Sie versprechen sich

Die Wissenschaft der Fehlerlinguistik und ein schmunzelnder Pfarrer nehmen sich der Fehlleistungen nicht nur von Politikern an

Bonn. Die Doppeldeutigkeit des Wortes Versprechen passt zum politischen Betrieb. In Wirklichkeit versprechen sich Politiker sehr oft, wenn sie etwas versprechen. Deshalb ist es kein Wunder, dass sie sich bei ihren Reden oft versprechen, vermutlich nicht öfter als andere Menschen. Aber bei ihnen fällt es stärker auf, weil ihre Versprecher und gebrochenen Versprechen sofort im Rampenlicht der Medien verstärkt und wiederholt werden. So auch unlängst bei Gerhard Schröders Versprecher, der allerdings mit seinem früheren Versprechen zu tun hat, dass man ihn an der Überwindung der Arbeitslosigkeit künftig messen solle. Schröder nannte mehrere Zahlen. Der Bundeskanzler sagte, er wolle sie bis zum Ende der Wahlperiode auf "unter 3 Millionen" gebracht haben. Später waren es "unter 3,5 Millionen". Das erinnert an das Versprechen seiner Vorgängers Helmut Kohl, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren. Im Grunde genommen können dies Politiker gar nicht versprechen und dennoch an diesem Ziel festhalten. Sie würden sich manchen Versprecher ersparen, wenn sie bescheidener redeten.

Versprecher sind nicht neu auf der Bonner und Berliner Bühne. Oft sind sie Freudsche Fehlleistungen und drücken aus, was der Sprecher im Innersten wirklich meint. Wenn zum Beispiel der zuverlässige Koalitionspartner Wolfang Mischnick (FDP) früher den Koalitionskurs beinahe regelmäßig wie "Kollisionskurs" aussprach, also als einen Kurs des Zusammenpralls. Oder in einer Diskussion der Friedrich-Naumann-Stiftung der Wirtschaftsminister hartnäckig als "Wortschatzminister" bezeichnet wurde, was er im politischen Alltag tatsächlich oft nur ist. In einem Papier der SPD über den Wertewandel war einmal vom "Wertehandel" die Rede. Zufall? Als der wandernde Bundespräsident Karl Carstens vor einem Bonner Gymnasium sprechen sollte, stand in seinem Manuskript "Luft" statt "Lust". Carstens sprach dann dennoch richtig von Lust. Es gibt also auch die Korrektur von Fehlleistungen beim Sprechen.

Namensverwechslungen oder ein Spiel mit den Namen werden im politischen Streit oft bewusst gebraucht, sind also keine Versprecher, sondern Worte als Waffen. Ein Meister darin war Herbert Wehner. Der Abgeordnete Wohlrabe war für ihn eine "Übelkrähe". Aus dem Fernsehjournalisten Lueg machte er Herrn "Lüg", der allerdings geistesgegenwärtig mit Herr "Wöhner" antwortete. Der Bundestagspräsident Richard Stücklen verwechselte gerne die beiden ehemaligen Juso-Vorsitzenden Karsten Voigt und Wolfgang Roth. Einmal erteilte er "Roth" das Wort, obwohl Voigt schon am Rednerpult stand. Der zahlte es geistesgegenwärtig zurück: "Mein Name ist nicht Roth, ich heiße Wieczorek".

Da aber Versprecher nicht nur Sache von Politikern sind, werden sie längst wissenschaftlich erforscht und klassifiziert. Schon 1895 durch Meringer und Mayer. Es gibt unterdessen eine ganze Fehlerlinguistik, die sich etwa so liest: "Ein latenter Versprecher ist ein Prozess, in dem ein kompetenter Sprachbenutzer einen intendierten Sachverhalt bis zur phonologischen Verarbeitungsstufe in einer der intendierten nicht entsprechenden Form produziert, jedoch bevor die Artikulation erfolgt, korrigiert und den intendierten Sachverhalt richtig ausspricht." Diese Sprache empfindet sich selbst sicher nicht als Fehlleistung.

Einfacher zu lesen und dennoch durchaus wissenschaftlich sind Helen Leuningers "Reden ist Schweigen, Silber ist Gold" (München, dtv, 1996) und der Bestseller eines Pfarrers, der vor allem Politikern und Journalisten aufs Maul schaut: Hartmut Walsdorff. Er hat im Claudius-Verlag schon zwei Bestseller herausgebracht, deren Titel für sich sprechen: "Vor Gott sind alle Menschen bleich" und "Nachts weiter sonnig". Er hat auch den klassischen Politikersatz überliefert: "Wir versprechen nichts, was wir halten". Siehe oben.

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