Schluchzen und Schwelgen bei Bonner Neujahrskonzerten

Stefan Blunier in der Oper, Heribert Beissel in der Beethovenhalle

Schluchzen und Schwelgen bei Bonner Neujahrskonzerten
Foto: Horst Müller

Bonn. Ein bisschen waren sie ihrer Zeit voraus. Während draußen zögerliche Schneeflocken tanzten, begannen drinnen die Musiker des Beethoven Orchesters das Neujahrskonzert der Oper mit einer "Frühjahrsparade" von Robert Stolz.

Die klang ziemlich schmissig und eignete sich bestens zum Aufwärmen. Ohnehin konnte dem Operettenfreund bei diesem Neujahrsprogramm richtig heiß ums Herz werden:

Generalmusikdirektor Stefan Blunier präsentierte lauter Gefälligkeiten fürs Ohr, das Schönste von drei Großmeistern der Wiener Operette, von Robert Stolz, Franz Lehár und natürlich von Johann Strauss (Sohn).

Da stand die Linde vor dem Vaterhaus, der kleine Gardeoffizier nahm Abschied, man ging ins Maxim, mischte sich unter die Kinder der Nacht, feierte mit der Lustigen Witwe und dem Zigeunerbaron.

Robert Stolz ist sozusagen der Fortgeschrittenste unter den Dreien. Er kannte sich in der klassischen Operettentradition ebenso aus wie in der Filmmusik und der Revue; was er komponiert hat, ist immer ein wenig auf Breitwand gezogen, süffig und durchaus raffiniert instrumentiert.

Ein schönes Beispiel dafür war der orientalische Foxtrott "Salome", bei dem sich Blunier am Pult wie ein ausgewiesener Schlangenbeschwörer gab. Aus der Raritäten-Kiste hatte Bonns Musikchef einen "UNO-Marsch" von Stolz gekramt, der dem Konzert im WCCB-geplagten Bonn eine sehr spezielle Note gab.

Moderator Christian Firmbach, launig und hintersinnig, nutzte die musikalische Vorlage selbstredend für einen diskreten Verweis auf die Baustelle des Schreckens.

Ansonsten suggerierte die Musik: Alles wird gut im neuen Jahr. Bestens in Form waren allemal die Mitglieder des Opern-Ensembles: Mirko Roschkowski mit einem verführerisch strahlenden Tenor, Giorgos Kanaris mit seinem eleganten Bariton und Sopranistin Julia Kamenik, die als Wienerin ein Heimspiel hatte.

Sie faszinierte nicht nur mit wechselnder Abendrobe - gleich vier Kreationen waren zu besichtigen -, sondern vor allem mit glutvoller Innigkeit und stimmlich großer Geste bei den ausladenden Szenen vom Waldmägdelein (Vilja-Lied) und Zigeunerleben ("So elend und so treu"). Der Opernchor (Einstudierung Sibylle Wagner) klingt 2010 so unverrückbar qualitätsvoll wie in den Jahren zuvor.

Stefan Blunier hat ein Händchen für die vermeintlich leichte Musik. Hier eine kleine Verzögerung, dort eine Mini-Beschleunigung, seliges Schluchzen in den Streichern, klug gesetzte Pointen bei den Bläsern, Polkas im Rekord-Tempo, großes Klangschwelgen in allen Liebeslagen und eine gehörige Portion Augenzwinkern:

Das Beethoven Orchester war bei dieser Charme-Offensive voll dabei; das Publikum im natürlich ausverkauften Opernhaus hatte alle Grund, sich zwei Zugaben zu erklatschen (ohne Radetzky-Marsch geht man schließlich nicht nach Hause).

Wer mehr von Blunier im Umfeld von Operette und Walzer hören will, hat dazu schon bald wieder Gelegenheit. Am 28. Februar dirigiert er in der Duisburger Mercatorhalle das WDR Rundfunkorchester; das Programm zum Thema "Musik und Wirtschaft" sieht unter anderem den "Dividenden-Walzer" von Johann Strauss vor.

Von Guido Krawinkel

Beethovens Neunte Symphonie gehört in Bonn zum Jahreswechsel fest dazu. Traditionell nimmt sich Heribert Beissels mit seinen Ensembles Chur Cölnischer Chor und Klassische Philharmonie Beethovens Magnum Opus an und auch dieses Mal ließ er die Konzertbesucher in der voll besetzten Beethovenhalle nicht ohne ein erlesenes Musikerlebnis nach Hause gehen.

Die Klassische Philharmonie zeigte einmal mehr, dass sie ein durch und durch solides Orchester ist, das von Beissel mit starker Hand geführt wird. So saß auch dieses Mal jedes Detail mit bemerkenswerter Präzision, angefangen vom allmählich aus einem scheinbaren Chaos entwachsenen Beginn des Kopfsatzes bis hin zum hymnischen Finale.

Hier machte nicht nur der ausgewogen klingende Chor Freude, auch das aus Cordula Berner (Sopran), Evelyn Krahe (Alt), Klaus Schneider (Tenor) und Sungkon Kim (Bass) bestehende Solistenquartett zeigte sich beim Schlusschor über Schillers Ode an die Freude" von seiner besten Seite.

Begonnen hatte der Neujahrsabend mit einer etwas steifen Ouvertüre von Idomeneo von Mozart. Zu sehr musizierte man auf Sicherheit, zu wenig kam der Schwung dieser Musik zum Tragen. Dafür entschädigten die subtilen Klangfarben, die man dem Schicksalslied op.

54 von Brahms entlockte. Hier zeigten sowohl Chor als auch das Orchester eine reichhaltige Kunst der Differenzierung.

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