Spannung aus perforierten Lochstreifen

Michael Riessler, Pierre Charial und Terry Bozzio präsentieren exotische Klangwelten im Bonner Arithmeum

  Verschanzt  hinter einer Schlagzeugbatterie: Der Perkussionist Terry Bozzio.

Verschanzt hinter einer Schlagzeugbatterie: Der Perkussionist Terry Bozzio.

Foto: Horst Müller

Bonn. Das Arithmeum hat eine Affinität zu skurrilen Maschinen. Die tragen einerseits dem Forschungsgegenstand des hier beheimateten Instituts für Diskrete Mathematik im wahrsten Sinne des Wortes "Rechnung", andererseits werden innerhalb der hier vom Deutschlandfunk veranstalteten Reihe "concerto discreto" immer wieder auch Musik-Apparate präsentiert.

Ein solch archaisch anmutendes Instrument war jetzt in Form einer Orgue de Barbarie, was technisch ungefähr einer Drehorgel entspricht, zu erleben bei einem Konzert, das unter dem Titel "Big Circle" erstmals den Saxophonisten Michael Riessler, den Drehorgel-Spieler Pierre Charial und den Schlagwerker Terry Bozzio in Symbiose vorstellte.

Damit trafen drei ausgesprochene Individualisten aufeinander, deren gemeinsames Musizieren neue Klangdimensionen erschließt. Und die wirken - was man bei derart außergewöhnlichen Kombinationen nur selten erlebt - alles andere als gewollt.

Riessler als Kopf des grandiosen Trios, nutzt seine "abseitige Grammatik" (nebst der Technik zirkulären Atmens) längst für die Grenzbereiche zwischen Modern Jazz und Avantgarde. Charial, der die Drehorgel gleichsam nobilitiert hat, indem er ihr zu jener vollständigen Chromatik zurückverhalf, die Mozart schon für dieses Instrument zu schreiben angeregt hatte, stellt in einem sehr aufwändigen Verfahren die notwendigen Lochkarten selbst her.

Und Bozzio, der hinter seiner Schlagwerk-Batterie verschanzt sitzt und dieser, vermittels einer Art von Registrierung nahezu sinfonische Dimensionen zu entlocken vermag, ist ein nicht minder sensibler Poet: Hier wird in einer selten so überzeugend wirkenden Dichte miteinander musiziert, Interaktion bleibt so kein frommer Wunsch.

Bis über die letzte Treppenstufe hinaus gefüllt war denn auch das Arithmeum zu diesem Konzert, das seine Spannung aus eben jenem Gegensatz aus der naturbedingten Perfektion perforierter Lochstreifen und den verblüffend individuellen Reaktionen auf diese musikalische Korsage bezieht.

Alle drei Musiker nutzen ihre Instrumente dabei gleichermaßen als Melodie- wie als Rhythmus-Instrumente: Staccati auf dem Bassethorn oder Klappenklappern sorgen ebenso für percussiven Reiz wie die Tonsalven der Drehorgel. Was Bozzio dagegen über das Fundament seiner Bass Drums aufbaut, ist von höchst filigraner Raffinesse.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Daniel Johannes Mayr dirigiert das Beethoven
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCampNeue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Bonnerin deckt Stradivari-Mythen auf
Weltenbummlerin mit internationalem Renommee Bonnerin deckt Stradivari-Mythen auf
Bonner Oboist von Weltruf
Helmut Winschermann mit 100 Jahren gestorben Bonner Oboist von Weltruf
Aus dem Ressort