Bruce Springsteen in Köln Sprung in den brodelnden Jungbrunnen

köln · Um zehn vor acht gibt Bruce Springsteen im ersten Song ein Versprechen: "No Surrender". Kein Rückzug, keine Kapitulation, im Gegenteil: "Now I'm ready to grow young again." Und bis kurz nach Elf hält er Wort, verwandelt Kölns ausverkauftes Rhein-Energie-Stadion am Pfingstsonntag in einen brodelnden Jungbrunnen.

 Er ist der Boss im Ring: Bruce Springsteen sorgt für ausgelassene Stimmung in Köln.

Er ist der Boss im Ring: Bruce Springsteen sorgt für ausgelassene Stimmung in Köln.

Foto: Thomas Brill

In dem man dem "Boss" seine 62 Jahre nie glauben will - und Hits wie "Born to run" oder "Dancing in the Dark" so klingen, als seien sie nur für diesen Abend mit seiner seidigen Wärme geschrieben worden.

Schon nach wenigen Minuten singen Springsteen und "Little Steven" Van Zandt zweistimmig "Two Hearts" ins gemeinsame Mikro, überhaupt ist die erste halbe Stunde eine musikalische Kettenreaktion der Sonderklasse. "Boss" und Band rammen den Starkstrom-Stecker in die Boxentürme, aus denen freilich gerade in den Rock-Attacken alles andere als kristallklarer Klang dringt.

Die 41 000 Fans ficht das nicht an, früh sind die Arme oben, bald hallt das erste "Bruuuuuce" durch die Open-Air-Arena. Denn auch das neue Album besteht die Live-Feuerprobe mit Bravour. Nach der Finanzkrise macht Springsteen Kassensturz und sieht die Moralkonten der Börsenhaie und Immobilienspekulanten tief in den Miesen. Der Titelsong "Wrecking Ball" lässt die Abrissbirne erst trügerisch langsam pendeln und dann gewaltig einschlagen. Doch der Zorn über die Blutsauger gebiert nicht nur stampfenden Wut-Rock ("Death to my Hometown", "Shackled and drawn"), sondern auch die melancholische Handlanger-Ballade "Jack of all Trades" mit müdem Durchhaltewillen und einer fast lyrischen Mordfantasie am Schluss.

Klingt die E Street Band um Max Weinberg, Nils Lofgren, Van Zandt und Roy Bittan hier wie eine Südstaaten-Begräbniskapelle, so macht sie später irischen Punkrockern ("American Land") Konkurrenz. Wer befürchtet hatte, der im Finale betrauerte Schlaganfall-Tod von Saxofonist Clarence Clemons hätte den Gesamtsound zerstört, atmet rasch auf: Neffe Jake Clemons hat offenbar den stählernen Klangstrahl geerbt.

Und der Chef begnügt sich nicht mit "Hello, Cologne", sondern betreibt intensivste Publikumspflege. Wagt sich über die Stege vor der Bühne immer wieder in die weiblich dominierte Nahkampfzone, lässt sich von der Menge tragen, anfassen oder per Pappschild in der Songauswahl leiten. Zwischendurch leiht er sich bei den "drei Pattis" eine rote Perücke, um dann in radebrechendem Deutsch zu erzählen, dass Ehefrau Patti Scialfa brav "zu Hause bei den Kindern" ist.

Springsteen braucht immer wieder solche Energie-Rückkopplungen mit Fans, die seinen Akku dann fast bis zum Platzen aufladen. Dann ist er Prediger, Einpeitscher, manchmal auch Clown. Und in einer der schönsten Szenen des Konzerts hebt er einen Knirps mit grünen Kopfhörern auf Mikro-Höhe und lässt ihn "Waitin' on a sunny Day" singen.

Überhaupt wird es ein Abend der magischen Momente: Der halsbrecherische Mix von "Honky Tonk Woman" und "Darlington County" führt in die pure Rock-Ekstase, "Working on the Highway" lässt die Stadionwände wackeln. Wenig später "The River", dieser sinnlich-traurige Song über das hastige Erwachsenwerden. Der Fluss, in den man mit der Geliebten stieg, ist heute trocken, die frühere Leidenschaft nur noch qualvolle Erinnerung. Auf den Videowänden in ultramarinblaues Licht getaucht, singt Springsteen diese Ballade der verlorenen Jugend zum Niederknien schön.

Zartbitter, knüppelhart ("Born in the U.S.A.") oder episch strömend ("Land of Hope and Dreams") klingen die Titel in diesem aufwühlenden Wechselbad der Stimmungen. Nach drei Stunden und fünf Minuten scheint der "Boss" sein Anfangsversprechen brechen zu müssen: Wie erschossen liegt er auf dem Rücken, muss sich von Steven Van Zandt mit dem nassen Schwamm "wiederbeleben" lassen. Aber dann geht noch ein allerletzter Song, auch ohne Hilfe des von manchen vergebens erwarteten Wolfgang Niedecken.

Wenn Bruce Springsteen und die E Street Band in Bestform sind, dann spielen sie, als ob es kein Morgen, kein nächstes Konzert mehr gäbe. Als müsste man alles, was an Intensität, Klasse, Emotion möglich ist, jetzt oder nie zeigen. Es war einer dieser Abende.

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