Premiere in den Kammerspielen Sie wollen nur spielen

Bonn · Jens Groß inszeniert Yasmina Rezas Klassiker „Kunst“ mit viel Tempo in den Kammerspielen. Das dreiköpfige Männerensemble liefert eine glänzende Show ab.

 Szene aus „Kunst“ mit (v.l.) Benjamin Berger (Serge); Sören Wunderlich (Yvan) und Hajo Tuschy (Marc).

Szene aus „Kunst“ mit (v.l.) Benjamin Berger (Serge); Sören Wunderlich (Yvan) und Hajo Tuschy (Marc).

Foto: Beu

Mit Kunst kann man Geld verdienen. Mit einem Stück über „Kunst“ wurde die Französin Yasmina Reza zur meistgespielten und bestverdienenden Dramatikerin der Gegenwart. Dass ihre 1994 in Paris uraufgeführte Komödie – 1997 war „Kunst“, inszeniert von Christian Stückl, bereits ein Renner in den Kammerspielen – nichts von ihrer Frische verloren hat, beweist nun die neue Vorstellung. Tiefschürfende Regieanstrengungen und Verfremdungen verträgt dieses gern dem gehobenen Boulevard zugeordnete Kunststück kaum. Die Inszenierung von Jens Groß, leitender Dramaturg am Bonner Schauspiel, setzt deshalb auch auf Leichtigkeit, Tempo, treffsichere Pointen und vor allem ein großartiges Schauspielertrio.

Benjamin Berger, Hajo Tuschy und Sören Wunderlich sind Serge, Marc und Yvan, deren langjährige Männerfreundschaft zu zerbrechen droht. Denn Serge hat sich ein Bild gekauft. Ein Ölgemälde, ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig, vollkommen weiß. Ein echter Antrios aus den 70er Jahren. Zum stolzen Preis von 200 000 Euro. Strahlend schleppt er die Riesenkiste in den loftähnlichen Raum mit hohen Backsteinmauern, den Emilia Schmucker (Bühne und Kostüme) auf die Kammerspielbühne gebaut hat. Links gibt es leicht erhöht eine Art Küchenblock mit Barhockern und einem Kühlschrank. Typisch männlich gefüllt mit einem ordentlichen Biervorrat und wenig sonst.

Benjamin Berger spielt hinreißend den friedlich geschiedenen, bärtigen Dermatologen Serge, der sich mit seinem monochromen Gemälde quasi eine Eintrittskarte ins kultivierte Bildungsbürgertum verschafft hat. Geläufig zitiert er die gängigen kunsttheoretischen Begriffe und Senecas bei Managern beliebte Schrift „Vom glücklichen Leben“. Dauernd steigt er – nicht ohne vorher brav die Stiefel auszuziehen – auf das schwarze Ledersofa, um seinen Schatz ins rechte Licht (Lichtgestaltung inklusive störender Stehlampe: Kasper Hagen) zu rücken oder vor unwürdigen Augen wieder zu verstecken. Hajo Tuschy als glatzköpfiger Freund Marc, Ingenieur der Aeronautik, ist der spitzzüngige Misanthrop, der Serges Neu-Erwerb schnöde als „weiße Scheiße“ abtut.

Ein Objektivitätsfanatiker, der sich ständig die von Lebensgefährtin Paula empfohlenen Pharmaprodukte einwirft, um nicht auszurasten angesichts der Demontage seiner intellektuellen Deutungshoheit, die Serge ihm mit seinem Kunstkauf zugemutet hat.

Zwischen den beiden Kampfhähnen zu vermitteln sucht Sören Wunderlich als blondgelockter, hypochondrischer Startup-Verlierer Yvan kurz vor der Einheirat ins florierende Papiergeschäft, der tapfer Serges subjektive Vibrationen beim Anblick des Bildes mitempfindet und ansonsten immer irgendwas Verlorenes sucht. Seine virtuose Leidensarie über Dauertelefonate mit Braut, Mutter und diversen Stiefmüttern ist ein Höhepunkt im emotionalen Chaos, das nach dem witzigen verbalen Schlagabtausch mit wechselnden Bündnissen zu echten Handgreiflichkeiten führt.

Eine köstliche Überraschung: Auf dem Siedepunkt der Selbstbewusstseins-Krise tragen alle drei die gleichen grünen Design-Anzüge mit schwarzen Hemden. Denn sie wollen sich individuell unterscheiden und sind einander genau deshalb so ähnlich. Yvans Hirsch im Schnee, Marcs abstrakt-expressive Ansicht von Carcassonne und Serges weiße Leere sind bloß Facetten einer subjektiven Kunstwahrheit.

Auf dem feinen Parkett ihrer jeweiligen Behausungen läuft die Boygroup auf Socken rum, bevor sie ihren Streit einfach unter Lachen begräbt und ein Pariser Restaurant mit feiner Lyoneser Küche aufsucht. Zuvor hat Serge sein teures Bild mit einem Freundschaftsbeweis signiert. Es wird dennoch wieder in seiner ganzen unschuldigen Weißheit strahlen, angereichert mit der Weisheit, dass Kunst ein Quantum Ungewissheit braucht. Obwohl es gar nicht um die üblichen Vorurteile gegenüber der modernen Malerei geht, sondern in gut 90 unterhaltsamen Minuten um eine komplizierte männliche Eifersuchts-Beziehungskiste mit wunderbar abgründig-lächerlichen Situationen. Langer, herzlicher Premierenbeifall.

Nächste Vorstellungen am 17./21./25./31. Dezember jeweils um 19.30 Uhr. Tickets u.a. bei allen Kartenshops des GA.

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