Philosoph spricht über Fortpflanzung Sexpapst Sloterdijk

Bonn · Der Philosoph Peter Sloterdijk berichtet im Interview des Philosophie-Magazins über die Fortpflanzung, männliche Rollenbilder, den weiblichen Orgasmus - und sein neues Buch "Das Schelling-Projekt", das Mitte September erscheint

 Der Philosoph Peter Sloterdijk bei der phil.Cologne.

Der Philosoph Peter Sloterdijk bei der phil.Cologne.

Foto: picture alliance / dpa

Es ist immer ein Genuss, wenn uns Deutschlands fleißigster Philosoph die Welt erklärt, wie etwa unlängst in einem lesenswerten Essay im „Handelsblatt“ über Europa nach dem Brexit-Referendum. Ein Sprachfeuerwerk. Nun hat er es aber nicht mehr nur mit den Untiefen der Politik zu tun, sondern auch mit den Höhenflügen der Sexualität. Genau: Mit dem Orgasmus der Frau. „Im Orgasmus schlägt die Natur die Augen auf“, dichtet der Denker und bezieht sich auf den antiken Propheten Teresias, der einst sagte: „Die erotische Freude der Frau ist neun Mal größer als die des Mannes.“

Kein Grund für Sloterdijk, ein Mann mit freizügigen Ashram-Erfahrungen, den Kopf oder sonst etwas in den Sand zu stecken. Nach Indien war er auf den Spuren der Beatles zwecks Erweckung gereist. Es gab dort „durchaus ein erotisches Meditationspensum zu bewältigen“, erinnert er sich, doch Promiskuität sei seine Sache nicht.

Sloterdijk parlierte über seine Tour erotique bei der letzten phil.Cologne. Das Protokoll jenes anregenden Gesprächs findet sich in der Augustnummer des „Philosophie Magazins“. Der 69-Jährige steckt gerade tief im Thema: Suhrkamp kündigt den neuen Sloterdijk-Roman „Das Schelling-Projekt“ für Mitte September an, ein Briefroman von vier fiktiven Wissenschaftlerinnen, die bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Projekt zur Entwicklung des weiblichen Höhepunkts beantragen. Im Interview lässt Sloterdijk Grundfragen zum Thema aufblitzen – was ihm vom „Hamburger Abendblatt“ bereits die Zeile „Fifty Shades of Sloterdijk“ einbrachte.

Der Denker fragt sich, warum die Natur ausgerechnet dem Menschen den ohnehin im Plan vorgesehenen Fortpflanzungsakt durch eine „libidinöse Belohnung“ derart versüßt. „Wir sehen ja bei Insekten und bei zahlreichen anderen Lebewesen, dass es auch ohne jegliche Erregung geht“, meint er. Das Fischweibchen etwa lege den Laich ab, das Männchen steuere eine Spermawolke bei. „Ich meine“, meint Sloterdijk, „es gibt etwas tendenziell Vorbeischwimmendes in der männlichen erotischen Kondition“.

Der Mann erscheine nicht nur als Protagonist einer „tief gehenden Pornografisierung der visuellen Kommunikation zwischen den Geschlechtern“. Er sei daher auf der „erotischen Einbahnstraße“ unterwegs. Er sehe sich im Kontrast dazu auch mit einer wachsenden neopuritanischen Grundstimmung in der Gesellschaft konfrontiert und ende – verkürzt gesagt – als in erotischer Hinsicht Farbenblinder. „Obwohl der Mann schon Farben sieht, ist seine Farbsichtigkeit eine andere als die weibliche“, führt der Denker aus.

Eine schnöde Welt, die er da zeichnet. In der der Mensch sich, da eine Alternative zur sexuellen Fortpflanzung existiert, zum Einzeller zurückentwickelt; eine Welt, in der es die große Liebe nicht mehr gibt, weil der Charakter der Beliebigkeit herrsche. Früher war alles besser, hört man aus Sloterdijks Worten heraus. Da gab es noch den Beat als Vehikel für eine „dionysische Freisetzung“. Jetzt, in Dancefloor-Zeiten, sei „stampfende Verzweiflung zur Sprache des musikalischen Zeitgeistes geworden“. Danke, Meister Sloterdijk, für die aufbauenden Worte.

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