Star-Fotograf Juergen Teller So sehen Sieger aus

Unglaublich: Gerade ein Jahr ist es her, dass Miroslav Klose, André Schürrle, Shkodran Mustafi, Mario Götze, Roman Weidenfeller und Toni Kroos tief gebückt auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor ihr Tänzchen aufführten, "So gehen die Gauchos, die Gauchos gegen so" sangen und bei Gutmenschen und Spaßbremsen die Gefahr eines "Gaucho-Gate" aufsteigen ließen.

 WM-Finale in einem Londoner Restaurant. In einer langen Bilderstrecke zeigt Juergen Teller Emotionen.

WM-Finale in einem Londoner Restaurant. In einer langen Bilderstrecke zeigt Juergen Teller Emotionen.

Foto: Juergen Teller 2015/Steidl

Fußballweltmeister, Brasilien demontiert, Portugal deklassiert und die argentinischen Gauchos besiegt, das geht okay, aber bitte mit gebotenem Respekt vor den Verlierern, so die Forderungen.

Dass Fußballleidenschaft anders geht, spontaner, freier, hat der Fotograf Juergen Teller in seinem Band "Siegerflieger" dokumentiert. Er bettet den Spannungs- und Freudentaumel der WM, deren Endspiel er mit Freunden in einem portugiesischen Lokal in London verfolgte, in einen sehr privaten Bericht über den außergewöhnlichen Sommer 2014. Die Partie Schach im fränkischen Elternhaus ist ebenso dabei wie Partybilder mit Tellers Nürnberger Studenten, oder das Schweinebraten-Essen im Kreis der Familie.

Es gibt Fotos von Bratwürsten, Rätselhaftes und Banales, ausgelassene private Szenen und spontane Posings halbnackter Menschen von der Kamera. Und dann die lange Bilderstrecke vom Finale, die Erregung, die Verzweiflung in den Gesichtern. Teller hat dann auch noch auf der Fanmeile in Berlin schräge Motive eingefangen. Gegen Ende des Buches sieht man den nackten Fotografen, schmerbäuchig bei der Zeitungslektüre sitzend, auf dem linkem Oberarm die Sterne der Weltmeister tätowiert. Die sehr persönliche Bilanz 2014 eines Starfotografen als Bildband.

1991 hatte er die Nachwuchsband Nirvana als Fotograf auf einer Tour durch Deutschland begleitet, als noch kaum jemand weder Nirvana noch den Fotografen Juergen Teller kannte. Als die Fotos dann im US-Magazin "Details" gedruckt wurden, kam der Megahit von Nirvana heraus, "Smells Like Teen Spirit". Und plötzlich kannte jeder Nirvana - und Teller. Der Fotograf aus dem fränkischen Erlangen, dessen Wurzeln im benachbarten Geigenbauerstädtchen Bubenreuth liegen, hat seitdem eine berauschende Karriere hingelegt, mit Fotos, die oft schnappschussartig, unbeholfen komponiert wirken, die mit Unschärfen und ungünstigen Lichtbedingungen spielen, das Unerwartete einfangen und nie artifiziell sind.

Er hat die Topmodels, allen voran Kate Moss, vor der Kamera gehabt. Legendär sind seine Fotoprojekte mit dem durch die Rolle in "Nachtportier" und durch die Porträts von Helmut Newton unsterblichen Filmstar Charlotte Rampling. Sie fand seine Fotos toll, er lag ihr zu Füßen, bald nackt mit Kaviar beschmiert. Auch die 20 Jahre ältere Rampling ließ sich nackt mit ihm fotografieren. Wie er das schaffte, verriet er jüngst dem Magazin der Süddeutschen Zeitung: "Ich wollte halt unbedingt wissen, wie sie nackt aussieht, und dieses Naive und Unverstellte von mir hat ihr wohl gefallen."

Der vielbeschäftigte Fotograf Teller begann um die Jahrtausendwende damit, nicht nur Stars, sondern auch sich selbst zu fotografieren, oft nackt, aus unvorteilhaften Blickwinkeln, sich selbst schonungslos analysierend. Im Interview erzählt er, warum: "Es macht müde, ständig mit komplizierten Egos und bombastischen Eitelkeiten umgehen zu müssen und Wünsche nach Wasser mit Kokosnussgeschmack zu hören. Celebrities bedeuten unheimlichen Stress, und der geht mir auf den Magen." So hat er eben sich selbst fotografiert, auch um zu wissen "wie es sich anfühlt, von mir fotografiert zu werden".

Juergen Teller: Siegerflieger. Steidl Verlag, 336 S., 328 Abb., 29,80 Euro

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