußerte. Praktisch ließ er damals den Einfluss des italienischen Futurismus in seinen Bildern durchscheinen.

Die Dynamik der Kaltnadelradierungen "Aufgebrochene Straße" oder "Großstadtszene / Straßenszene" von 1913 wäre ohne die Kenntnis der Italiener wie Umberto Boccioni kaum denkbar; und auch der ihm eigene Horror vacui, die Furcht vor der Leere auf der Bildfläche, wird vom Futurismus herrühren. Da aber, wo er das Menschenbild mit der Stadtlandschaft verbindet, vollzieht Meidner zuweilen eine nur ihm eigenen "Stilbruch". Er setzt die Gestalten - etwa im Tuscheblatt "Dresden, Blasewitz" - zwar überzeichnet, doch realitätsnah von den zackig im Hintergrund aufblitzenden Architekturen ab.

Auch das überaus pastose Ölgemälde "Die Abgebrannten (Heimatlose)" aus dem Jahre 1912 zeigt diesen Kontrast zwischen gerundeten Figuren und geradezu spitz in den Himmel stechenden Ruinen. Merkwürdig prophetisch hat Meidner die Schrecken des Ersten Weltkrieges erahnt: das Elend der obdachlos gewordenen Menschen vor den zerstörten Häusern.

Als dann der Krieg tatsächlich begann, teilte er keineswegs die bei vielen Malerkollegen ausgebrochene Kriegseuphorie, der dann meist die Ernüchterung folgte. Zwar wurde er 1916 einberufen, jedoch als Französisch-Dolmetscher in der Heimat eingesetzt. Bis dahin aber entstanden seine visionären "Apokalyptischen Landschaften", zudem immer wieder Bilder und ein Mappenwerk zum Thema "Krieg".

Die bereits 1914 gefertigte Rohrfederzeichnung "Die Kanone" ist von - im Sinne des Wortes - bedrohlicher, Rahmen sprengender Kraft. In der Anthologie "Septemberschreie" zeigt sich der konsequente Kriegsgegner Meidner dann wieder als Literat.

Seine menschliche Nähe zu den Berliner Schriftstellern jener Jahre wird in einer Bildnisgalerie offenkundig. In diesen fast altmeisterlichen Kaltnadelradierungen verlässt der Künstler die scharfen expressionistischen Züge zugunsten der charakterisierenden Porträt-Ähnlichkeit, so wie er auch vor der ungeschönten Selbstdarstellung nicht zurückschreckt. Oft trifft sein unheimlich stechender Blick aus markantem, beinahe kahlem Schädel unmittelbar auf den Betrachter.

In vielen Bildern brachte Ludwig Meidner sensible, nervige Hände als Ausdrucksträger ein; und schließlich ist es der Gestus der Hände, der die Prophetenbilder des Jahres 1919 so eindringlich gestaltet. In einem seiner Gedichte sprach der sich mehr und mehr zu seinem jüdischen Glauben bekennende Künstler von "Leidgebärden".

Zwar schließt die Ausstellung des Malers, der sich nach dem "Weltentaumel" der Großstadt häufig in die freie Natur zurückzog, mit zwei Landschaftsradierungen fast aus altniederländischem Geist. Sie zeigt sonst aber eine herbe, packende Kunst, vor der man die Augen nicht verschließen sollte.

August Macke Haus, bis 23. Mai; Di bis Fr 14.30-18, Sa und So 11-17 Uhr; Katalog 10 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort