Saisoneröffnung beim Schauspiel So ist Lessings "Minna von Barnhelm" in Bonn

Bonn · Die junge Regisseurin Charlotte Sprenger inszeniert die mehr als 250 Jahre alte Komödie im Bonner Schauspielhaus. Ihr gelingt damit aber kein wirklich fulminanter Saisonauftakt.

 Muntere Minna: Annika Schilling in einer Szene aus Lessings Drama.

Muntere Minna: Annika Schilling in einer Szene aus Lessings Drama.

Foto: Thilo Beu

Ein bisschen infantil erscheint der Starrsinn des Majors von Tellheim tatsächlich. Seine soldatische und bürgerliche Ehre hat man ihm genommen, jetzt ist der einstige Held ein völlig gebrochener Mann. Verletzt an Leib und Seele, ohne Geld und voller Selbstmitleid. Gestrandet in einem Gasthof bei Berlin und gerade aus seinem schönen Quartier in eine Abstellkammer verbannt, weil das Zimmer anderweitig gebraucht wird. Vergeblich versucht sein treuer Diener Just ihn anzukleiden. Vergeblich versucht sein ehemaliger Wachmann Werner, ihm mit Geld auszuhelfen. Der von der Welt bitter enttäuschte Menschenfeind Tellheim reißt sich lieber seinen kostbaren Ring quasi aus dem Herzen, um seine Schulden zu bezahlen und weiter sein Schicksal zu beklagen.

Lessings 1767 uraufgeführtes Lustspiel „Minna von Barnhelm“ ist eine der berühmtesten Komödien der deutschen Literatur. Und das erste Gegenwartsstück, denn es spielt kurz nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges. Goethe nannte es „die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt“. Wie transportiert man diesen mehr als 250 Jahre alten Gehalt ins 21. Jahrhundert?

Das Schauspiel Bonn hat zu seiner Saisoneröffnung die junge, vielversprechende Regisseurin Charlotte Sprenger (Jahrgang 1990) mit der Aufgabe betraut. Es ist ihre erste große Bühnenarbeit, bei der Personenführung gibt’s noch ein paar Unsicherheiten, aber sie vertraut dem Drama. Es ist also Lessings Sprache (manche Pointen funktionieren erstaunlich zeitlos), die hier ganz textgetreu auf die Bühne kommt und einen witzigen Kontrast bildet zu der kunterbunten Kinderspielplatzwelt der munteren Minna. Was um Himmels Willen soll das blöde Getue um die Ehre, wenn man verliebt ist und zudem noch schwerreich?

Geldscheine fliegen übrigens häufig herum auf der Bühne von Aleksandra Pavlovic, die auch die opulenten Kostüme entworfen hat. Tellheims (Alois Reinhardt) männliche Welt ist versperrt mit einer hohen eisernen Wand. Dahinter öffnet sich jedoch bald Minnas heitere Spielzeugmanege: eine Zirkusarena ganz in Rosa mit riesigen Ballonbällen und ein bisschen phallischen Luftgebilden. Minna hat flugs ihren geliebten Tellheim wiedergefunden und feiert das wie eine Kindergeburtstagsparty im künstlichen Traumland. Die Uniformen der ehemaligen Soldaten haben kurze Hosen und weiße Krägen wie aus der Puppenkiste. Die riesigen weißen Reifrock-Brautkleider schwanken so bewegungsstörend, dass die Frauen dann doch lieber im knappen Sportdress herumhüpfen.

Glatzköpfig in Glitzerkleid

Annika Schilling verkörpert brillant energisch die eigenwillige, selbstbewusste Popstar-Minna, die eigentlich bloß spielen möchte. Ihr zur Seite steht Annina Euling als schnippische, mannstolle Kammerjungfer Franziska. Sören Wunderlich als braver Paul Werner lässt sich angesichts ihrer Avancen nicht lange bitten. Christian Czeremnych als fürsorglicher Just berührt mit seiner selbstlosen Anhänglichkeit. Klaus Zmorek hat mit seinem Intermezzo als intriganter französischer Höfling Riccaut de la Marlinière im Torero-Gewand einen gnadenlos komischen Auftritt.

Das Ereignis der Aufführung ist freilich Bernd Braun in der Rolle des Wirts. Glatzköpfig im langen Glitzerkleid gibt er den schmierigen Spitzel, der im Krieg gelernt hat, sich durchzuschlängeln zwischen wechselnden Allianzen. Das ist keine Travestie, so wie die ganze Inszenierung auch nicht festklebt an naheliegenden Genderklischees.

Eine riesige schwarze Winkekatze darf dazu mit den Augen zwinkern und am Ende viel weißen Soap-Schaum aus ihrem Maul spucken. Kurz zuvor schien das Spiel schon vorzeitig beendet mit einem Patt zwischen dem elendssüchtigen Tellheim und der schlauen Minna.

Aber dann hängt das ganze Team zu Vogelgezwitscher noch mal rum, unter oder auf einer golden schimmernden Bettdecke, und spielt lustvolle Hippie-Seligkeit beim Frühstück im Grünen. Dennoch muss die Sache mit den Ringen noch in Ordnung gebracht werden, damit Tellheim endlich sein Glück kapiert.

Der barfüßige Lebensverweigerer in giftgrünen Shorts wird einiges daran zu knacken haben, dass die Strippenzieherin Minna ihn in die Zivilisation zurückgeführt hat. Franziskas Zukunft ist dagegen klar: Generalin oder Witwe, denn der nächste Krieg kommt bestimmt.

Die drei mitunter etwas zähen Stunden (inklusive Pause und Flucht einiger Premierenbesucher) sind leider kein fulminanter Saisonauftakt. Aber ein intelligenter Versuch über eine alte komödiantische Spielanordnung aus junger Sicht. Animierter Applaus.

Nächste Vorstellungen am 15. 9. um 18 Uhr, am 19., 21., 25., 28.9. um 19.30 Uhr im Schauspielhaus . Karten in allen Bonnticket-Vorverkaufsstellen.

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