Spellbound Contemporary Ballet: Die Jahreszeiten der Seele

BONN · Draußen vor der Tür gibt sich das Wetter unentschlossen, kombiniert winterliche Dunkelheit mit vorfrühlingshaften Temperaturen und Herbststürmen - doch drinnen auf der Opernbühne ist Frühling: Vogelgezwitscher und plätscherndes Wasser ertönt zum Auftakt der "Vier Jahreszeiten", einer Choreographie von Mauro Astolfi, mit der sich das italienische Spellbound Contemporary Ballet in Bonn vorstellt.

Raffinierte Videotechnik bringt die Frühlingsgefühle noch mehr in Wallung: Auf einem weißen Kubus, der je nach Position Haus, Boot oder Baum sein kann, sprießen Knospen und Grashalme im Zeitraffer, erblühen Narzissen und blaue Blumen so graziös, dass sie den Tänzern Konkurrenz machen. Und schließlich lassen die ersten Akkorde des "Frühlings" von Vivaldi auch den letzten Frost dahinschmelzen.

Astolfis Compagnie tanzt die Jahreszeiten, ergänzt durch moderne Arrangements von Luca Salvadori, der Vivaldis barocken Streicher- und Cembaloklängen elektronisch erzeugte Geräusche, Glasharmonika und Bassflöte gegenüberstellt. Doch so sehr der kombinierte Soundtrack ein außermusikalisches Programm verfolgt und sehr effektvoll murmelnde Quellen und Gewitterstürme nachmalt, so wenig versucht die Choreographie, die zyklisch wiederkehrenden Naturphänomene einfach nur abzubilden. Astolfis Thema sind die Jahreszeiten der Seele: Aufbruch und Erwachen, Kraft und Liebe, Ermüdung, Erschöpfung, Abschied und Schmerz, neu aufkeimende Hoffnung.

In jedem dieser Gefühle verbinden sich Natur und Ich zu einer magischen Einheit: romantischer Idealismus à la Mauro Astolfi, vermittelt durch neun brillante Tänzer in einem einzigen, kaum unterbrochenen Bewegungsfluss voller Einfallsreichtum und Poesie. Der organische Tanzstil des Spellbound Contemporary Ballet zitiert Elemente des klassischen Balletts und entwickelt diese weiter, ganz ohne Pathos, revolutionären Ehrgeiz oder gewollt drastische Bildsprache. Nein, dieses Ensemble tanzt seine innigen Pas de deux, Soli und Gruppenszenen mit einer sanften Delikatesse, die gelegentlich ans Gefällige grenzte, wäre sie nicht so virtuos und ausdrucksvoll. Alle Ensemble-Mitglieder verfügen über eine exzellente Technik und machen den Wechsel von Werden und Vergehen zu einem sinnlichen Erlebnis der Extraklasse.

Die Zuschauer in Bonn verstehen das Spellbound-Idiom, hören gern zu, was die Tänzer über Lust und Angst, Lebensfreude und Todesahnung zu sagen haben. Für eine melodische Diktion sorgen neben Choreographie und Musik auch die wunderbaren Bildwelten des Multimedia-Designers Enzo Aronica: Er lässt nicht nur Knospen aufspringen, Wasser fließen und Schneeflocken wirbeln, sondern stellt am Ende einem realen Tänzer die lebensgroße Projektion einer Partnerin gegenüber, mit der dieser so rhythmisch präzise interagiert, als wäre sie wirklich an seiner Seite.Wenn der Winter so zärtlich ist, darf er ruhig kommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort